Im Abseits

Im Abseits

Nach seinem Wechsel vom FC Augsburg zu Slavia Prag gehört Halil Altintop nur selten zum Aufgebot. In Tschechien könnte er seinen guten Ruf verspielen

26. 10. 2017 - Text: Klaus Hanisch, Titelfoto: SK Slavia Praha

Die Fans von Meister Slavia sind entsetzt. Sie rätseln: Was ist mit Halil Altintop los? Dem Neuen aus der Bundesliga. Ihrem vermeintlichen Starstürmer in dieser Saison.

Altintop selbst schweigt. Schon seit Wochen verweigert er auch jegliches Interview. „Es ist keine gute Zeit für ihn“, antwortet stattdessen Michal Býček, Pressesprecher von Slavia Prag, auf eine Anfrage der Prager Zeitung. „Er spielt nicht und will sich daher ganz auf seine weitere Entwicklung konzentrieren.“ So spricht die sportliche Situation für Altintop. Sie ist katastrophal.

Noch vergangene Saison wurde der schlaksige Angreifer zu einer Legende beim FC Augsburg. Mit sechs Treffern rettete er den Klub maßgeblich vor dem Abstieg. „Im Schlussspurt war er fast der wichtigste Mann“, schrieb die Augsburger Allgemeine, „was er am Ball macht, hat Hand und Fuß.“ Schon zwei Jahre zuvor hatte er sich einen Platz in den Vereinsannalen gesichert, denn Altintop erzielte 2015 das erste Europacup-Tor in der langen Geschichte des FCA. Die Zeitung urteilte, dass er „erneut ein wichtiges Pfund werden“ könne, wenn Altintop in Augsburg bleibe.

Jetzt ist der Deutsch-Türke, 1982 in Gelsenkirchen geboren und vielfacher türkischer Nationalspieler, drauf und dran, bei Slavia Prag seinen guten Ruf zu verspielen. Vor kurzem verloren die Rot-Weißen das Spitzenspiel gegen Slovan Liberec im eigenen Stadion mit 1:2. Bis zum Strafraum kombinierte der Meister gefällig, im Abschluss waren seine Angreifer jedoch zu unentschlossen und wenig zwingend. In seiner Form des Frühjahres hätte Altintop die Partie geprägt, vielleicht sogar entschieden.

Doch derzeit gehört er in der Liga kaum noch zum Slavia-Kader, auch gegen Liberec nicht. In der Europa League spielt Altintop überhaupt keine Rolle. Kein einziges Mal stand er in den drei Spielen von Slavia im Aufgebot. Dabei wurde er noch vor wenigen Monaten vom tschechischen Traditionsklub mit größten Erwartungen empfangen. Vor Saisonbeginn rüstete Slavia, wie auch Dauerrivale Sparta, gewaltig auf.

Dass die Hoffnungsträger, wie der fast 35-jährige Halil Altintop, bereits in fortgeschrittenem Alter sind, interessierte weder hier noch dort. Schon damals äußerten Skeptiker große Zweifel, dass die alt(gedient)en Neuen tatsächlich zu Verstärkungen werden. Der Siegeszug von Spitzenreiter Pilsen, der auf teure Einkäufe verzichtete und stattdessen auf Konstanz setzte, scheint sie zu bestätigen.

Das sah anfangs anders aus. Altintop glückte ein perfekter Einstand, im ersten Saisonspiel Ende Juli erzielte er den Siegtreffer für Slavia zum 1:0 gegen Teplice. Nach mehr als einem Drittel der Saison stand er jedoch nur einmal über die komplette Spielzeit auf dem Platz. Insgesamt kommt er auf gerade mal 390 Spielminuten in elf Begegnungen, lächerlich wenig für seine Ansprüche und Leistungen der letzten Jahre.

„Er ist zu langsam“, kritisieren heimische Journalisten, „außerdem ist er vor dem Tor nicht effektiv genug.“ Der Schnellste war Altintop auch in der Bundesliga nicht, in Tschechien kommt jedoch ein neues Manko dazu. „Er läuft zu wenig“, ist professionellen Beobachtern aufgefallen.

Viele Slavia-Fans äußern mittlerweile unverhohlen ihren Ärger über ihn. „Altintop ist nur zu uns gekommen, um noch einmal abzukassieren“, wirft Tomáš dem Stürmer vor. Die Bild-Zeitung hatte beim Wechsel spekuliert, dass er in Prag einen Zweijahresvertrag erhalte, während Augsburg nur einen über ein Jahr angeboten habe. Sicher ist, dass er laut transfermarkt.de ablösefrei aus Augsburg kam. Wobei Altintop allerdings schon früher fast immer ohne Ablöse von Verein zu Verein wechselte.

Seine Klubs zählen durchaus zu den besseren Adressen in Fußball-Deutschland: 1. FC Kaiserslautern, Schalke 04, Eintracht Frankfurt. Für sie bestritt er 351 Bundesliga-Partien und erzielte dabei 67 Tore. In Deutschlands höchster Spielklasse stand kein türkischer Spieler öfter auf dem Rasen und traf mehr. Deshalb absolvierte Altintop auch zwischen 2005 und 2011 insgesamt 38 Länderspiele für die Türkei, in denen er acht Tore erzielte.

Halil Altintop spielte von 2005 bis 2011 für die türkische Nationalmannschaft. /  | © Vladimir Maiorov (soccer.ru), CC BY-SA 3.0

So überraschte sein Wechsel in die tschechische Liga. Sein tschechischer Mitspieler Jan Morávek dürfte ihm in Augsburg kaum dazu geraten haben, denn ihr Niveau gilt in Europa eher als schwach. Umso mehr, da der FC Augsburg im Sommer gerne den auslaufenden Vertrag des Routiniers verlängert hätte, der vier Jahre lang für den Verein spielte und vergangene Saison noch 31 der 34 Bundesliga-Spiele absolvierte.

Man bedauere seine Entscheidung, erklärte Manager Stefan Reuter, denn Altintop „war in den letzten Jahren ein wichtiger Führungsspieler für unser Team.“ Auf und auch außerhalb des Rasens habe er sich immer „zu 100 Prozent in den Dienst der Mannschaft gestellt und ist vorangegangen.“

Der Spieler sprach jedoch gleichzeitig davon, bei Slavia „eine neue Herausforderung“ annehmen zu wollen. Er glaube, dass ihn der Wechsel „persönlich noch mal weiterbringen“ werde, teilte er in einer Videobotschaft mit. Worin dieser Fortschritt bestand, umschrieb er ganz konkret. Er freue sich auf die Champions League und hoffe dort auf Gegner wie den FC Barcelona oder Bayern München.

Davor musste sich Slavia jedoch erst noch für die Gruppenphase qualifizieren – und scheiterte prompt an Apoel Nikosia, mit fast 30 Jahren Altersschnitt eine der ältesten Mannschaften Europas. Statt Slavia spielt nun Nikosia in einer Gruppe mit Real Madrid, Borussia Dortmund und Tottenham Hotspur. Sowohl in den beiden Partien gegen die Zyprer wie zuvor schon in der Qualifikation gegen Bate Borisov blieb Altintop ohne Einsatz.

„Seitdem hat er keinen Bock mehr auf Slavia“, vermutet Tomáš, wie manch anderer Fan von Slavia. Mangelnde Motivation als Auslöser für die Formkrise? Slavia führt immerhin weder eine Krankheit noch Verletzung dafür an, dass Halil Altintop bei Slavia nur noch auf der Bank oder Tribüne sitzt.

Nach dem Schlusspfiff gegen Liberec äußerten selbst Slavia-Funktionäre große Zweifel daran, dass ihrem Klub noch die Titelverteidigung gelingen wird – bei schon elf Punkten Rückstand auf Viktoria Pilsen nach nur elf Spieltagen.

Halil Altintop hat andere Sorgen. Er muss nun erst einmal die Fans von Slavia für sich gewinnen. Wie Tomáš, der im Auswärtsspiel bei Bohemians Prag vor ein paar Wochen neben jenen Slavia-Fans stand, denen Altintop nach Spielende sein Trikot zuwarf. Sie feuerten es umgehend zurück.