Kalenderblatt: 14. März
Vor 65 Jahren: 1953 stirbt Klement Gottwald, der erste kommunistische Staatspräsident der Tschechoslowakei. Die Olschaner Friedhöfe in Prag listen ihn noch heute unter den „bedeutenden Persönlichkeiten“ auf
13. 3. 2018 - Text: Josef Füllenbach, Titelfoto: Bundesarchiv, Bild 183-R90009 / CC BY-SA 3.0
Unter der Überschrift „Stalinisten bitte auf getrennte Listen“ erschien im Jahr 2013 ein Meinungsartikel von Josef Füllenbach, den die „Prager Zeitung“ zum 65. Todestag von Klement Gottwald erneut veröffentlicht. Fünf Jahre später findet der Autor noch immer Grund zur Kritik.
„Die Olschaner Friedhöfe (Olšanské hřbitovy) laden mit ihrem alten und vielfältigen Baumbestand, mit den vielen Kilometern gut unterhaltener Wege und ihren Ruhebänken zu jeder Jahreszeit zum Spazieren und Verweilen ein. Dieser Einladung folge ich oft und gerne. Am Eingang zu diesen altehrwürdigen Friedhöfen begrüßen mich zwei Hinweistafeln. Rechts ermahnt mich die Friedhofsordnung, unter anderem auf Radfahren, Rollschuhe oder Skateboards zu verzichten und das Areal weder im angetrunkenen Zustand zu betreten noch Hunde, Katzen oder sonstiges Getier mitzuführen. Linker Hand präsentiert ein Schaukasten eine Liste weithin bekannter Namen, die in Tschechien ob der hohen und bleibenden Verdienste ihrer verstorbenen Träger den besten Klang haben. Die Namen sind mittels laufender Nummern einzelnen Friedhofsabschnitten zugeordnet. Es fällt also leicht, die betreffenden Gräber aufzusuchen und etwa eine Blume aufs Grab zu legen.
Doch ein näherer Blick auf die Liste versetzte mich neulich in großes Erstaunen: Unter Namen wie Josef Jungmann, der große Sprachforscher und Erwecker der Nation; Radovan Lukavský, einer der bedeutendsten Schauspieler des vergangenen Jahrhunderts; Jan Palach, der 1969 durch seine Selbstverbrennung ein Fanal gegen das Sich-Abfinden mit der sowjetischen Okkupation setzte – unter solchen Namen, bei deren Nennung das Herz eines jeden braven Tschechen höher schlägt, findet sich in schöner alphabetischer Einordnung auch ein gewisser Klement Gottwald. Schon die Römer lehrten ihre Nachkommen: de mortuis nihil nisi bene, über Tote solle man nur wohlwollend reden (oder schweigen). Aber wenn die erwähnte Liste Gottwald in eine Reihe mit Palach, Lukavský, Jungmann und weiteren über vierzig Großen der Nation stellt, dann redet sie nicht wohlwollend, sondern sie lügt. Und dann kann man nicht mehr schweigen.
Der Friedhof ist riesengroß, der größte in Prag. Dass es unter den angeblich rund 100.000 Toten dort so viele Verstorbene gibt, die unser ehrendes Gedenken verdienen, ist erfreulich und gereicht der Stadt und dem Land zur Ehre. Dass sich unter den Vielen auch so mancher namenlose Halunke versteckt, ist wahrscheinlich und unvermeidlich – so sind wir Menschen nun mal. Dass aber die Hochverdienten, die Herausragenden herabgewürdigt werden, indem man sie in die denkbar schlechteste Gesellschaft, nämlich die eines Staatsterroristen und Mörders vieler Unschuldiger einschließlich seiner engsten Freunde stellt, das ist skandalös: Nicht wenige Namen von dieser Liste wären von Gottwald – hätten ihre Träger denn zu Zeiten des ersten kommunistischen Präsidenten der Tschechoslowakei gelebt und gewirkt – mit großer Sicherheit auf seine Todesliste geschrieben oder in den Uranbergwerken von Joachimsthal (Jáchymov) für Jahre ausgelöscht worden.
Wenn es denn überhaupt – was traurig genug wäre – einen Bedarf gibt, den Weg zu jenem Grab zu weisen, dann schlage ich eine zweite, von der ersten deutlich getrennte Liste vor. Auf der können dann die Berüchtigten unter sich bleiben, also Gottwald mit seinen 24 Spießgesellen, die zu Lebzeiten schon mit ihm unter einer Decke steckten und jetzt unter einer – gottlob! – sehr, sehr schweren Grabplatte.“
Die Veranlassung zu diesem Ratschlag für die Prager Friedhofsverwaltung besteht nach fünf Jahren immer noch. Es ist sogar noch schlimmer geworden: Die bescheidenen hölzernen Schaukästen mit der maschinengeschriebenen Liste „bedeutender Persönlichkeiten“ sind inzwischen ersetzt durch Metalltafeln, in die die Namen der Geehrten eingraviert sind. Nicht mehr alphabetisch, wie vormals auf der alten Liste, sondern nach Friedhofsabschnitten. Es sind sogar noch viele weitere Namen hinzugekommen: Jetzt sind insgesamt 170 bedeutende Persönlichkeiten aufgelistet (vorher waren es nicht einmal ein Drittel davon), die auf den Olschaner Friedhöfen ihre letzte Ruhe gefunden haben und deren Gräber der Besucher anhand der Hinweise auf dem riesigen Gelände leicht auffinden kann.
Man könnte versucht sein zu denken, dass die Angelegenheit nun nicht mehr so schlimm ist. Dass der anstößige Name untergeht in dem viel größeren Meer anderer Namen mit angenehmem Klang, dass er kaum noch auffällt, kaum noch Ärgernis erregen kann. Dass es vielleicht sogar eine glückliche Fügung ist, dass jener Mann, der so lange an erster Stelle der Partei, dann des Staates stand und unsägliches Unheil über sein Land gebracht hat, dass dieser Mann sich nun wie jeder andere dort einreihen muss, wohin ihn die Friedhofsordnung verweist. Sozusagen als Symbol dafür, dass wir im Tode doch alle gleich sind.
Und doch bleibt die Frage: Wieso wird Gottwald hier immer noch – und nach der Eingravierung seines Namens auf die Metalltafel wohl für eine halbe Ewigkeit – als „bedeutende Persönlichkeit“ geführt, wenn seine Ehrenbürgerschaft von vielen Gemeinden, einschließlich seiner Heimatgemeinde, annulliert worden ist, sein Name von Straßen und Plätzen gelöscht, seine Statuen beseitigt wurden? Und warum steht hinter seinem Namen schlicht „Präsident der ČSR“? Ist es das, woran wir uns erinnern sollen? Wenn schon „bedeutend“, war er nicht durch andere Taten oder besser: Untaten sehr viel bedeutender? Geradezu einzigartig in der schon langen Reihe der Präsidenten? Und wer hat immer noch Bedarf, in dem Gewirr der Friedhofssektionen den Weg zu ihm zu finden? Und wenn es diesen Bedarf tatsächlich geben sollte, muss man einem solchen Bedürftigen auch noch helfen? Gottwalds Anhänger, die ihm zum Gedenktag frische Blumen aufs Grab gelegt haben, benötigen keine Anleitung und dürften den Weg dorthin auch mit verbundenen Augen gefunden haben. Todsicher.
„Wie 1938“
30 Jahre PZ