Zeitloser Charme
Eine Ausstellung in München erinnert an das 1. Internationale Silberschmuck-Symposium vor genau 50 Jahren in Jablonec. Die 70 Werke sind erstmals wieder zu sehen
7. 3. 2018 - Text: Klaus Hanisch, Fotos: Adolf Vrhel
In den sechziger Jahren findet der polnische Künstler Jerzy Zaremski zufällig einen kaputten Spiegel auf der Straße. Das Glas ist in seinen Augen so reizvoll zerbrochen, dass er Reste davon in ein Schmuckstück einbaut. „Das gab es vorher nicht, so was Simples“, urteilt heute Petra Hölscher, Konservatorin an der Neuen Sammlung in München. „Und es war revolutionär in einer Zeit, in der vor allem fette Klunker als Nonplusultra für Schmuck galten.“
Spannenden Schmuck machte damals aber nicht nur Zaremski. Auch Künstler aus der Tschechoslowakei, Italien, Russland, Deutschland und anderen Ländern verwendeten plötzlich neues und anderes Material. Zudem kombinierten sie ihre handwerklichen Kenntnisse darüber, wie man Silber sinnvoll ver- und bearbeitet, mit einer modernen Formensprache. Und sie trafen sich 1968 im nordböhmischen Jablonec nad Nisou (Gablonz an der Neiße).
Auslöser dafür war der „Prager Frühling“, der nicht nur politische Reformen einleitete. Auch die Kultur profitierte vom Demokratisierungsprozess in jenem historischen Jahr. Sogar der Nischenbereich der Schmuckindustrie. Erstmals lud der Tschechoslowakische Künstlerverband Schmuckschaffende aus Ost und West zu einem europäischen Gipfeltreffen ein.
Jablonec war der geeignete Ort dafür. Die Stadt nahe der böhmischen Glaszentren Liberec (Reichenberg) und Železný Brod (Eisenbrod) galt seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Mekka der Schmuckindustrie. Glasperlen und -schmuck wurden von dort bis nach Afrika exportiert. Als sich die wirtschaftliche Situation der ČSSR in den sechziger Jahren verschlechterte, blieb davon aber auch das tschechoslowakische Schmuckbusiness nicht verschont.
Einen Ausweg aus diesem Dilemma sollte eine große Schmuck-Veranstaltung bringen. Bereits 1965 wurde an eine internationale Ausstellung in Jablonec gedacht, um an neue Entwürfe für die heimische Schmuckindustrie zu kommen. „Dieser Plan ging freilich schief“, erinnert sich Petra Hölscher. „Zwar kamen tatsächlich renommierte Künstler, doch ihre Entwürfe waren nicht zu realisieren.“
Allerdings wurden damals nicht nur Künstler eingeladen, sondern auch Berater aus Westeuropa. Sie rieten nicht zu einer weiteren Ausstellung, sondern zu einem Symposium: Jablonec sollte das Material stellen, zugleich aber festschreiben, dass die ausgeführten Entwürfe vor Ort bleiben mussten. Dies wurde 1968 realisiert. „Die Firmen in Jablonec waren clever und nutzten die Gunst der Stunde“, so Hölscher. Nämlich den „Prager Frühling“, der mit seiner politisch gelockerten Atmosphäre solch ein Treffen erst ermöglichte. Während des vierwöchigen Schmuck-Symposiums fertigten die Künstler ungewöhnliche und experimentelle Arbeiten aus Silber. „Sie waren absolute Revoluzzer im Schmuckbereich“, schwärmt Hölscher noch heute von ihren Leistungen. Wobei sie nicht nur Glas einsetzten, sondern auch Halbedelsteine und Schiefer. „Mit Schiefer wurden zu jener Zeit normalerweise ja nur Häuser gedeckt oder Straßen gefüllt“, erinnert die Kunsthistorikerin an die besondere Arbeitsweise der Künstler damals.
Doch nicht nur deshalb war die Veranstaltung in Jablonec historisch. Vielmehr gab es eine Reihe von Gründen dafür: viele Künstler aus vielen Nationen, ein internationales Treffen an einem eher unbekannten Ort, die Freiheit zu wochenlangen Experimenten, Versuche und oft Wagnisse der Abstraktion, der Deutsche Hermann Jünger verwendete die Technik des Slowaken Anton Cepka. „In jenen Tagen erschien plötzlich alles möglich“, sagt Petra Hölscher.
Auch die Künstler selbst berauschten sich an den unverhofften Möglichkeiten. „Das war spannend“, befand der Schweizer Othmar Zschaler hinterher knapp und präzise. Heute wird diese Gruppe als Begründer des sogenannten Autorenschmucks gefeiert: Wer konzipiert, fertigt auch. „Oft waren die Künstler ausgebildete Goldschmiede“, erläutert Hölscher, „und daher waren sie einfach fähig und in der Lage.“ Allerdings zwangen sie auch ihre Lebensumstände dazu. Denn sie waren jung, hatten meist kein Geld für einen Assistenten und keine große Werkstatt. Zudem kamen viele Tschechen direkt von einer Akademie – so mussten sie schon deshalb ihre Arbeiten selbst machen.
Die Werke von Jablonec wurden 1968 und 1969 an verschiedenen Orten in Europa gezeigt. So im Museum für Glas und Schmuck (Muzeum skla a bižuterie) in Jablonec selbst, im Kunstgewerbemuseum (Uměleckoprůmyslové museum) in Prag, im Schmuckmuseum Pforzheim, dem Museum für Gestaltung in Zürich und der Mährischen Galerie (Moravská galerie) in Brünn. Auch eine Präsentation in der Galerie „Il Sestante“ in Mailand war geplant, konnte aber aufgrund der politischen Entwicklungen nach dem „Prager Frühling“ nicht mehr verwirklicht werden.
Damit knüpfte „Jablonec ’68“ an die Erfolge an, die tschechoslowakischer Schmuck auf den Weltausstellungen in Brüssel 1958 und Montreal 1967 errungen hatte. Bei der ersten Weltausstellung nach dem Krieg präsentierte die ČSSR Goldschmuck mit Granat aus Turnov (Turnau), den heimische Professoren an Akademien und Hochschulen hergestellt hatten. Der tschechoslowakische Pavillon ging durch die Weltpresse, im eigenen Land wurde gar ein Briefmarkenset zum Thema Schmuck herausgebracht. Auch 1967 trumpfte das kommunistische Land mit seinem Glas und Schmuck auf. Dagegen blieb ein zweites Symposium 1971 in Jablonec weitgehend unbeachtet, da es nur mit tschechischen und slowakischen Künstlern durchgeführt wurde, während alle Ausländer von der Liste gestrichen wurden, selbst aus dem befreundeten Kuba.
Man dürfe „Jablonec ’68 keinesfalls vergessen“, mahnte stets Hermann Jünger, von 1972 bis 1990 Professor an der Akademie der Bildenden Künste in München und selbst eine zentrale Figur der Veranstaltung in Nordböhmen. Für den international renommierten Gold- und Silberkünstler war sie „einer der wichtigsten historischen Momente.“
Diese Mahnung hat Petra Hölscher, selbst Lehrbeauftragte an der Ludwig-Maximilians-Universität, nicht vergessen. Die Neue Sammlung, das Designmuseum innerhalb der Pinakothek der Moderne in München, präsentiert nun erstmals erneut jene 70 Schmuckobjekte, die während des Symposiums angefertigt wurden. Sie lagerten seit Jahrzehnten in einem Depot im Museum für Glas und Schmuck in Jablonec nad Nisou. Weil das Silber oft schon oxidiert war, wurde eine junge Restauratorin aus Turnov damit beauftragt, die Werke für die Ausstellung „aufzupolieren“.
Autorenschmuck brauchte lange, um sich durchsetzen und fand erst nach dem Zweiten Weltkrieg stärkere Beachtung. Bis heute besetzt diese junge Schmuckrichtung eine Nische. Gleichwohl haben die Arbeiten von Jablonec nach Meinung von Petra Hölscher nichts von ihrer Aura des Außergewöhnlichen und Zukunftsweisenden verloren. Zeitlos ist für sie „der sehr sichere Umgang mit unprätentiösen Materialien, dazu die sehr klaren Formen wie auch die Verwendung kinetischer Elemente.“
Die Ausstellung beginnt am 10. März und ist bis 3. Juni in der Neuen Sammlung zu besichtigen. Von den Künstlern, die in Jablonec dabei waren, werden die Slowakin Darina Horváthová und die Tschechin Libuše Hlubučková in München erwartet. Anschließend ist die große Schau im Bröhan-Museum Berlin zu sehen. Und 2019 im Nordböhmischen Museum (Severočeské muzeum) in Liberec. Dort will sie dann auch Jaroslav Kodeijš noch einmal besichtigen – ein Pionier des tschechischen Schmuckdesigns und Veteran von „Jablonec ’68“.
„Markus von Liberec“
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