Déjà-vu in der tschechischen Gauck-Behörde
Mit dem politischen Streit um das Institut für die Erforschung totalitärer Regime wiederholt sich die Geschichte
24. 4. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Nancy Waldmann
Auf den ersten Blick wirkt die Empörung des Premiers zwar überspitzt, aber glaubwürdig. Petr Nečas (ODS) bezichtigte die Opposition in den vergangenen Wochen mehrmals des Versuchs, die totalitäre Geschichte des Landes nach Gusto der Linken auslegen zu wollen. Mittel zum Zweck sei es, das Personal des Instituts für die Erforschung totalitärer Regime (ÚSTR) auszutauschen. Die Ereignisse der letzten Tage sprechen für ein solches Szenario.
Bereits Mitte März übte Nečas ungewohnt scharfe Kritik an der von der sozialdemokratischen Opposition dominierten oberen Parlamentskammer. Der Senat hatte bei der Wahl des Institutsrates seine Kandidaten gegen die der ODS durchgesetzt.
Was darauf folgte bezeichnet Nečas als „Links-Putsch“, der den „zukünftigen problemlosen Eintritt kommunistischer Kader in die Staatsverwaltung“ ermöglichen solle. Kurz nachdem der neue Rat zusammengestellt war, folgte die Entlassung des Institutsleiters Daniel Herman. Aus Protest gegen diesen Schritt trat der wissenschaftliche Beirat geschlossen zurück. Am vergangenen Donnerstag kündigte die neue Direktorin Pavla Foglová dann an, sie wolle die Leiterin des Staatssicherheits-Archivs (ABS) abberufen – das Herzstück des Instituts und Fundgrube für jene, die Politiker wegen ihrer Stasi-Vergangenheit anschwärzen möchten.
Es ginge darum, eine effektive Zusammenarbeit zwischen Institut und Archiv sicherzustellen, sagt Foglová. Es ginge darum, den Wünschen der Links-Parteien nachzukommen, sagen Kritiker. Nečas und Herman sind sich einig, dass von Anfang an um das Geheimdienst-Archiv gefeilscht wurde: Die Kommunistische Partei habe von den Sozialdemokraten die Kontrolle über diese gefordert, dafür müsse die KSČM jedoch eine kommende sozialdemokratische Regierung stützen. Mit dem ABS unter Verschluss könne dann der Staatsapparat mit einstigen Geheimdienstlern und Funktionären infiltriert werden. Für den Vize-Vorsitzenden der ČSSD Lubomír Zaorálek sind das Hirngespinste der Konservativen, für den einstigen sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidaten Jiří Dienstbier „rechter Bolschewismus”.
Normalisiertes Institut?
Die Fronten zwischen Politikern und Wissenschaftlern verhärten sich. Ein Blick in die Geschichte der recht jungen Institution, die gewöhnlich mit der deutschen Gauck-Behörde verglichen wird, würde allerdings genügen, um die Wogen zu glätten. Die Politiker scheinen vergessen zu haben, mit welchen Intentionen das ÚSTR gegründet wurde. „Wer sich der Geschichte nicht erinnert, ist gezwungen sie zu wiederholen“, lautet der Einleitungssatz des Gesetzes, dass im Februar 2008 zur Gründung führte. Die Chronologie der politischen Entscheidungen um das Institut jedoch gleicht einem einzigen Déjà-vu.
Bereits fünf Direktoren leiteten das Institut während seiner fünfjährigen Existenz. Nachdem die Einsicht von Stasi-Akten über Jahre lediglich theoretisch möglich war, entschied das Parlament im Sommer 2007 über die Errichtung des Instituts. Die Aufgabe: die unparteiische Erforschung und Bewertung der „Zeit der Unfreiheit“ und „antidemokratischen und strafbaren Aktivitäten von Staatsorganen der Geheimdienste“ sowie die Veröffentlichung und Digitalisierung von Dokumenten aus dieser Zeit.
Der Senat wählt den Institutsrat. 2007 beherrschten die Bürgerdemokraten das Oberhaus, Pavel Žáček wurde Institutsleiter. Als dieser 2010 vom Rat abberufen wurde, brach ein Wortkrieg aus, der sich heute wiederholt. Jiří Pernas, Žáčeks Nachfolger, wurde wegen seines früheren Besuchs der „marxistisch-leninistischen Abendschule“ kritisiert. Die Bürgerdemokraten warnten vor einer „Normalisierung“ des Instituts. Schließlich wurde Pernas ein Plagiatsskandal zum Verhängnis.
Nach einem weiteren Wechsel galt der katholische Pfarrer Herman vielen als Hoffnungsträger für eine Wiederherstellung des ramponierten Images. Vergleiche zu Joachim Gauck wurden gezogen. Herman machte sich vor allem für eine lückenlose Veröffentlichung der Stasi-Akten stark. Eine Leistung, die auch der Historiker Matěj Spurný dem Institut positiv anrechnet. „Allerdings wird hierbei mehr Quantität als Qualität angestrebt“, kritisiert Spurný im gleichen Atemzug.
Vom Gas gehen
Nichtsdestotrotz, das Institut erfülle damit eine seiner Hauptaufgaben. Tschechien verfügt dabei im Vergleich zu seinen Nachbarn um eines der liberalsten Gesetze, was den Zugang zu Archivmaterialien des Geheimdienstes betrifft. Praktisch jeder kann auf die Akten zugreifen, eine Beschränkung auf Opfer des Regimes existiert – im Gegensatz zur deutschen Behörde des Beauftragten für Stasi-Unterlagen – nicht. Schon deshalb halten viele die jüngsten Aussprüche von Nečas für politisch motiviert und übertrieben. Ein Verschluss der Dokumente ließe sich nur mit einer Novelle des Archivgesetzes erreichen.
„Wir fordern die Politiker auf, vom Gas zu gehen“, schreibt der Gewerkschaftsverband der staatlichen Behörden und Organisationen in einem offenen Brief und stellt sich indirekt hinter die neue Leiterin Foglerová. Sie handle im Rahmen des gesetzlichen Spielraums. Eine Beruhigung der Situation um das Institut ist jedoch bei Weitem nicht in Sicht. Herman bezeichnet seine Abberufung als illegitim, da sie weder mit den Gewerkschaften verhandelt wurde, noch habe man ihm eine andere Stelle im Institut angeboten. Er fordert eine Entschuldigung und erwägt rechtliche Schritte einzuleiten. Am Dienstag tauchten in den Medien dann Anschuldigungen wegen unlauterer Geschäfte auf, die Foglová in den neunziger Jahren abgewickelt haben soll. Ausgerechnet die ODS soll ihrer damaligen Firma zu Schwarzgeldern verholfen haben.
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