Gemeinsam gegen Crystal
Tschechien und Deutschland wollen verstärkt gegen die Modedroge vorgehen – illegaler Handel rasant gestiegen
6. 2. 2013 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: APZ
23 Kilogramm der gefährlichen Droge Crystal Speed hat der deutsche Zoll nach eigenen Angaben bundesweit im vorigen Jahr sichergestellt. Das sind sechs Kilogramm mehr als im Jahr zuvor. „Die Menge geht exorbitant nach oben“, erklärte Gerald Busch vom Bayerischen Landeskriminalamt. Denn bei Kontrollen im Jahr 2009 fand der Zoll nur knapp ein Kilogramm Crystal. Auch die Zahl der Konsumenten ist gestiegen. So seien der bayerischen Polizei vor drei Jahren lediglich 24 Erstkonsumenten aufgefallen, 2012 waren es nach Aussage von Busch bereits 456. Zudem sei die Dunkelziffer hoch.
Nachdem Crystal anfangs nur in Grenzregionen zu Tschechien verbreitet war, griffen inzwischen immer mehr Drogenabhängige in größeren Städten zu dem Rauschgift. Seit zwei Jahren verstärke sich eine Entwicklung hinein ins Land. Nürnberg sei bereits erreicht, so Busch. Ähnlich stark wie in Bayern breitet sich Crystal nach Angaben von Gerth Riemer vom Landeskriminalamt in Dresden auch in Sachsen aus. Vor allem in Leipzig und Dresden. „In Leipzig sind inzwischen zu unserer Überraschung frühere Heroin-Konsumenten auf Crystal umgestiegen“, so Riemer.
Größtes „Sorgenkind“ bleiben indes die grenznahen Räume, sowohl in Bayern als auch in Sachsen. Laut Riemer sei der ländliche Raum gerade bei Crystal im Vergleich zu herkömmlichen Drogen besonders betroffen, wohl wegen der Grenznähe.
Bei einer internationalen Pressekonferenz stellte der Zoll kürzlich die Ergebnisse einer sechsmonatigen Kontrollaktion unter der Bezeichnung „Speedway II“ vor, die grenzüberschreitend und gemeinsam mit tschechischen Kollegen durchgeführt worden war. Dabei wurden insgesamt 900 Gramm Crystal Speed gefunden. Eine gering erscheinende Menge, die nach Aussagen des für den Zoll zuständigen Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium, Hartmut Koschyk (CSU), jedoch für 36.000 Konsumeinheiten ausreiche. Denn bereits ein Gramm dieser synthetischen Droge liefere 40 Konsumeinheiten.
Nachdem „Speedway I“ vor einem Jahr ein ähnliches Ergebnis erbracht hatte, wiederholten Behörden von Juli bis Dezember nun die Operation gegen den anhaltenden Rauschgiftschmuggel im Grenzgebiet. Neben dem Zoll nahmen auch Bundespolizei, Landespolizisten aus Sachsen und Bayern und tschechische Kollegen daran teil. Insgesamt wurden rund 10.000 Personen und etwa 5.000 Fahrzeuge in Deutschland sowie 1.000 Personen in Tschechien überprüft. Dort wurden in diesem Zeitraum rund 265 Gramm Crystal sichergestellt. Daneben spürten die Fahnder 3,5 Kilogramm Marihuana sowie 400 Gramm Haschisch auf. „Damit konnten wir den Verfolgungsdruck auf die Täter beiderseits der Grenze erneut merklich steigern“, so Koschyk.
„Drogenproblem hat oberste Priorität“
Dass Tschechien die Drogenproblematik keinesfalls vernachlässige, stellte Jakub Frydrych von der für die Bekämpfung von Drogenkriminalität zuständigen Polizeibehörde klar. Das Personal an der westlichen Grenze sei mittlerweile verstärkt worden. „Die tschechische Polizei hat für 2013 den Kampf gegen die Drogenkriminalität zur obersten Priorität erklärt“, so Frydrych, „wir werden alle Polizeieinheiten am Kampf gegen Drogen beteiligen.“ In der vergangenen Woche erklärte Tschechiens Regierungschef Petr Nečas (ODS), das „überaus ernste Problem“ bleibe eines der Hauptthemen bei bilateralen Gesprächen mit Vertretern der deutschen Bundesregierung sowie Sachsens und Bayerns. „Wir wollen es gemeinsam lösen“, sagte Nečas und fügte hinzu, dass eine Expertengruppe derzeit eine entsprechende Strategie ausarbeite.
Als Hauptumschlagsplatz bezeichneten sowohl Nečas als auch Dezernatsleiter Frydrych nach wie vor die sogenannten Vietnamesen-Märkte entlang der Grenze. Allerdings seien Vietnamesen mittlerweile nicht mehr nur Verkäufer, sondern auch Hersteller. Auf diesen Märkten werden in der Regel sehr kleine Mengen verkauft. Trotzdem müssen tschechische Fahnder dort zunehmend mafiöse Strukturen bekämpfen. „Ein gefährliches Gebiet“, so Pavel Hoffman von der tschechischen Zollverwaltung. Im Schnitt entdecken tschechische Ermittler pro Jahr etwa 300 bis 400 Drogenlabore. Allerdings sei es bislang nicht gelungen, die Crystal-Herstellung zu stoppen, sagte Frydrych. In den Küchen werden immer größere Mengen hergestellt. Die Zahl wurde mit jährlich rund zehn Tonnen angegeben, wovon fünf Tonnen für das Ausland bestimmt seien. Laut Staatssekretär Koschyk wollen sich „die Hersteller damit einen europäischen Weg bahnen.“
Für Miroslav Nováček von der Zollfahndung in Prag lieferte die Aktion „Speedway II“ den Nachweis, dass seine Behörde nicht nur den Kampf gegen die Modedroge aufgenommen habe, sondern dass überführte Täter auch konsequent mit Strafverfolgung rechnen müssen. Dazu waren laut Pavel Hoffman unter anderem auch deutsche Ermittler verdeckt auf tschechischem Gebiet tätig.
Tschechiens stellvertretender Innenminister Jaroslav Hruška kündigte im Prager Radiosender „Radiožurnál“ eine neue Gesetzesinitiative an. „Bisher war es so, dass die Polizei nicht eingriff, wenn ein Bürger zwei Gramm Rauschgift bei sich hatte, solange man ihm nicht nachweisen konnte, dass er damit handeln wolle. Wir wollen diese Menge jetzt auf ein halbes Gramm beschränken.“
Ein entsprechender Vorschlag seines Ministeriums soll demnächst in der Regierung eingebracht werden, sagte Hruška. Diesem Ansinnen widersprach kurz darauf jedoch der tschechische Antidrogenkoordinator. Jindřich Vobořil ist gegen eine Senkung der tolerierten Menge von Crystal, die zum Eigenbedarf mitgeführt werden dürfe. Damit würden Abhängige nur kriminalisiert, so Vobořil gegenüber der Presseagentur čtk. Es sei eine falsche Annahme von deutschen Politikern, dass der Besitz kleiner Mengen Drogen in Tschechien seit 2010 legal sei, erläuterte der Koordinator. Herstellung, Verkauf und Schmuggel von Drogen seien stets Straftaten.
Gleichwohl fordern Berlin, München und Dresden weiterhin geänderte Drogengesetze in Tschechien. Erst im November hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) an Prag appelliert, diese Gesetze zu korrigieren und konsequenter gegen die Rauschgiftkriminalität vorzugehen. „Um nachhaltig erfolgreich zu sein, müssen nicht nur die Händler, sondern auch die Hersteller und Hintermänner in Tschechien gefasst werden“, forderte Herrmann.
Gemeinsam mit dem Nationalen Sachverständigen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in Lissabon, Rainer Kasecker, hatte Herrmann die Drogenkriminalität im bayerisch-böhmischen Grenzraum erläutert. In Bayern stieg die Menge an sichergestelltem Crystal allein von 2010 auf 2011 um mehr als das Doppelte auf 11,7 Kilogramm an. „Dieser Trend hat sich leider auch 2012 fortgesetzt“, stellte Herrmann fest. Bayern hat daher die Kontrollen vor allem in Ostbayern verstärkt und die Zusammenarbeit mit Bundespolizei und Zoll intensiviert.
Nach Angaben von Staatssekretär Hartmut Koschyk will Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in der kommenden Woche zu einem Gipfeltreffen zur Drogenproblematik nach Prag reisen.
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