Drahtige Transparenz
Die Prager Reithalle zeigt Werke von Karel Malich, einem Meister der Abstraktion
11. 4. 2013 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: kulturanahrade.cz
Ein schmuckloser weißer Stab hängt an einem Nylonfaden inmitten anderer Skulpturen, die scheinbar schwerelos den Ausstellungsraum bestücken. Die Arbeit des inzwischen 88-jährigen Karel Malich trägt den Titel „Závěsná plastika“ („Hängende Plastik“) und steht gewissermaßen symbolisch für den ideellen Charakter seiner Kunst. Es ist das Abstrakte, das den Betrachter zu eigenen Überlegungen und Reflexionen animiert. Und somit neigt man dazu, Malich etwas voreilig in die Schublade „Konzeptkunst“ zu stecken. Dem teilweise von impressionistischen bis kubistischen Einflüssen bereichertem Oeuvre wird man damit aber nicht gerecht. In der Reithalle der Prager Burg stellt nun eine umfassende Schau Malichs Werk aus sechs Jahrzehnten Schaffenszeit vor.
„Sedím a pozoruji oblaku“ („Ich sitze und beobachte die Wolken“) heißt ein Konstrukt, in dem ein faszinierendes Gewirr aus Drähten eine Einheit bildet. Es erlaubt dem Besucher, durch das Werk hindurchzublicken und mit jedem Zentimeter der Standpunktverschiebung eine völlig neue Perspektive zu gewinnen. Was zunächst absurd erscheint, wird mit Dauer der Betrachtung plötzlich einsehbar. Es dauert, bis man im Innern des Gewindes die Konturen einer menschlichen Figur erahnt. Und es braucht Zeit, um sie in den Kontext der gesamten Plastik zu stellen. Der „Aha-Effekt“ stellt sich schließlich ein und man taucht ein in die transparente Welt Malichs. In dieser beschwört der Schöpfer die kosmischen Energien und stellt sie in Bezug zu sich als Teil des Dargestellten.
Zuweilen kann das ganz profan sein, zum Beispiel bei der Skulptur „Ještě jedno pivo?“ („Noch ein Bier?“) aus dem Jahre 1976, in der er lediglich Bier trinkend und rauchend am Kneipentisch zu erfassen ist. So zumindest könnte die Interpretation lauten. Ganz eindeutig in einer solchen verweilt man kaum in Malichs Plastiken. Zu viele Fragen werfen sie auf. Und genauso soll es auch sein.
Vergleichbare Skulpturen gibt es weltweit keine – zumindest in der bekannten Kunstwelt nicht. Malich erscheint als Pionier und hat sein Medium bis zur Perfektion verfeinert. Mehrere Dutzend solcher Draht-Kunstwerke schweben auf Augenhöhe und ermöglichen es dem Betrachter somit, die Skulpturen in ihrem Innern zu erfassen.
Keine Frage ohne Kunst
Man kommt, sofern man in des Künstlers Welt eintaucht, nicht umhin, Malichs Andeutungen transzendentaler Energien ergründen zu wollen. Steht man unter den oben geschilderten weißen Stab und wirft die Frage auf, was daran denn Kunst sein soll, so erhält man die Antwort genau dann, wenn man sich die Stelle ohne das Werk vorstellt: Es gäbe keinen Raum, der durch das Metall geteilt und durchbrochen würde – und somit gar keine Fragestellung.
In den durchsichtigen Plastik-Kuben oder den bunten Zeichnungen Malichs sticht das Streben nach quasi-religiösen Motiven heraus. Zuweilen streift der Künstler das Esoterische. Etwa, in den überdimensionalen Werken wie einem großen, über rund zehn Meter Durchmesser verfügenden Ring, in dem er zweifelhafte bis komische Zitate Prominenter anbringt. Damit schafft er den Turn-Around zur kritischen Konzeptkunst. Letztendlich oszilliert Malich zwischen originellen, in ihrer Ausrichtung eindeutigen Objekten und totaler Abstraktion. Diese Eindrücke werden durch die außergewöhnliche Ausstellungs-Architektur verstärkt. Verantwortlich dafür zeichnete Malichs Schüler Federico Díaz, der des Meisters drahtige Transparenz vortrefflich in Szene setzt.
Malich – Flowing Joy. Reithalle der Prager Burg (U Prašného mostu 3, Prag 1), geöffnet: täglich 10–18 Uhr, Eintritt: 140 CZK (ermäßigt 60 CZK), bis 8. Mai
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