„Ich bin ein deutscher Pianist geworden“
Saleem Ashkar wurde in Israel geboren. Mit Beethovens Klaviersonaten geht er auf Konzertreise
8. 12. 2016 - Interview: Jan Nechanický, Foto: Liudmila Jeremies
Der in Berlin lebende Pianist Saleem Abboud Ashkar wurde im israelischen Nazareth als Sohn palästinensischer Christen geboren. Sein musikalisches Talent entdeckte der Dirigent Zubin Mehta, unter dessen Leitung Ashkar als 17-Jähriger mit dem Israel Philharmonic Orchestra das erste Klavierkonzert von Tschaikowsky spielte. Später studierte Ashkar in London und Hannover. Mit 22 Jahren debütierte er in der New Yorker Carnegie Hall. Seitdem gastiert er regelmäßig bei bedeutenden Orchestern wie den Wiener Philharmonikern oder dem Concertgebouworkest in Amsterdam. Einen Namen machte sich Ashkar vor allem als Interpret der Werke Mendelssohns und Beethovens. Nun geht er mit ausgewählten Klaviersonaten Beethovens auf Tour. Neben Berlin und Osnabrück macht er auch in Prag halt. Mit PZ-Redakteur Jan Nechanický sprach der Pianist über seine Begeisterung für Beethoven und die grenzüberschreitende Wirkung der Musik.
Sie widmen sich seit vielen Jahren der Musik Beethovens. Was fasziniert Sie daran?
Es sind drei Dinge, die mich bei Beethoven besonders ansprechen. Erstens hat die Musik eine besondere Intensität. Auch das leiseste Pianissimo brennt wie Feuer. Das geht mir persönlich sehr nahe und ich spüre mich in dieser Musik. Zweitens verfügt sie über eine Tiefe, die man nie ausschöpfen kann. Man erreicht nie den Punkt, an dem man sagen könnte, jetzt kann ich es, jetzt kenne ich das Stück. Man fühlt immer, dass die Musik größer ist als man selbst. Drittens ist es die Menschlichkeit dieser Musik. Sie ist unheimlich persönlich und spricht zugleich zu uns allen.
Ist das nur bei Beethoven so?
Meiner Meinung nach findet man diese Qualität in so einem Ausmaß nur bei Beethoven. Die Fähigkeit, tief in die menschliche Seele zu schauen und eine Melodie zu komponieren, die einen persönlich berührt und trotzdem so universal ist, dass sie zu allen sprechen kann. Dafür gibt es kompositorisch-technische Gründe. Die musikalischen Strukturen gehen auf ein tiefes Verständnis der menschlichen Psyche zurück.
Warum spielen Sie in Ihrer Konzertreihe die Klaviersonaten von Beethoven?
Man sagt, dass die 32 Sonaten das Neue Testament der Klavierliteratur seien. Und sie sind zugleich eine Art musikalisches Tagebuch Beethovens. Sie zeigen eine Entwicklung seines musikalischen Denkens. Das in einem Konzertzyklus zu verfolgen, ist unheimlich schön.
Werden die Klaviersonaten auch aufgenommen?
Sie sind wahrscheinlich der erste Journalist, dem ich das erzählen darf. Ich nehme die gesamten Sonaten für Decca Records auf. Ab Frühling 2017 sollen jedes Jahr zwei CDs erscheinen. Insgesamt werden bis zum Beethoven-Jahr 2020 acht CDs mit seinen Sonaten aufgenommen.
Sie haben bereits ein Konzert in Prag gegeben. Wie hat das Publikum reagiert?
Ich konnte bei dem Konzert spüren, wie es gebannt zuhört. An den leisesten Stellen haben sich die Leute nicht getraut zu atmen. Klatschen ist schön. Aber so etwas zu spüren, ist für mich das Wichtigste. Das erreicht man nicht immer und ein Künstler alleine schafft das nicht.
Sie beschäftigen sich auch mit der Wahrnehmung von Musik. Was interessiert Sie daran?
Die Wahrnehmung von früher und heute ist anders. Aber auch der räumliche und kulturelle Kontext ist wichtig. Ich stelle mir vor allem die Frage, was an dieser Musik universal ist. Heutzutage wird viel über Musik gesagt, was nicht bewiesen ist. Vor Kurzem sagte eine berühmte Sängerin in einem Interview, Musik rette die Welt. Dann dachte ich mir: Wirklich? Tut sie das? Ich fühle mich angesichts der Situation in der Welt gezwungen, solche Aussagen zu hinterfragen. Ich habe dann angefangen, darüber zu schreiben, Filme zu machen und Diskussionsrunden zu veranstalten.
Wie sehen solche Diskussionsrunden aus?
Im Anschluss an ein Konzert veranstalte ich Themenabende, bei denen wir über Musik in einem bestimmten Kontext sprechen. Es geht zum Beispiel darum, wie Musik Identität stiften kann. So haben etwa bei der Identitätsstiftung der deutschen Nation auch Musiker eine große Rolle gespielt. Das Gleiche kann man auch über Bartók und Kodály in Ungarn sagen. Oder über Chopin und Polen. Es finden Diskussionen statt, es werden Texte vorgelesen und ich zeige Kurzfilme, die ich gedreht habe.
Wie wird klassische Musik aus Europa in Israel wahrgenommen?
Es gibt in diesem Bereich eine Entwicklung. Dafür, dass diese Musik dort einen Platz findet, habe ich über die Jahre hinweg einiges getan. Im Unterschied zu früher lernen heute auch die Kinder in Israel klassische Musik aus Europa spielen und es entsteht ein Publikum. Es gibt aber auch Orte, an denen es große kulturelle Barrieren gibt.
Welche Orte sind das?
Ich habe zum Beispiel in einem kleinen Dorf in Israel ein Konzert gegeben. Einige Stimmen sprachen zuvor von einem Fremdkörper und wollten das Konzert boykottieren. Andererseits setzten sich auch einige für das Konzert ein. Sie wollten etwas Neues hören und waren offen. Das war für mich ein wichtiges Erlebnis. Ich habe gesehen, dass es immer und überall einen Willen gibt, aus der Tür herauszutreten und zu sehen, was die Welt uns anzubieten hat. Das gibt mir Hoffnung. Ausgerechnet heute, wo man von der Politik das Gegenteil erfährt.
Welche Komponisten spielen Sie außer Beethoven noch gerne?
Sehr viel Schumann. Und Mozart. Ich glaube, ich bin irgendwie doch ein deutscher Pianist geworden.
Die Konzerte in Prag finden am 12. Dezember, 6. Februar und 3. April, jeweils um 19.30 Uhr im Agneskloster (U Milosrdných) statt. Mehr Informationen unter www.beethoven-residency.cz
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