„Es gibt neue Trennlinien“
Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds fördert seit 20 Jahren Projekte und Begegnungen. Mittlerweile ist er aber auch selbst Akteur und setzt Themen, so Geschäftsführer Tomáš Jelínek im PZ-Interview
6. 12. 2018 - Text: Klaus Hanisch
PZ: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stellte erst kürzlich die Arbeit des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds heraus, als er zur Gründung der Tschechoslowakei vor 100 Jahren gratulierte. Viele halten den Fonds für den wichtigsten Mosaikstein in den deutsch-tschechischen Beziehungen. Sehen Sie das auch so?
Tomáš Jelínek: Es gibt eine Reihe wichtiger Steine in diesem Mosaik und ich freue mich, dass wir dazu gezählt werden. Das trifft sicher auch zu, weil der Fonds wesentlich dazu beiträgt, dass die abstrakten zwischenstaatlichen Beziehungen in eine tagtägliche Zusammenarbeit münden. Unser Auftrag ist, dass sich Tschechen und Deutsche kennenlernen, Kontakte knüpfen, gemeinsam etwas schaffen. Zusammen vielleicht eine Kirche renovieren, um ein Beispiel zu geben. Solche Erfahrungen lösen positive Emotionen aus, und die sind sehr wichtig für gute Beziehungen zwischen beiden Ländern.
Der Fonds ist fraglos einer der finanzstärksten Akteure innerhalb dieser Beziehungen. In den vergangenen 20 Jahren hat er mehr als 10.000 Projekte mit rund 57 Millionen Euro unterstützt. Welche Schwerpunkte setzen Sie damit?
Wir haben zwei Prioritäten: Jugend und Kultur. Investitionen in die Jugend sind für die Zukunft der deutsch-tschechischen Beziehungen enorm wichtig, das braucht man nicht weiter zu vertiefen. Kultur ist deshalb so bedeutend, weil sie am schönsten und einfachsten Brücken zwischen Menschen schlagen kann, ob in der Musik, Tanz, Literatur oder Bildender Kunst. Ansatz ist stets, Menschen zusammenzuführen.
Wie soll das in der Kultur konkret gelingen?
Das Prager Theaterfestival der deutschen Sprache ist ein schönes Beispiel dafür. Denn es erweitert den Horizont. Es ist eine künstlerische Reflexion auch des aktuellen Geschehens im Nachbarland. Dafür ist Kultur unersetzlich. Zudem ist sie ein Mittel. So können Tschechen und Deutsche zum Beispiel gemeinsam ein Musikstück einstudieren und künstlerisch etwas schaffen.
Nicht jeder, der einen Antrag stellt, bekommt tatsächlich Geld. Wie ist das Verhältnis zwischen angenommenen und abgelehnten Anträgen?
In unserer Satzung ist eine Ko-Finanzierung festgeschrieben. Das heißt, dass wir 50 bzw. 70 Prozent der Kosten übernehmen. Umso mehr Projekte können wir fördern. Und wir versuchen deshalb, keine zu großen Hürden für Anträge zu stellen. Insbesondere für kleinere. Deshalb wird nur ein Fünftel der Anträge ganz abgelehnt. Wir gehen nicht davon aus, dass Menschen immer automatisch Lust darauf haben, deutsch-tschechische Initiativen umzusetzen. Deshalb lehnen wir auch ein Projekt nicht sofort kategorisch ab, wenn es nicht genau passt. Vielmehr versuchen wir, den Enthusiasmus des Antragstellers zu nutzen und Ratschläge zu geben, damit zumindest ein Teil davon gefördert werden kann.
Können Sie ein konkretes Beispiel dafür geben?
Wenn etwa ein Prager Theaterensemble ein Stück von Bertolt Brecht in Tschechien aufführen will, dann ist das zu wenig und es erfüllt nicht unsere Kriterien. Wir wollen Menschen zusammenbringen. Daher gibt es für dieses Projekt zwei Möglichkeiten: entweder versucht das tschechische Ensemble, dieses Stück mit Übertiteln in Deutschland zu präsentieren. Oder es arbeitet mit deutschen Schauspielern zusammen und entwickelt Ideen weiter.
Wenn man einen Blick in Ihren Etat warf, fiel in der Vergangenheit auf, dass manche Projekte sehr viel Geld bekamen und andere recht wenig. Wer entscheidet über die Förderung und deren Höhe?
Grundsätzlich gilt für die Höhe, dass die sich nach dem vorgelegten Antrag, nach der beantragten Summe richtet. Diese kann auch bei ähnlichen Projekten recht unterschiedlich sein. Zuweilen können Städtepartnerschaften bei einem Projekt schon auf eine starke Unterstützung der Kommunen bauen oder Vereine einen Sponsor vor Ort vorweisen. Dann müssen oft nur noch kleinere Lücken geschlossen werden, für Reisekosten zum Beispiel. Andere sind dagegen schon froh, wenn sie eine 50-prozentige Ko-Finanzierung bekommen. Dann wird vom Zukunftsfonds eine höhere Summe zur Verfügung gestellt.
Würden pauschale Beträge nicht mehr Sinn ergeben?
Das haben wir speziell bei der Jugendförderung überlegt: so viel Geld für so viele Kinder, zum Beispiel. Aber die Projekte sind zu heterogen. Zuweilen wohnen die Kinder bei Gastfamilien und brauchen kein Geld für eine Unterkunft. Die Entfernungen oder das Programm sind auch unterschiedlich. Mit Pauschalen würde man also möglicherweise verhindern, dass nach besseren, günstigeren Lösungen gesucht wird. Deshalb hat es mehr Sinn, jedes Projekt individuell zu prüfen.
Mancher Antragsteller beklagte, dass er nur die Hälfte der erhofften Summe bekam. Auf welche Weise werden Gelder genau bewilligt?
Das geschieht in drei Stufen. Ein Antrag wird zunächst von einem Referenten bearbeitet und begleitet. Er schreibt eine Stellungnahme und empfiehlt eine bestimmte Summe. Dann prüfen Petra Ernstberger und ich als Geschäftsführer, ob unsere Förderrichtlinien eingehalten werden. Dazu nehmen wir uns jedes Projekt vor, auch die kleinsten. Wir geben unser Okay und falls nicht, besprechen wir es erneut mit dem Referenten. Dann geht jedes Projekt in den Verwaltungsrat mit vier Tschechen und vier Deutschen, dort wird darüber abgestimmt.
Aus dem Fonds selbst gab es Stimmen, dass sich die Förderung zu sehr auf Prag konzentriere. Steht die Hauptstadt zu sehr im Fokus?
Die Statistiken, die wir uns regelmäßig ansehen, geben ein anderes Bild ab. Zwar ist richtig, dass Tschechien relativ auf Prag zentriert ist und sich vieles auf die Hauptstadt konzentriert. Die Projekte des Zukunftsfonds spielen sich jedoch überdurchschnittlich oft außerhalb Prags ab. Allein schon historisch bedingt liegen Schwerpunkte unserer Arbeit auch im Grenzgebiet. Das sind im Grunde alle Renovierungsprojekte. Auch die Jugendarbeit ist breit gestreut.
Betrifft diese Kritik möglicherweise die Kulturarbeit?
Auch in dieser Hinsicht schauen wir darauf, dass es Partner in den Regionen gibt. Etwa die Regionalgalerie in Liberec oder Depo 2015 in Pilsen. Das sind keine kleinen Initiativen, sondern Akteure mit einem sehr breiten Wirkungskreis. Das trifft auch auf Mähren zu, etwa die Germanisten in Olomouc oder die Janáček-Philharmonie in Ostrava. Mich wundert, dass dieser Eindruck entsteht. Ich würde sogar sagen, dass wir gezielt gegen diesen „Pragozentrismus“ vorgehen, indem wir systematisch in die Regionen gehen. Das zeigt ganz aktuell auch unser Jahresthema für 2019.
Worum wird es gehen?
Das Motto lautet: „Mach mit – Trennlinien in der Gesellschaft überwinden“. Wir haben dieses Thema gewählt, weil wir glauben, dass die Hürden, sich an einem grenzüberschreitenden Austausch zu beteiligen, außerhalb Prags und außerhalb größerer Städte größer sind. Das gilt übrigens auch für andere Schultypen als Gymnasien.
Antragsteller klagten zuweilen auch über Gängeleien bei Formularen, nur weil ein oder zwei Worte vergessen wurden. Agiert der Fonds zu bürokratisch?
Das muss eine Erfahrung mit einer anderen Institution gewesen sein! Wir bekommen vielmehr Rückmeldungen, dass wir sehr einfach handeln im Vergleich zu anderen Institutionen, die Fördermittel vergeben. Wir sind online erreichbar und wollen keinesfalls eine „Antragslyrik“, sondern ein Mindestmaß an Bürokratie, insbesondere bei kleineren Summen. Zu unserem Profil gehört, dass wir keinesfalls Lehrer oder kleine Vereine bei Austauschprojekten oder im Jugendbereich demotivieren wollen. Deshalb haben wir auch unser Programm „Auf geht’s“ erweitert.
Inwiefern?
Wer zum ersten Mal einen Antrag stellt, bekommt bei einem kleineren Projekt eine Starthilfe auch außerhalb unserer Fristen. Wir haben vier feste Antragsfristen. Wenn sich aber Partner gerade erst kennengelernt haben und einen Austausch kurzfristig organisieren können, müssen sie nicht einmal die drei Monate warten, sondern können Mittel sofort beantragen. Möglich ist seit diesem Jahr auch, Mittel schon für die Vorbereitung eines Projektes zu erhalten. Wir haben bemerkt, dass oft kein Geld für eine Reise oder Unterkunft vorhanden ist, um ein Projekt in Deutschland oder Tschechien voranzubringen. Das wollten wir ändern.
Ihr Fonds war erst auf zehn Jahre angelegt, im Sommer feierten Sie 20-jähriges Bestehen. Im Koalitionsvertrag 2013 sicherten Union und SPD dem Deutsch-Tschechischen Gesprächsforum und dem Zukunftsfonds eine Perspektive über 2017 hinaus zu. Wie lange ist der Fonds nun konkret gesichert?
Man blieb in der guten Tradition, Finanzmittel für weitere zehn Jahre zur Verfügung zu stellen. Wie 1997 und 2007. Damit ist der Fonds für weitere zehn Jahre gesichert. Wir erhalten insgesamt 35 Millionen Euro – 25 Millionen von der deutschen und zehn Millionen von der tschechischen Seite.
In Deutschland wird seit Jahren über den Fortbestand des Förderprogramms „Aufbau Ost“ für die neuen Bundesländer diskutiert. Empfinden Sie die stete Diskussion um die Zukunft Ihres Fonds ähnlich?
Ich würde das nicht mit der Debatte um den Aufbau Ost vergleichen. Eher wird unser Fonds als ein positives Beispiel im Kontext mit Griechenland gesehen. Als eine Institution, die sich nicht nur mit der schwierigen Geschichte befasst, sondern auch die künftigen gegenseitigen Beziehungen dauerhaft positiv beeinflusst. Anders als ähnliche Fonds in Polen oder Frankreich ist der Zukunftsfonds aber nicht auf unbefristete Dauer angelegt.
Ist es für Sie im Vergleich mit denen nicht frustrierend, alle zehn Jahre um den Fortbestand Ihres Fonds bangen zu müssen?
Wir haben zwar den Nachteil, dass unsere Zukunft nicht unbefristet gesichert ist. Aber ich sehe das auch als Vorteil. Denn wenn eine Institution dauerhaft gesichert ist, kann es für sie schwieriger sein, sich weiter zu entwickeln. Wir dagegen müssen stets produktiv bleiben. Schon die Debatte um eine Verlängerung setzt neue Akzente und Entwicklungsprozesse in Gang. Es gab heftige Debatten um Gründung und Notwendigkeit des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds im Jahr 1997, dabei spielte auch die Entschädigung von NS-Opfern eine wichtige Rolle. Doch schon 2007 wurde bestätigt, dass unsere Fördertätigkeit sehr sinnvoll ist.
Und das hat sich 2017 wiederholt?
Im Jahr 2017 war es wichtig, dass sich der Fonds selbst zu einem sehr aktiven Akteur entwickelt hat und dabei hilft, Themen konkret zu benennen, die Konfliktpotenzial haben. Dabei geht es dann nicht mehr nur um Geschichte und Begegnungen, sondern um eine gemeinsame Suche nach Lösungsansätzen, etwa bei der Drogenproblematik im Grenzgebiet. Auch im Dialog über das schwierige Migrationsthema hat der Zukunftsfonds mitgeholfen. Es geht also um Themen, wo wir wissen müssen, wie die deutsche oder tschechische Gesellschaft tickt, damit keine Stereotypen entstehen und eine schwarz-weiße Wahrnehmung nicht verstärkt wird.
Wie sehr wird und wurde in Tschechien über den Fortbestand des Fonds diskutiert?
Der Fonds wurde weder in Tschechien noch in Deutschland infrage gestellt. Als 2013 im Koalitionsvertrag in Berlin festgehalten wurde, dass die Zukunft des Fonds gesichert ist, wurde im gleichen Jahr im Koalitionsvertrag in Prag festgeschrieben, dass Deutschland der strategische Partner Tschechiens ist. Und das bedeutet, dass eine Institution wie der Zukunftsfonds hierzulande finanziert wird. Das ist im Kontext einer strategischen Partnerschaft nur folgerichtig. Die Politiker beider Länder haben sich darüber schnell verständigt, dass der Fonds eine Brücke in die Zukunft und daher notwendig ist.
Ist der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds heute sogar wichtiger denn je angesichts eines sich scheinbar teilenden Europas?
Absolut! Unser Auftrag hat sich vergrößert, über die deutsch-tschechischen Beziehungen hinaus geht es jetzt auch verstärkt um allgemeine globale oder zumindest europäische Fragen. Alle Institutionen wie wir sind jetzt gefragt und gefordert, diese Debatte neben ihren eigentlichen Aufgaben anzunehmen. Es geht jetzt nicht mehr nur um Trennlinien zwischen den Ländern, sondern auch um solche innerhalb der Gesellschaften selbst. Zumal ich oft fast keine Trennlinien mehr zwischen bestimmten gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland und Tschechien sehe. Es ist nun auch unsere Aufgabe, Leute anzusprechen, die Ängste davor haben, was hinter der Grenze passiert. Dadurch können auch wir zum innergesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen.
Wie politisch ist der Zukunftsfonds?
Wir sind ein Akteur der Zivilgesellschaft und arbeiten für NGOs, Schulen und Kultur, für aktive Leute in der Gesellschaft. Wir wollen motivieren. Natürlich fördern wir keinen rein politischen Dialog oder politische Parteien. Unsere Rolle ist nicht primär politisch, gleichwohl gibt es Berührungen mit politischen Themen.
Was wird Sie 2019 besonders beschäftigen?
Wir wollen weiter in die Gesellschaft hineinwirken, darauf hinwirken, dass die Menschen Lust verspüren, gemeinsam etwas zu machen. Zudem wollen wir jene noch mehr ansprechen, die bisher nicht so viel Gelegenheit dazu hatten. Dafür organisieren wir etwa Vernetzungstreffen in großen Städten außerhalb Prags. Außerdem unterstützen wir weiter die Organisationsentwicklung bewährter Partner. Ein ganz wichtiges Thema ist das Jubiläum „30 Jahre friedliche Revolutionen in Mittel- und Osteuropa“. In Leipzig wollen wir über das Erbe dieser Revolutionen für heute und die Zukunft diskutieren.
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