Betrieb bei Jungmann

Betrieb bei Jungmann

Prag erwartet vor und nach den Weihnachtstagen wieder zahllose Besucher – ­­und immer mehr Bars hoffen dann auf zahlungskräftige Gäste. Doch welche davon lohnen sich wirklich?

23. 11. 2017 - Text: Klaus Hanisch

Bestes Beispiel: der Jungmann-Platz, auf halbem Weg zwischen Nationalstraße und Wenzelsplatz. Rund um das Denkmal des tschechischen Sprachwissenschaftlers Josef Jungmann liegen mittlerweile drei Bars nur wenige Schritte voneinander entfernt.

Eine beschallt den Platz aus lichter Höhe. Die Balcony Bar thront in der dritten Etage eines Hauses, direkt über den Instrumenten des Pianosalons Petrof. Hier muss man nicht gewesen sein. Denn diese Bar ergibt nur einen Sinn, wenn tatsächlich noch Plätze auf dem Balkon frei sind. Auf ihn wollen im Sommer alle, weil es im Innern brütend heiß ist. Allerdings ist die Zahl der Stühle begrenzt. Deshalb müssen Gäste oftmals stehen, um sich am schönen Blick über Platz und Prag zu erfreuen. Das bedeutet wiederum: dichtes Gedränge. Kaum ein Durchkommen für Servicekräfte. Und: Je später der Abend, desto ungemütlicher die Stimmung. Im Winter erfordert der Balkon eine rustikale Gesundheit und gute Abwehrkräfte. Denn er ist ein zugiger Ort, den auch Heizstrahler nicht besser machen. Weil die Kapazitäten knapp sind, fallen die Preise entsprechend hoch aus. Champagner-Konsum gern gesehen. Eine wenig sympathische männliche Erscheinung empfängt beim Eintritt. Und schon da beschleicht den Gast das Gefühl, von Kopf bis Fuß darauf taxiert zu werden, welchen Umsatz er wohl bringen wird.

Blick von der Balcony Bar auf die Nationalstraße (Národní)  | © Balcony Bar

Mehr zu empfehlen sind daher andere Barbetriebe bei Jungmann. Zwei wurden kürzlich erst in Räumen eröffnet, in denen andere Lokale zuvor über Jahre hinweg Prager „Wirtschaftsgeschichte“ schrieben. So gab es im Souterrain jenes Gebäudes, in dem auch die Deutsche Bank residiert, einst die Sportkneipe Hockey’ka – ein Ort für Helden. Hinter beleuchteten Schaukästen erinnerten spektakuläre Fotos an ruhmreiche Momente der tschechischen Eishockey-Geschichte. Rechts in der Ecke saß Eishockey-Idol Ivan Hlinka, als Spieler dreimal Weltmeister und Trainer jener legendären Generation von 1998, die Olympia-Gold und den WM-Titel gewann – zwar nur als Pappkameraden, aber beinahe in Lebensgröße.

Bei internationalen Fußballspielen waren alle Sitzplätze belegt, von Ausländern wie tschechischen Fans. Unvergessen bis heute: die Champions-League-Partie zwischen Viktoria Pilsen und Bayern München im November 2013. Stadion-Atmosphäre, es wurde getobt und gelitten. Genau genommen lag Pilsen in jener Nacht im Prager Hockey’ka. Entsprechend hoch war immer der Lärmpegel. Wobei er einmal von einer keifenden Frauenstimme übertönt wurde, die den Fußball-Enthusiasmus ihres Freundes mit solch derben Schimpfwörtern kritisierte, dass selbst Stammgäste heute nicht mehr wissen, welches Spiel damals übertragen wurde. Doch dem Betreiber wurden die Sportrechte zu teuer. Ohne großen Sport blieben die Gäste aus. Hockey’ka gab auf, anschließend versuchte sich dort allen Ernstes eine tschechische (!) Tapas-Bar. Allerdings nur kurzzeitig und ohne echte Chance auf eine Zukunft.

Freitagabend, 22.30 Uhr, eine bevorzugte Ausgehzeit der Prager. Im Hockey’ka wurde manche Schlacht geschlagen, von Fußballstars und Eishockey-Cracks. Jetzt heißt es dort Blond statt Blut! Genauer: Blondies – so der Name der neuen Music-Bar, die seit kurzem in den Räumen haust. Ein Video über der schmalen Eingangstür vermittelt den Eindruck: Hier darf offenbar nur bedienen, wer blond geboren wurde. Aber wird auch der bedient, der von Geburt an schwarz oder brünett ist? Und was ist mit Glatzköpfen, von denen es selbst unter jungen Männern immer mehr gibt – sind sie die Rausschmeißer im Lokal? Dass alle Bedienungen blond sein müssen, stimmt tatsächlich. „Zumindest sollten sie es sein“, verrät eine Bedienung. Dass viele Besucherinnen an diesem Abend ebenfalls blond sind, sei aber reiner Zufall. Behauptet sie zumindest. Schwarze Hotpants, gleichfarbige Blusen – die Servicekräfte sind ein Blickfang in dem Saal. Auch deshalb, weil er recht spartanisch eingerichtet ist. Wo einst die große Leinwand stand, hängen nun sieben kreisrunde Lampen an einer kahlen Betonwand, unregelmäßig wie der Verlauf eines Aktienkurses. Braune Querbalken und Stützpfeiler wirken wie Nagelbretter. Wobei kleine Glühbirnen die Nägel ersetzen.

Alle(s) blond im Blondies?  | © Blondies Bar

An den beiden Enden des großen Raumes bilden Tische und Stühle kleine Sitzecken, genutzt von Mädchengruppen, Jungmännergruppen und gemischten Gruppen. Allesamt unter 30. Mainstream-Songs dröhnen aus mehreren Boxen und machen jede Unterhaltung zu einem Geschrei. Zudem heben sie rasch den Pulsschlag aller Anwesenden. Verbunden werden diese Enden von einer langen Theke im Hintergrund. Die Mitte des Raumes könnte als Tanzfläche dienen, tatsächlich ist sie an diesem Abend nur eine Sprintstrecke für die Bedienungen, um von einer Ecke in die andere zu hetzen. Die Getränkekarte wurde auf eine Konservendose gedruckt. Durchaus originell, aber bei schwacher Beleuchtung schwer zu lesen. Ein gezapftes Bier der Marke Cvikov, 12 Grad, kostet 65 Kronen für 0,4 Liter. Der Bierkrug ist ein Einmachglas, ergänzt durch einen Henkel. Noch immer sind die Rillen für den Deckel vorhanden, was dieses Glas gewöhnungsbedürftig macht. Wichtiger für eine Bar sind freilich die Cocktails. Sie werden von den „Blondies“ ab 130 Kronen angeboten. Am Absatz der steilen Stufen steht ein kahl rasierter Schädel. Er ist ein Aufpasser. Und bei Bedarf wohl tatsächlich der Rausschmeißer.

Keine 30 Meter weiter, Richtung Wenzelsplatz. Im Untergeschoss des Palác Astra schloss zu Jahresbeginn das Carioca. Der Nachtclub mit seinen goldgerahmten weißen Holzwänden und Stuckdecken war mehr als ein Jahrzehnt lang der einzige in Prag, in dem der Kunde König war und nicht der Nepp regierte. Darauf legte Jan Kratochvíl, einer der Besitzer, großen Wert. Seit der großen Wirtschaftskrise von 2009 ist mit Erotik oder Rotlicht jedoch selbst in Prag nicht mehr viel zu verdienen. Aus diesem Grund entstand an gleicher Stätte eine Bar, „wie sie Prag noch nicht gesehen hat“. Das erzählte Kratochvíl bereits zu Jahresbeginn. Der hohe Anspruch war in den letzten Wochen schwer zu überprüfen, denn seit der Eröffnung im Sommer standen immer wieder kurzatmige Typen am Eingang und speisten neugierige Gäste mit dem Hinweis auf „private Party“ in dem renovierten kleinen Saal ab.

Ein Blick ins Crazy Daisy verrät: Der Name ist auch hier Programm.  | © Crazy Daisy

Crazy Daisy heißt die Bar nun. Der Name ist in Prag schon lange geläufig, denn Mitte der neunziger Jahre trugen ihn bereits zwei angesagte Speiselokale in Vinohrady (heute U Sládečků) und im Zentrum. „Daisy“ veröffentlicht im Internet ein Gruppenbild mit fixen Jungs. Und tatsächlich: Einer von ihnen begrüßt gleich am Eingang einen neuen Gast mit großer Höflichkeit. Wobei die gesamte Truppe ein rot-schwarzes Outfit trägt und damit wie Hotelpagen aussieht.

Die frühere Show-Bühne in der Mitte erstrahlt noch immer in einem rosafarbenen Licht. Statt Stripperinnen agiert dort nun ein DJ hinter einer hufeisenförmigen Theke. Er spielt hauptsächlich Swing-Musik in angenehmer Lautstärke und wird an diesem Abend von einer Saxophonistin unterstützt. Kurz nach Mitternacht, live, eine Stunde lang – das macht richtig Laune! Und verführt ein Paar dazu, einige Tanzschritte und Drehungen vor der Theke zu wagen, obwohl dafür nach dem Umbau kaum Platz vorhanden ist.

Das Daisy-Publikum ist etwas älter als bei Blondies, aber trotzdem erst um die 30 und ebenfalls leger gekleidet. Es labt sich bevorzugt an Cocktails, die in zwei Kategorien unterteilt sind: „Old School“, wie Cuba Libre, und hauseigene Mixturen, die nach Prager Bauwerken und Sehenswürdigkeiten benannt sind (wie Břevnov oder die Karlsbrücke). Spezialität des Lokals: die „John-Lennon-Wall“. Was drin ist, kann man nur erahnen, denn dieser Cocktail wird in einem Meer aus Rauchschwaden serviert. Er könnte daher auch gut „Smoke on the Moldau“ heißen.

Die Preise liegen zwischen 170 und 320 Kronen. Alle Getränke werden in einem Faltblatt aufgelistet, das passend zu den Namen der Cocktails wie ein Prager Stadtplan konzipiert ist. Die Angebote an Whiskey und Rum füllen allein zwei Spalten. Gleich nach dem Eingang wird eine Vielzahl italienischer und französischer Weine in Glasschränken angeboten. Dafür gibt es Bier nur aus Flaschen, zum Beispiel 0,33-Liter Budweiser für 85 Kronen. Die mexikanische Marke Corona wird mit Glas serviert, was unter Kennern einer Todsünde gleichkommt.

 | © Adam Jaime, CC0

Mehr noch als das reichhaltige Getränkeangebot faszinieren die ständig wechselnden Lichtspiele an den Wänden. Straßenbahnen fahren anscheinend durch Prag, eine Flüssigkeit zirkuliert wie Blut in seinen Bahnen – das bunte Spektakel macht Crazy Daisy tatsächlich außergewöhnlich. Die Theke mitten im Raum ähnelt einem Schiff auf hoher See. Vielleicht trägt der Chefmixer auch deshalb die Uniform eines Kapitäns, wodurch er noch etwas lächerlicher wirkt als all die Pagen um ihn herum.

Aber: Das Personal weiß, dass Höflichkeit und ein Lächeln für ein Gastro-Unternehmen schon die halbe Kasse sind. Und es handelt entsprechend. Nach Mitternacht wird Salzgebäck serviert, die Rechnung kommt erst am Ende des Besuchs. Anders als bei Blondies, wo unverzüglich abkassiert wird. Damit überdeckt es auch nach Kräften, dass die Sessel der Bar zumindest im vorderen Bereich regelrechte Bandscheibenkiller für Kreuzlahme sind.

Die Plätze im Blondies und Crazy Daisy sind an diesem Abend jeweils zu etwa zwei Dritteln besetzt. Wenn Pavel Maurer Ende des Jahres wieder die besten Bars des Landes kürt, sollte Crazy Daisy unter den Jungmann-Lokalen fraglos die besten Chancen haben, auf einem vorderen Platz zu landen.

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