Im Porzellanladen

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Deutschland nimmt zu wenig Rücksicht auf die Sorgen seiner Nachbarn im Osten. Ein Kommentar

9. 12. 2015 - Text: Josef FüllenbachText: Josef Füllenbach; Foto: fdecomite/CC BY 2.0

Es gab eine Zeit, als sich Deutschland im europäischen Integrations­prozess (auch) als Sachwalter der Interessen der kleineren Mitgliedstaaten verstand. Ohne diesen Ansatz wäre das europäische Projekt – von EWG über EG zur EU – kaum so erfolgreich verlaufen, wie es sich rück­blickend für die meiste Zeit darstellt. Dass sich Deutschland nach 1989 mit seinem Gewicht und mit dem Wissen um die Herkulesaufgabe der Transformation erfolgreich für den oft steinigen Weg zum Beitritt von ganz überwiegend kleineren neuen Mitgliedsländern einsetzte, war auch noch als Akt der „schützenden und helfenden Hand“ für die Neulinge zu begreifen.

Die Zeiten haben sich grundlegend geändert. Deutschland wird heute in Ostmitteleuropa – und darüber hinaus – immer öfter als ein Land wahrgenommen, das seine wirtschaftlichen und zunehmend auch politischen Muskeln spielen lässt, um seine angeblich „alternativlosen“ Vorgaben durchzusetzen. Einige Beispiele: In der seit Jahren ungelöst schwelenden Eurokrise lautet das Hauptmantra aus Berlin „Schulden zurückfahren, sparen, Gürtel enger schnallen“. Dass die deutschen kontinuierlich wachsenden Exportüberschüsse nun schon jährlich deutlich über 200 Milliarden Euro betragen und dieser Trend weitergeht, kümmert dabei nicht. Vor allem nicht die Kehrseite dieser Münze, dass sich nämlich andere Länder inner- und außerhalb der Eurozone Jahr für Jahr gegenüber Deutschland entsprechend hoch verschulden müssen. Das allenthalben demonstrierte Schulterzucken („Was können wir dafür? Wir sind halt so gut!“) ist entweder dumm oder – wahrscheinlicher – eine schlechte Camouflage der Interessen der deutschen Exportwirtschaft. Hier in diesen Breiten wird das genau verfolgt  – mit dem Ergebnis, dass man sich derzeit keinen Euro-Anwärter mehr vorstellen kann.

Auf die Sorgen der ostmitteleuropäischen Länder hinsichtlich der geplanten Erweiterung der Nord-Stream-Pipeline reagiert man in Berlin ebenfalls mit Unschuldsmiene. Es handele sich um eine Vereinbarung privater Firmen mit dem russischen Gazprom-Konzern. Als ob man die politische Brisanz des Vorhabens für die Energiesicherheit, für die Versorgungsdiversifizierung in der EU und für die Ukraine ignorieren könnte.

Und dann der Mehrheitsbeschluss zur Durchsetzung der Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen: Dass der Lissabon-Vertrag dies deckt, ändert nichts an der extremen politischen Sensibilität des Gegenstandes. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass Deutschland die für einen erneuten Quotenbeschluss notwendige Mehrheit wohl nicht mehr zusammenbekommt. Dass in Prag Präsident und Regierung sowie die Regierung intern in beiden Fragen, eines Beitritts zur slowakischen Klage gegen die Quote und der Nord-Stream-Erweiterung, über Kreuz liegen, ändert nichts an der grundsätzlichen Irritation über den großen Nachbarn.

Schließlich wird sehr sorgfältig notiert, dass die Großen in der EU, allen voran Paris und Berlin, kurzerhand gemeinsame Beschlüsse und Regeln unterlaufen, sollte bei deren Einhaltung der Schuh drücken. Der Eindruck ist kaum von der Hand zu weisen, dass die Bundesregierung ohne öffentliche Diskussion unbegrenzte Empathie für die Nöte der Flüchtlinge aufbringt, sich aber gegenüber den Fragen, Argumenten und Sorgen vieler Partner taub stellt. Es soll hier nicht gesagt sein, dass Deutschland in allem Unrecht hat und die Zweifler an manchen Auswüchsen der „Alternativlosigkeit“ nur richtig liegen. Was verstört, ist der schon angerichtete Scherbenhaufen im Porzellanladen EU. Das nächste Eurobarometer dürfte davon beredt Zeugnis geben. Nur dann kann das europäische Projekt gelingen, wenn eine Mehrheit der Menschen in allen Mitgliedsländern auf mittlere und längere Sicht davon überzeugt ist, dass die Integration allen in der Gemeinschaft spürbare Vorteile bringt. Davon sind wir schon zu lange meilenweit entfernt.