Was verbindet die Europäer?

Was verbindet die Europäer?

2018 ist das Europäisches Kulturerbejahr. Dafür starten in den nächsten Wochen Projekte in Tschechien und Deutschland. Manche Initiative verbindet beide Länder

3. 4. 2018 - Text: Klaus Hanisch

„Sharing Heritage“ (Kulturerbe teilen) lautet das Motto dieses Europäischen Kulturerbejahres. Mit ihm will die Europäische Union der Europa-Verdrossenheit entgegenwirken und die Bürger des Kontinents wieder ein Stück näher zusammenbringen. Zahlreiche Projekte stellen das gemeinsame kulturelle Erbe heraus, ebenso die historischen Wurzeln und die europäische Geschichte. Für ihn sei Europa schließlich „mehr als Binnenmarkt und Euro“, betonte vorab Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, es gehe „immer um Werte.“

Viele waren in den vergangenen Monaten aufgefordert, das Kulturerbejahr durch eigene Initiativen zu bereichern. Öffentliche wie private Träger, Städte und Gemeinden, Museen, Gedenkstätten, Archive, Bibliotheken oder Verwaltungen, Vereine, Fachgesellschaften, Förderkreise – praktisch jeder konnte Vorschläge für Veranstaltungen auf einer Plattform eintragen. Genauso stand sie Bürgern offen, die eine Idee hatten, um das kulturelle Erbe in Europa einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen.

Einen Themenschwerpunkt bildet die „Europäische Stadt“. Sie war und ist nicht nur der Lebensmittelpunkt für einen Großteil der Europäer, sondern ein permanenter kultureller Schmelztiegel und zuweilen ein Konfliktherd. Damit lässt sie viele Rückschlüsse zu, gerade auch angesichts aktueller gesellschaftlicher und politischer Herausforderungen. Was waren früher und sind heute die entscheidenden Elemente einer Europäischen Stadt und wie wird sie im 21. Jahrhundert aussehen? Nur zwei von mehreren Fragen, die im Europäischen Kulturerbejahr gestellt werden. Untersucht wird auch, wie Städte auf Ausdünnung und Verdichtung reagieren, auf kulturelle Vielfalt, Migrationsbewegung und den demografischen Wandel.

In Tschechien ist die „weiße“ Stadt ein Beispiel dafür. „Das mährische Brünn im Zeichen der Moderne“, lautet der Arbeitstitel. Das Ende des Ersten Weltkriegs brachte der Tschechoslowakei die Unabhängigkeit – die damalige Aufbruchstimmung spiegelte sich in der Architektur wider. In Brünn fällt die Vielzahl an Architekten der Moderne und Bauwerken des Funktionalismus auf. Mit der Masaryk-Universität, kurz nach Ausrufung des tschechoslowakischen Staates gegründet, besaß die Stadt frühzeitig eine Architektenschmiede. Die neue Bauweise mit schnörkellosen und zweckmäßigen Gebäuden sollte Distanz zur langen Fremdherrschaft und dem barocken Erbe der Habsburgermonarchie schaffen, aber auch zur aristokratisch oder bürgerlich geprägten Salonkultur.

Im Gegensatz zu Prag, wo man zunächst am Traditionalismus des deutsch-tschechischen Zusammenlebens festhielt, sagte sich Brünn nach Ausrufung der Unabhängigkeit schneller von der Vergangenheit los. Präsident Tomáš Garrigue Masaryk plädierte für ein einfaches und gesundes Wohnen als grundlegende Aufgabe der Zeit. Damit unterstützte er von höchster Stelle die wichtige Rolle des Funktionalismus für die nationale tschechoslowakische Architektur.

Vom 1. bis 5. Mai wollen Studierende der Bauhaus-Universität Weimar die reiche funktionalistische Architektur dieser „weißen Stadt“ erkunden. Und ebenso die damit einhergehende Geisteshaltung – nämlich den politischen und gesellschaftlichen Willen zur Neugestaltung in den 1920er Jahren. Neben Besichtigungen und Diskussionen mit Experten zeichnen sie die gut dokumentierten Baudenkmäler, ihre Arbeiten werden zum Auftakt des Bauhaus-Jubiläums 2019 im Foyer ihrer Universität ausgestellt. Projektträger sind das Deutsche Kulturforum östliches Europa (Potsdam) und die Bauhaus-Universität.

Blick auf den Brünner Comenius-Platz (Komenského náměstí) mit Gebäuden der Masaryk-Universität  | © Martin Nováček, CC BY-SA 4.0

Ein weiteres Leitthema ist „Europa: Austausch und Bewegung“, das sich mit europäischen Handelsrouten und Kulturwegen beschäftigt. Schon lange besteht der Kontinent aus einem dichtem Netz vielfältiger Beziehungen, seit jeher war er durch den Austausch von Waren und Gütern geprägt. Archäologische Zeugnisse, bauliche Strukturen und kulturelle Praktiken machen die Bedeutung von Europas Routen, Wegen und Achsen deutlich.

Ganz besonders gilt das an Nürnberger Fernhandelsstraßen. Deshalb erinnert der historische Verein Altnürnberger Landschaft an ihre Bedeutung für den kulturellen Austausch unter europäischen Regionen – und damit auch an ihre identitätsstiftende Wirkung. Über Jahrhunderte hinweg haben Künstler, Handwerker, Gelehrte und Unternehmer von Nürnberg aus Ideen und Erzeugnisse in alle Welt getragen. Wobei in der Stadt schon seit dem Mittelalter europäisch gedacht wird. In der Stauferzeit war sie Mittelpunkt der Straße vom Elsass über Schwaben zur Pfalz Eger, die Verbindung zwischen Nürnberg und Prag war bereits unter Kaiser Karl IV. im 14. Jahrhundert von großer Bedeutung. Nürnberger Unternehmer engagierten sich im Mittelalter in der Steyrer Eisen- und der böhmischen Kupferproduktion.

Der Verein bietet ein Exkursions- und Veranstaltungsprogramm an, um Baudenkmäler an alten europäischen Verkehrswegen zu besichtigen und ihre Geschichte zu entdecken. So führt eine Bustour vom 31. Mai bis 3. Juni auf die Goldene Straße zwischen Ohře (Eger) und Mže (Mies). Gerade die Straßen nach Prag waren viele Jahrhunderte lang von großer wirtschaftlicher, kultureller und politischer Bedeutung für die Reichsstadt Nürnberg. Ein Geflecht von Trassen gewährleistete den Verkehr zwischen hier und der Hauptstadt des Königreichs Böhmen. Bei der Exkursion steht jene Route im Vordergrund, die von Kaiser Karl IV. schon im 14. Jahrhundert begünstigt wurde. In der Landschaft zwischen den Flüssen Eger und Mies ist eine große Zahl interessanter Kulturdenkmäler erhalten. Die wichtigsten sind das Kloster Teplá (Tepl) (https://www.pragerzeitung.cz/index.php/home/reisen/20120-im-reich-der-ordensbrueder), die Burgen Bečov nad Teplou (Petschau) und Loket (Elbogen) oder Naturschönheiten wie das Naturschutzgebiet von Soos.

Burg und Schloss Bečov an der Tepl  | © Lucie Krotilová, CC BY-SA 3.0

Bei einer weiteren Busfahrt am 14. Juli machen sich Teilnehmer auf die Suche nach mittelalterlicher Baukultur an der Goldenen Straße zwischen Naab und Böhmen. Mehrere Straßen verbanden über Jahrhunderte Nürnberg mit Prag, Pilsen und anderen böhmischen Städten. Zur Zeit Kaiser Karls IV. wurde zeitweise die Route über Hirschau und Bärnau gefördert, die seit dem 16. Jahrhundert wegen der florierenden Handelsbeziehungen als Goldene Straße überliefert ist. In der Durchgangslandschaft östlich der Naab erinnern bis heute mächtige Burgen daran, dass ihre Erbauer Zeichen der Macht setzten. Etwa Trausnitz oder Flossenbürg. Geplant ist zudem ein Besuch im neuen Archäologiepark von Bärnau.

Das Thema „Europa: Austausch und Bewegung“ bringt Tschechien und Deutschland auch bei einem anderen Projekt zusammen, nämlich über die Zisterzienser in Mitteleuropa. Ihr Orden breitete sich mit Beginn des 12. Jahrhunderts schnell über das gesamte lateinisch-christliche Europa aus und errichtete bis zur Säkularisation über 750 Männerabteien und 1.000 Nonnenklöster. Diese dynamische, europäische Bewegung entstand nach einheitlichen Vorgaben von Bernhard von Clairvaux. Das Projekt vernetzt nun das Mutterkloster Morimond (Frankreich) mit Klöstern in Plasy (Westböhmen), Ebrach (Oberfranken), Waldsassen (Oberpfalz) sowie Zwettl und Stift Rein (Österreich). Zum Kulturerbe der Zisterzienser zählen nicht nur Kunst, Literatur und Architektur, sondern auch Kulturlandschaften. Fachleute erkennen noch heute problemlos ihre Spuren, etwa alte Wegenetze, Fischteiche und Bewässerungsvorrichtungen, ebenso land- und forstwirtschaftliche Nutzungsformen oder auch Pilgerwege. Sie ergänzen weithin sichtbare Kapellen oder prachtvolle barocke Amtsschlösser und Stadthöfe des Ordens. Das Sharing-Heritage-Projekt hat das Ziel, die historische Prägung auch Laien sichtbar zu machen.

Durchgeführt wird das Projekt vom Landkreis Bamberg in Zusammenarbeit mit europäischen Partnern aus Politik, Denkmalpflege und Kirche in den jeweiligen Ländern. In sechs mehrsprachigen Ausstellungen, die von Juni bis September 2018 in Ebrach, Waldsassen, Plasy, Rein, Zwettl und Morimond zu sehen sind, wird das Thema Vielfalt und Einheit der zisterziensischen Landschaften nachvollziehbar. Die europaweite Eröffnung der gemeinsamen Ausstellung findet am 1. Juni 2018 im Kloster Ebrach (Landkreis Bamberg) statt. „Die internationale Vernetzung hat hervorragend funktioniert und die Motivation ist bei allen Beteiligten sehr hoch, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in unseren zisterziensischen Landschaften zu entdecken“, freute sich bereits der Bamberger Landrat Johann Kalb.

Dazu werden ab Juni 2018 auch Exkursionen und Führungen durchgeführt. Auf GPS-gestützten Routen durch die Klosterlandschaften und bei geführten Touren an allen Klosterstandorten werden Überlieferungen der Zisterzienser erläutert. Teilnehmer einer Fachtagung stärken dazu die wissenschaftliche Vernetzung und veröffentlichen anschließend ihre gemeinsamen Erkenntnisse. Mit all diesen Projekten will man neben dem speziellen Zisterzienser-Thema auch die übergeordnete europäische Idee der Landschaftsgestaltung verdeutlichen. Menschen, die dort leben, wie auch Besucher sollen erfahren, dass trotz unterschiedlicher Sprachen und regionaler Kulturen immer eine Basis besteht, die gemeinsames Erbe und gegenseitige Anknüpfungspunkte erkenntlich machen, wie es in der Ausschreibung heißt. Allein das Projekt „Vielfalt in der Einheit – Zisterziensische Klosterlandschaften in Mitteleuropa“ hat ein Volumen von 300.000 Euro.

Ehemaliges Zisterzienserkloster in Plasy (Plaß)  | © NPÚ, www.klaster-plasy.eu

In einer unübersichtlichen Welt habe die Europäische Union bereits Einmaliges erreicht, betonte Kommissionspräsident Juncker, nämlich den Frieden nach innen und außen über viele Jahrzehnte zu sichern. Und ebenso Wohlstand für viele, wenn auch nicht für alle. Daran möge 2018 auch mit diesem Fest der kulturellen Vielfalt erinnert werden, bat der Luxemburger.


Infos zum Europäischen Kulturerbejahr: www.sharingheritage.de
Tschechische Homepage: www.mkcr.cz