Prager „Jochjahre“
Vor 200 Jahren trat Carl Maria von Weber die Stelle des Kapellmeisters am Ständetheater an
5. 6. 2013 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: Wikipedia
„Meine Prager verstehen mich“, soll Wolfgang Amadeus Mozart einst über die begeisterte Aufnahme von „Figaros Hochzeit“ und „Don Giovanni“ in der böhmischen Metropole gesagt haben. Richard Wagner vergoss Tränen, als er als 13-Jähriger Abschied von Prag nahm. Der deutsche Komponist Carl Maria von Weber hingegen erinnerte sich nur ungern an seine Zeit in Prag, die für ihn „Jochjahre“ bedeuteten. Weber hatte drei Jahre lang – zwischen 1813 und 1816 – die Stelle eines Kapellmeisters am Königlichen Ständetheater (Stavovské divadlo) inne.
Rastlos bemühte er sich darum, die in seinen Augen unzureichende Organisation des Theaters und sowohl die Qualität des Repertoires als auch die des Ensembles zu verbessern. Vermutlich war es einmalig für einen deutschen Künstler jener Zeit, dass Weber die tschechische Sprache, die damals von den Deutschen als Sprache der Bauern und Dienstboten abqualifiziert wurde, erlernte. Es war freilich Webers Misstrauen gegenüber den tschechischen Mitgliedern des Orchesters und der Chöre, das ihn dazu veranlasste, innerhalb weniger Monate die Sprache so gut zu erlernen, dass seine Untergebenen es nicht mehr wagen konnten, in seiner Gegenwart ihrem Unmut über den strengen Führungsstil des deutschen Kapellmeisters in ihrer Muttersprache Luft zu machen.
In seinen Briefen und Tagebüchern beklagte sich Weber wiederholt darüber, dass ihm die anstrengende Tätigkeit am Ständetheater keine Zeit zum Komponieren lasse. Wie im Rausch holte er das Versäumte nach und komponierte in den Monaten nach seinem Weggang aus Prag zahlreiche Kammer- und Klavierwerke. In seinen Prager Jahren blieben die Kantate „Kampf und Sieg“, eine begeisterte Hymne auf die sogenannte Völkerschlacht bei Leipzig 1813, und die Vertonung von Kriegsgedichten des im Freiheitskampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft gefallenen Dichters Theodor Körner die einzigen größeren Kompositionen Webers. Die Idee zu beiden Werken hatte Weber jedoch während eines Berlin-Aufenthaltes 1814, als er die nationale Begeisterung der Deutschen nach den erfolgreichen Befreiungskriegen miterlebte. Zurückgekehrt in Prag beschrieb er den Unterschied zum Berliner Enthusiasmus mit den Worten: „Das Böhmerland ist ein wahres, geistiges Spital für mich geworden.“
Er rieb sich auf
Weber klagte über den Niedergang das Prager Musiklebens seit der Mozart-Periode, die Stadt Prag zog ihn deutlich weniger an als Wien: „Jene Hauptquelle aller Bildung, Geselligkeit und Austausch der Ideen, fehlt hier gänzlich. (…) Alle Stände – der Adel, der Kaufmann, der Bürger – sind streng voneinander abgesondert, ohne deshalb unter sich einen Körper zu bilden. Man kann behaupten, dass jede Familie abgetheilt für sich, nur im Kreise ihrer nächsten Umgebungen oder Verwandten lebt. Ein Theil der Grossen verzehrt sein Geld in Wien und bringt höchstens ein paar Wochen, durchreisend auf seinen Güter, hier zu. Eine Masse von Fremden, die diese widerstrebenden Theile auf gewisse Weise binden und löthen könnte, wie in Wien, Berlin etc., fehlt auch gänzlich, da die Lage Prags sie weder von selbst dahin bringt, noch die Stadt übrigens Reize genug besitzt, sie um ihrer selbst willen hinzulocken.“
Webers Arbeitspensum als Kapellmeister war immens. So schrieb er einem Freund, dass er in drei Monaten 18 Opern einstudiert habe, dazu die Schöpfung von Haydn und ein Oratorium von Meyerbeer. Webers hoher Anspruch an die musikalischen Aufführungen – er inszenierte unter anderem in Prag die Erstaufführung von Beethovens „Fidelio“ und die Uraufführung einer Oper von Ludwig Spohr – fanden beim Prager Publikum nicht die erwartete Resonanz. Die aufreibende Tätigkeit forderte ihren Tribut: Weber musste sich mehrmals einer Kur unterziehen, um eine immer wieder ausbrechende Tuberkulose-Erkrankung zu therapieren.
Auf der anderen Seite konnte Carl Maria von Weber in den Prager Jahren sein Liebesleben ordnen. Er löste sein Verhältnis mit der verheirateten Schauspielerin und Tänzerin am Ständetheater Therese Brunetti, die seine leidenschaftliche Liebe nicht in gleichen Maßen zu erwidern vermochte. Auch mit seiner neuen Liebe, der Schauspielerin Caroline Brandt, die 1813 nach Prag kam, gab es zunächst Zerwürfnisse. Doch als Weber im Jahr 1816 Prag verließ, hatte sich das Paar wieder gefunden und heiratete schließlich.
Seinen Weggang begründete Weber in einem Brief an seinen Bruder damit, „daß man erstlich in Prag wie begraben ist, 2tens, daß ich ein Publikum habe, für das ich nichts schreiben mag, 3tens, daß ich so viel Dienstgeschäfte habe, daß ich unmöglich als Componist etwas leisten kann, 4tens daß ich mir nichts ersparen kann und so viel als ich zum Leben brauche überall verdienen kann.“
Seine Enttäuschung und seinen Frust über das Prager Musikleben hat Carl Maria von Weber der Stadt nicht nachgetragen. Im Jahr 1823 wurde er gebeten, die 50. Prager Aufführung seiner Oper „Der Freischütz“ zu dirigieren – eine Einladung, der Weber zu seinem Bedauern nicht nachkommen konnte. Zur Komposition seines berühmtesten Werkes soll ihn angeblich eine Sage aus dem Böhmerwald inspiriert haben.
Schriften digitalisiert
Das Interesse an Carl Maria von Weber ist in Tschechien bis heute lebendig geblieben. Die bislang einzige Monographie über Webers Tätigkeit als Prager Operndirektor veröffentlichte der tschechische Musikwissenschaftler Zdeněk Němec 1944 unter dem Titel „Webers Prager Jahre“ („Weberova pražská léta“). Ausgerechnet in der Zeit der deutschen Okkupation widmete sich ein Tscheche dem Werk eines deutschen Komponisten. Die deutschen Besatzer hinderte das nicht daran, ihn im Frühjahr 1945 zu verhaften und hinzurichten.
Anlässlich des 230. Jubiläums der Eröffnung des Ständetheaters fand in Prag vor kurzem eine dreitägige Konferenz statt, bei der Webers Prager Jahre und seine Musik ausführlich gewürdigt wurden. Peter Stadler und Joachim Veit, Mitarbeiter der Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft, stellten die digitale Fassung der Gesamtausgabe von Webers Werk vor. Damit eröffnet sich Musikliebhabern die einzigartige Möglichkeit, sich über das Internet kostenlos und umfassend über Webers Kompositionen, seine Biografie, Briefe und Tagebücher zu informieren. Diese Digitalisierung des Weberschen Gesamtwerks stellt eine Pionierleistung dar.
Und schließlich erinnert der Eurocity „Carl Maria von Weber“ auf seiner täglichen Fahrt von Wien über Brünn, Prag und Dresden die Tschechen an den deutschen Komponisten, der sich aufopfernd mühte, sie für die klassische Musik zu begeistern.
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