Etwas im Inneren bewegen
Über das Gedächtnis und schöne Kleider in den Installationen von Kamila Ženatá
5. 6. 2013 - Text: Peggy LohseText und Foto: Peggy Lohse
Die Menschen leben in Gefängnissen und es gelingt ihnen nicht, sich zu befreien. Diese Gefängnisse sind selbst geschaffen, sie sind ihre psychische Realität. Wie Kinder leben die Menschen unbedarft in Angst vor dem Diktat von Erfolg, Fehlerlosigkeit und ständigem Glück. Sie sollen gesund, jung, reich und fröhlich sein. Wenn ihnen das nicht gelingt, dann droht der Ausschluss aus der Gesellschaft. Eine Strafe, die sie fürchten wie das Kind den Tadel der Eltern. Daher streben sie beständig nach Lob und Anerkennung. Und in diesem Streben sind sie gefangen.
Auf der anderen Seite gibt es die materiellen Gefängnisse, in denen Menschen tatsächlich inhaftiert sind. Oder waren. Wie in der Kleinen Festung in Theresienstadt, während des Zweiten Weltkrieges Gestapo-Gefängnis und Durchgangslager für Tausende von jüdischen Familien und politischen Gefangenen. Diesen Weg mussten auch die Großeltern der Künstlerin Kamila Ženatá gehen, deren aktuelle Ausstellung „Der Frauenhof“ („Ženský dvůr“) sich in eben jenem Abschnitt der Kleinen Festung befindet. Um die Parallelität von subjektiver Gefangenschaft jedes einzelnen Menschen und physischer Inhaftierung sichtbar zu machen, hat sie diese Stätte für ihre neuen Installationen gewählt. An diesem authentischen Ort arrangiert sie ganz alltägliche, jedem vertraute Gegenstände. Anhand von Videoprojektionen, Stimmen, Tönen und andere Dokumenten wie Briefen, Botschaften, Wandtexten, Kleidern und Fäden setzt sich Ženatá mit der generationsübergreifenden Übertragung von Traumata auseinander. Zu Kleidungsstücken, Möbeln, Licht, Musik und Schrift hat jeder Mensch Assoziationen und Erinnerungen. Genau um jene Erinnerungen geht es ihr: um das Gedächtnis von Orten, Individuen und Gruppen und damit verbundene Assoziationen.
Leben wie die Kinder
„Wenn Sie eine Frau treffen, die Sie an ihre Mutter erinnert, können Sie ihr gegenüber die gleichen Gefühle haben wie gegenüber Ihrer Mutter. Dieser Mensch ist aber nicht Ihre Mutter, sondern ein völlig anderer, der sich natürlich anders verhält. Doch Sie sind schon nicht mehr in der Lage, das zu erkennen, weil Sie in ihm nur Ihre Mutter sehen“, erklärt Ženatá. „Damit ist Übertragung nicht mehr praktisch. Damit leben wir nicht in der Realität, sondern nur in der Vergangenheit.“ Diese Übertragung funktioniere jedoch nur, solange die Menschen unbewusst leben, wie Kinder eben.
Begonnen hat im Leben von Kamila Ženatá alles mit der Kunst. Sie male bereits seit sie klein war, habe immer schon geschrieben und ihr großer Traum war stets das Filmen, erzählt die 60-Jährige. In ihrer Installation kann sie diese Disziplinen nun vereinen.
Ausschlaggebend für ihr Studium der Bildenden Künste sei ihre erste Liebe am Gymnasium gewesen. Damals verliebte sie sich in den Neffen des bedeutenden Malers und Grafikers Jan Zrzavý. So kam sie schon früh, mit 16 Jahren, ins Atelier eines großen Künstlers.
Weg zur Psyche
Von Beginn an beschäftigte sich Ženatá mit der Seele des Menschen. „Das war für mich immer das Wichtigste. Mich hat schon immer interessiert, was ein Mensch erlebt hat, was er fühlt, warum er bestimmte Dinge tut und warum er gewisse Dinge nicht tut“, erklärt Ženatá. Im Laufe der Jahre kam sie daher zu Psychologie und Psychoanalyse. Beim Thema Psychoanalyse ist ein Flattern in Ženatás Stimme, die sonst sehr ruhig und bedacht erzählt, zu hören. „Zur Psychoanalyse habe ich gefunden, als ich gemerkt habe, dass ich, als Mensch, Probleme habe. Ich war unzufrieden, hatte das Gefühl: Der Mensch wird geboren, geht zur Schule, studiert, hat einen Beruf, eine Familie … und so geht das Leben kontinuierlich weiter. Das ist der Plan. Und dann merken Sie, dass es nicht wahr ist, dass Sie etwas quält, dass Sie keine Freude am Leben haben, dass Sie sich ausgeschlossen fühlen, dass Sie nicht verstehen, wer sie sind und was in der Welt passiert. Ich hatte das Gefühl, ich müsse sterben.
Meine eigene, individuelle Psychotherapie ist für mich jetzt das Größte, was ich in meinem Leben machen konnte.“ Bei diesem Satz lächelt sie stolz. Seitdem hat sie zahlreiche Schulungen im Bereich Psychoanalyse absolviert, heute ist Ženatá. Gastmitglied der Tschechischen Psychoanalytischen Gesellschaft. Seit 20 Jahren schon leitet sie psychoanalytische Seminare, in denen die Teilnehmer natürlich auch malen.
Die Lösung in uns
Jeder Mensch soll sich selbst reflektieren und verwirklichen. Denn nur damit könne er etwas in der Welt verändern, meint Ženatá. „Mein Weg dabei ist die Kunst.“ Entschieden beschreibt sie den Grund, warum sie in ihrer Kunst das Innenleben des Menschen unbedingt sichtbar und erlebbar machen will: Der Mensch besitze, im Unterschied zu den anderen Lebewesen unserer Erde, die Fähigkeit sein Inneres zu externalisieren, es also in die Außenwelt zu übertragen und dort zu realisieren. Gleichzeitig gestalte er jene auch immer mit. „Ich denke, dass diese Unzufriedenheit, mit sich selbst und mit der Welt, ihre Lösung nur in ihrer Ursache finden kann. Und diese Ursache liegt in uns, in unserer subjektiven Realität. Das, so scheint mir, ist die einzige Möglichkeit, wie der Einzelne etwas in sich, aber auch wie wir in der Welt etwas verändern können.“ Daraus schlussfolgert Ženatá für sich und ihre Kunst: „Wenn ich diese Dinge verstehen und doch verschlossen leben würde, hätte ich keine Möglichkeit zu wirken. Und ich denke, es ist meine Pflicht, etwas zu bewirken.“
An den Betrachter werden dabei keinerlei Anforderungen gestellt. Das Assoziieren läuft auf ganz verschiedenen Ebenen ab, zu einem großen Teil sogar unterbewusst. „Der Erste sagt: Das waren schöne Kleider. Der Zweite: Das war gut gemacht. Der Dritte: Ich habe dort etwas erlebt“, erläutert die Künstlerin. Und alle seien am richtigen Platz, denn nicht das große Werk, sondern die Kleinigkeiten in den Installationen seien es, die etwas im Inneren bewegen und den Prozess der Übertragung auslösen. Um dies zu veranschaulichen, eröffnet in dieser Woche im Prager Kunstzentrum DOX der zweite Teil der Ausstellung „Der Frauenhof“. Er transportiert die in Theresienstadt gezeigten Installationen aus ihrem authentischen Schauplatz in die Neutralität eines Museums.
Ženský dvůr. Gedenkstätte Theresienstadt, Kleine Festung, geöffnet täglich 8–18Uhr, Eintritt: 170 CZK (ermäßigt 140 CZK), bis 26. August
DOX (Poupětova 1, Prag 7), geöffnet: Mo., Sa./So. 10–18 Uhr, Mi.–Fr. 11–19 Uhr (dienstags geschlossen), Eintritt: 180 CZK (ermäßigt 90 CZK), 7. Juni bis 26. August
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