Umkämpftes Vermächtnis
Kafka-Streit: Israelische Nationalbibliothek erhält Nachlass von Max Brod
17. 10. 2012 - Text: Franziska NeudertText: fn/čtk; Foto: Wikipedia
Es war eine jahrzehntelange Farce, beinahe schon so kafkaesk wie das Werk, um das es sich drehte. Der Rechtsstreit um den Nachlass des Prager Schriftstellers und Publizisten Max Brod (1884–1968), der auch einige Manuskripte seines Freundes Franz Kafka enthalten soll, hat vorerst ein Ende gefunden. Nachdem sich beinahe 40 Jahre lang verschiedene Parteien um das kostbare Schrifterbe gestritten hatten, entschied nun ein Gericht in Tel Aviv über dessen weiteren Verbleib. Der gesamte Nachlass ist dabei der Israelischen Nationalbibliothek in Jerusalem zugesprochen worden.
Als Brod 1939 vor den Nationalsozialisten aus Prag nach Palästina floh, trug er auch die Werke Kafkas bei sich. Sein Schriftstellerkollege hatte ihn zwar noch vor seinem Tode 1924 gebeten, sein Werk zu vernichten, doch Brod widersetzte sich. Er veröffentlichte das Werk Kafkas und machte ihn damit wider seinen Willen zu einem der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.
Der gebürtige Prager Brod lebte und arbeitete bis zu seinem Tod 1968 als freier Autor und Journalist in Tel Aviv. Seinen literarischen Nachlass vermachte er seiner Mitarbeiterin und engen Vertrauten Ilse Ester Hoffe mit der Auflage, die Dokumente „der Bibliothek der Hebräischen Universität Jerusalem oder der Staatlichen Bibliothek Tel Aviv oder einem anderen öffentlichen Archiv im In- oder Ausland zur Aufbewahrung zu übergeben“. Seitdem klagte der israelische Staat mehrfach gegen die Nachlassverwalterin. Er befürchtete eine Veräußerung des schriftlichen Vermächtnisses ins Ausland, das Israel zufolge als jüdisches Kulturerbe jedoch dem Staat gehöre. In der Tat überließ die ehemalige Sekretärin Brods dem Marbacher Literaturarchiv das Original-Manuskript von Kafkas „Prozess“ für die nicht unbeträchtliche Summe von einer Million Pfund.
Mit Hoffes Tod im September 2007 ging der Nachlass schließlich in die Hände ihrer Töchter über. Ewa Hoffe und Ruth Wiesler sollten die wertvollen Manuskripte aufbewahren, unter denen sich wahrscheinlich auch Zeichnungen Kafkas sowie dessen Urfassung der Erzählung „Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande“ befinden. Beide wollten die Dokumente an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach übergeben. Zeitgleich erhob auch der israelische Verleger und Herausgeber der Tageszeitung „Haaretz“ Amos Schocken Anspruch – dessen Großvater Salman Schocken hatte nämlich die Rechte an den Kafka-Handschriften einst von den Eltern Kafkas erworben.
Wie die richterliche Entscheidung in Tel Aviv nun verfügte, müssen die Schwestern die Manuskripte, die sich in Bankschließfächern in Tel Aviv und Zürich befinden, aushändigen. Zu ihnen sollen Tagebücher Brods sowie Briefwechsel des Schriftstellers mit Kafka, Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal und Stefan Zweig gehören.
Während die Nationalbibliothek die Dokumente so schnell wie möglich veröffentlichen will und deren Kurator Aviad Stollman eine Zusammenarbeit mit dem Literaturarchiv in Marchbach anstrebt, hat Ewa Hoffe bereits angekündigt, in Berufung zu gehen. Ob das nun gefällte Urteil von einer höheren Instanz, in diesem Fall dem Bezirksgericht in Tel Aviv, aufgehoben wird, gilt als unwahrscheinlich.
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?