Ein Baby namens Big Band
Vor 50 Jahren kam Pavel Sandorf nach Deutschland. Im Fasching spielt der tschechische Bandleader für ein Millionenpublikum
14. 2. 2019 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Jens Thekkeveettil
Nein, aufgeregt sei er nicht, sagt Pavel Sandorf. Obwohl er bald wieder vor gut vier Millionen Menschen spielt. So viele sahen „Fastnacht in Franken“ letztes Jahr im Bayerischen Fernsehen, im gesamten Bundesgebiet feierten Faschingsfans das Spektakel an ihren TV-Geräten mit. Und kaum weniger werden es auch diesmal sein, am Abend des 22. Februar.
Sandorf und seine Big Band stehen zwar nicht direkt im Mittelpunkt der fast vierstündigen Live-Übertragung, sind aber trotzdem unverzichtbar. Denn sie sorgen für den musikalischen Schwung, setzen die Akzente und Intonation, damit Gags und Sketche „ankommen“. Keine einfache Aufgabe. „Wir müssen jede Minute voll konzentriert bleiben, denn es passiert ja immer irgendwas auf der Bühne, auch viel Unerwartetes, und darauf muss ich sofort reagieren“, erklärt der Bandleader. Eine Herausforderung, die ihn reizt. „Das ist selbst für Musiker, die ihr Instrument aus dem Effeff beherrschen, nicht einfach.“ Tusch oder kein Tusch, einen Wortbeitrag musikalisch unterstützen und hervorheben oder lieber überspielen, keine peinliche Stille entstehen lassen – „mir schießen während dieser großen Veranstaltung viele Gedanken durch den Kopf“, sagt der gebürtige Tscheche.
Pavel Sandorf und seine Big Band treten bereits zum 15. Mal bei „Fastnacht in Franken“ in Veitshöchheim auf, vor den Toren Würzburgs. „Selbst nach so vielen Jahren besteht immer noch eine gewisse Anspannung“, gibt der 64-Jährige zu. Ihn fasziniert nach wie vor, „was alles hinter den Kulissen passiert“. Und er findet es „toll, ein Teil dieser Sendung mit dieser riesigen Einschaltquote zu sein“.
Allerdings generiert seine Big Band dadurch nicht allzu viele Folgeauftritte, im Gegensatz zu manchem Vortragsredner. Das sei seltsam, wundert sich Sandorf. Denn praktisch jeder erkenne ihn sofort, wenn er hinterher irgendwo hinkomme oder sich vorstelle. Ein wichtiger Grund dafür mag sein, dass nicht mehr so viele Faschingsbälle rund um Nürnberg veranstaltet werden, wo Sandorf wohnt. „Ich habe früher in einer Show-Band gespielt und im Fasching ging es immer rauf und runter“, denkt er gerne zurück.
In den späten 70er Jahren organisierten viele solch einen Ball, nicht nur Faschingsvereine, sondern etwa auch die Feuerwehren. „Wahrscheinlich gab es später nicht mehr genügend Zuspruch“, vermutet Sandorf. Das bedauert er sehr, obwohl er damals „kaum noch geschlafen hat“ angesichts der vielen Auftritte, „das war Wahnsinn.“
Pavel Sandorf kam vor genau 50 Jahren nach Deutschland. „Nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Armeen war die Grenze noch ein Jahr lang offen, bis zum Sommer 1969“, erinnert er sich. Das erstaunt ihn noch heute. „Vielleicht wollten die Politiker in Prag, dass alle gehen sollen, die gehen wollen.“
Er war damals 15 Jahre alt, seine Eltern geschieden. Seine Mutter beschloss, ins Nachbarland zu wechseln. „Sie sah zuhause keine Zukunft mehr.“ Für den Teenager eine harte Entscheidung, er musste Freunde und Mitschüler zurücklassen. „Die erste Zeit in Deutschland war sehr sehr schwer“, sagt Sandorf rückblickend, „ich kann heute jeden verstehen, der flüchtet oder vertrieben wird, seine Gefühle und Trauer nachvollziehen.“
Zunächst zog er nach Karlsruhe, weil dort bereits ein Onkel wohnte, der weiterhalf. Der junge Pavel sprach zu jener Zeit noch kein Wort Deutsch. „Mir war hier alles fremd.“ Später ging er nach Nürnberg, absolvierte die Fachoberschule, studierte am Konservatorium Klarinette und Saxofon. Sandorf blieb in Franken, heiratete, wurde ansässig.
Und er wurde Profi-Musiker, ist sehr vielseitig, am meisten Spaß macht ihm jedoch seine Big Band. „Das ist mein Baby“, erklärt er. Wenn er reine Klavier- oder Geigen-Konzerte besuche, denke er meist nach einer halben Stunde: „Toll, aber jetzt sollte noch etwas kommen, irgendeine Veränderung, vielleicht ein Posaunist oder ein Saxofonist, also neue Klangfarben.“ Gerade das liebt er an seiner großen Band. „Eigentlich sind wir eine Swing-Band“, macht Sandorf deutlich. Um lächelnd anzufügen: „Wenn man uns ließe …“ Letztlich entscheiden jedoch Veranstalter und Auftraggeber, was die Musiker spielen. „Im Laufe der Zeit wurden wir immer mehr zu einer Musical-Band …“ Am 23. März lädt er jedoch in Feucht zu einer Zeitreise durch die Geschichte des Swing ein, von den Anfängen in den Zwanzigern hin zur Blütezeit von Big Bands wie Glenn Miller bis in die Gegenwart.
Pavel Sandorf leitet auch eine kleine Combo. Mit ihr spielt er gerne Jazz. Als gebürtiger Prager kein Wunder. Er war in Vysočany zu Hause, Prag 9, bevor er nach Deutschland kam. „Keine so attraktive Gegend“, schmunzelt er. Seine Muttersprache hat Sandorf nicht verlernt. Er war regelmäßiger Grenzgänger, bis sein Vater vor fünf Jahren verstarb. Um seine alte Heimat besuchen zu können, gab er seine tschechoslowakische Staatsangehörigkeit ab. „Das war eine Voraussetzung dafür.“
Immer noch zieht es ihn zwei-, dreimal im Jahr nach Prag, wo ein Halbbruder lebt. Und dann gerne in die Jazz-Klubs der Stadt, ins Reduta oder AghaRTA. „Mich interessiert, was sich dort bewegt. Während des Kalten Krieges gingen all jene, die etwas auf die Beine stellten, ins Ausland, sobald sie konnten.“ Nun wächst nach seinem Eindruck eine neue Generation in Tschechien heran. „Das sind sehr gute Musiker, die auch bleiben und die Kultur dort am Leben erhalten.“
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