Legitime Geschichtspolitik
Historiker Matěj Spurný hält die Worte von Petr Nečas für Wahlkampfrhetorik
24. 4. 2013 - Text: Martin Nejezchleba
Matěj Spurný hat die sozialistische Tschechoslowakei als Kind erlebt. Vielleicht fällt es ihm gerade deshalb leicht, die Geschichte dieses Regimes ohne große Emotionen zu betrachten. Spurný ist Historiker am Institut für Zeitgeschichte an der Akademie der Wissenschaften. Dort beschäftigt er sich unter anderem mit Ideologie und Legitimierung des Sozialismus in seiner Heimat. Mit PZ-Redakteur Martin Nejezchleba sprach er über die Diskussion um die jüngsten Geschehnisse am Institut für die Erforschung totalitärer Regime (ÚSTR). Er nennt sie hysterisch.
Laut ODS verfolgt die ČSSD mit der Neubesetzung des Instituts für die Erforschung totalitärer Regime (ÚSTR) ein konkretes Ziel. Es heißt, man bereite den Weg für eine Unterwanderung des Staatsapparats durch die Kommunisten. Die würden dann im Gegenzug eine zukünftige sozialdemokratische Regierung unterstützen. Ist es faktisch überhaupt möglich, das Archiv der Staatssicherheit unter Verschluss zu halten?
Spurný: Nein. Momentan ist das sicher nicht möglich. Das ginge nur über eine Gesetzesänderung, die wohl nur eine absolute Mehrheit der KSČM im Senat durchbringen würde. Die Sozialdemokraten sind im Übrigen sicher nicht daran interessiert, die Kommunistische Partei zu stärken. Die Hysterie um die Geschehnisse im Institut werte ich als Versuch der ODS, in der Gesellschaft einen erneuten antikommunistischen Konsens zu wecken. Das geschieht in einer Zeit, in der die Bürgerdemokraten aus ganz anderen Gründen in einer großen Krise und im Umfragetief stecken. In dieser Hinsicht ist das Ganze ein rein politisches Spiel.
Wenn also das ÚSTR ein Spielball der politischen Mächte ist, wäre es dann nicht am besten, das Institut völlig von der politischen Einflussnahme abzukapseln?
Spurný: Das Institut ist als politische Einrichtung entstanden. Es ist Teil der sogenannten Geschichtspolitik. Unabhängige Einrichtungen zur Erforschung der jüngsten Geschichte haben wir bereits. Das ist etwa das Institut für Zeitgeschichte an der Akademie der Wissenschaften oder Einrichtungen an den entsprechenden Lehrstühlen. Dort wird Wissenschaft auf gutem Niveau betrieben. Das ÚSTR ist etwas völlig anderes. Es wäre sinnlos, daraus ein unabhängiges wissenschaftliches Institut zu machen. Da wäre es sicher besser, die Gelder auf die anderen Einrichtungen zu verteilen. Geschichtspolitik ist etwas, was in allen demokratischen Staaten legitim betrieben wird.
Sie dient der Festigung demokratischer und humanitärer Ideale. Entsprechende Institute werden durch den Staat finanziert und durch die Politik kontrolliert. Problematisch ist aber, dass das Institut direkt aktuellen politischen Tendenzen unterliegt. Sobald sich die Mehrheitsverhältnisse im Senat ändern, erfährt auch das ÚSTR eine Umstrukturierung. Wenn es aber so etwas wie eine Geschichtspolitik geben soll, dann wäre es sinnvoll, einen Konsens quer durch das politische Spektrum darüber zu finden, wie eine solche Geschichtspolitik langfristig auszusehen hat. Und dann sollte man die direkte politische Einflussnahme verringern.
In einem unlängst veröffentlichten Kommentar haben Sie die Arbeit des Instituts für die Erforschung totalitärer Regime mit Propaganda verglichen. Dieser Begriff treffe die Arbeit des ÚSTR besser als der Begriff der wissenschaftlichen Arbeit. Warum denken Sie das?
Spurný: Das haben Sie jetzt etwas zugespitzt formuliert. Nicht alles, was das ÚSTR macht, ist Propaganda. Aber schon im Gesetz ist klar definiert, was die Forschungen am ÚSTR zu Tage fördern sollen. Es soll das kommunistische Regime als verbrecherisches und unmenschliches Regime aufdecken. Das wichtigste Thema soll dabei der repressive Apparat sein. Mit einer solchen Aufgabenstellung können sie schwerlich unabhängige Wissenschaft betreiben. Und das ÚSTR soll vielleicht auch gar kein Ort für unabhängige Wissenschaft sein.
Vielmehr sollte es ein Ort sein, an dem ein spezifisches Archiv verwaltet wird. Der Staat sollte mittels einer solchen Institution eine gewisse Form der politischen Bildung betreiben. Was ich sage, ist, dass das Institut den Eindruck einer unabhängigen wissenschaftlichen Einrichtung erwecken möchte. In der Praxis bietet es dafür aber keinen Raum.
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