Nicht in meinem Garten
Die Methadon-Station „Drop In“ sucht seit einem Jahr eine neue Bleibe. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
11. 4. 2013 - Text: Klaudia HanischText und Foto: Klaudia Hanisch
Jeden Wochentag zwischen 9.30 und 12 Uhr stehen in der Straße Karolína Světla, unweit von der Karlsbrücke, mehrere Dutzend Menschen Schlange. Es sind fast ausschließlich Männer, sie sind blass im Gesicht, wirken nervös. Sobald sie am Schalter der Drogenhilfestation angekommen sind, wird ihr Name in einen Computer getippt. Dann tröpfelt langsam eine klare Flüssigkeit in einen Plastikbecher. Der Patient trinkt und verabschiedet sich. Für 24 Stunden, bis er am nächsten Morgen wieder kommt.
Was wie ein Schluck Wasser aussieht, ist in Wirklichkeit Methadon, ein vollsynthetisches Opiat. Die Erstatzdroge für Heroin erlaubt es Suchtkranken, den Entzug nicht zu spüren. Es ermöglicht ihnen ein beinahe normales Leben. Bis zu 80 Menschen bekommen im „Drop In“ täglich ihre Ersatzdroge, werden medizinisch und psychologisch betreut.
Seit Anfang 2012 ist die Methadon-Station gefährdet. Nachdem das Rathaus des ersten Stadtbezirks den Mietvertrag auslaufen ließ, musste „Drop In“ nach 15 Jahren die Station in einer Seitenstraße des Wenzelsplatzes räumen. „Wir haben den Bürgermeister Oldřich Lomecký darum gebeten, ob wir nicht wenigstens so lange bleiben dürfen, bis wir einen neuen Ort gefunden haben. Aber er lehnte ab“, erzählt Ivan Douda, Chefpsychologe und Mitbegründer von „Drop In“.
Die Idee, mit einer mobilen Methadonstation in einem Bus mehrere Stadtteile abzudecken, stieß auf wenig Verständnis. Nur der zweite Prager Bezirk war einverstanden, mehrere Monate stand der Bus am Hauptbahnhof. „Dann hat der Unternehmer Grande Stationi, der das Bahnhofsgelände mietet, dem Stadtteil mit einer Klage gedroht“, sagt Douda.
Notlösung mit Rückfallgefahr
Im Herbst kehrte die Methadonstelle in die Karolína Světlá-Straße zurück. Dorthin, wo sie vor 20 Jahren ihren Betrieb aufnahm. Das ist eine Notlösung, von maximal drei Monaten war die Rede. Für Personal und Patienten ist die Situation dort unerträglich. Hier treffen zwei Klienten-Gruppen aufeinander, die getrennt bleiben müssen. Methadon-Patienten begegnen Heroin-Abhängigen, die sich vor Ort mit neuen Spritzen, Nadeln, Vitaminen und Kondomen versorgen. Der tägliche Ansturm macht dem Personal zu schaffen. Suchttherapiepatienten werden mit dem Milieu konfrontiert, von dem sie versuchen, wegzukommen. Die Rückfallgefahr ist groß.
Das Magistrat Prag hat für den Jahreswechsel Räume im Krankenhaus „Na Bulovce“ versprochen. Doch der Umzug musste immer wieder verschoben werden. Die Räume würden erst im September frei, erklärte der Vorsitzende der Antidrogenkomission und Vize-Oberbürgermeister Ivan Kabický kürzlich.
Ivan Douda ist wieder auf der Suche – nach einer neuen, erträglichen Notunterkunft für sein „Drop In“. Für die Odyssee der Methadonstation macht er dabei nicht das Magistrat verantwortlich, dort bemühe man sich sogar, Lösungen zu finden. Meist sind es die Stadtbezirke, die sich quer stellen. Für ihre Argumentation gibt es einen Fachbegriff: NIMBY, „Not In My Backyard“ – zu Deutsch: Nicht in meinem Garten. Suchtkranke, die in der eigenen Nachbarschaft ihre Ersatzdrogen erhalten, darauf ist kaum jemand erpicht. Oft gehen Bürgerinitiativen gegen die Methadonzentren vor. Sie schreiben Petitionen, verteilen Flyer. Bei Kommunalpolitikern finden die Bürger schnell Gehör.
Staatliche Dealer?
Petr Popov, der Chefarzt der Klinik für Suchtkrankheiten an der Karlsuniversität und Mitbegründer eines der ersten Methadon-Programme in Prag erläutert die Folgen dieser Kettenreaktion. Letztendlich käme es zu einer Konzentration von Hilfsprogrammen – und damit von sozialen Randgruppen – in wirtschaftlich schwächeren Wohngegenden.
Vergleichsweise tolerant begegnete man „Drop In“ bislang im zweiten Prager Bezirk. Ein anderes Methadon-Programm der Initiative siedelt dort bis heute. Es dient Suchtkranken, deren Lebenssituation sich bereits stabilisiert hat. Sie gehen arbeiten und bekommen größere Methadon-Dosen, die für mehrere Tage reichen. Die Rückfallgefahr ist bei ihnen geringer. Das Einstiegs-Methadon-Programm, Ivan Doudas Sorgenkind, möchte man aber auch dort nicht. „Zu lange mussten wir daran arbeiten, bis die Bürger überhaupt die Präsenz von „Drop In“ akzeptiert haben“, so Jana Černochová, die Bürgermeisterin von Prag 2. „Leider glauben die meisten Leute, dass solche Institutionen den Drogenmissbrauch fördern.“
Methadonprogramme wurden in Europa großflächig Anfang der 1990er-Jahre eingeführt, als die Anzahl von HIV- und Hepatitis-Infektionen rasant zunahm. Auch „Drop In“ entstand in dieser Zeit. Die Abgabe von Methadon war damals sehr umstritten. Es hieß, der Staat werde zum Dealer. Heute sind sich die Experten einig, dass diese Behandlungen effizient sind. In Prag fällt es vor allem auf Kommunalebene schwer, die bewährten Programme zu etablieren.
Popov pocht auf eine schnelle Lösung für das Methadon-Zentrum von „Drop In“ „Die Ziele der Therapie sind in Gefahr. Wie sollen die Patienten Stabilität erreichen, wenn sie nicht einmal wissen, ob ihre Therapie weitergeht?“, fragt der Suchtarzt. In der Notunterkunft in der Prager Altstadt ist man indes bemüht, wenigstens ein bisschen Gelassenheit und Ruhe in das Methadon-Zentrum zu tragen. In einer Wandnische sitzt ein kleiner Buddha aus Lehm. Wenigstens auf die Angestellten mag sein zufriedenes Lächeln wirken. Für die Patienten dreht sich alles um die klare Flüssigkeit aus dem Automaten. Dann verspüren sie so etwas wie Ruhe. Für einen Tag zumindest.
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