Im Garten der Verdammnis
Die Galerie Rudolfinum zeigt grausam-schöne Bilder von Raqib Shaw
12. 6. 2013 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: Todd-White Art Photography
Geflügelte Schimpansen, Menschen mit Leopardenköpfen und Tukane mit anthropomorphem Unterkörper. Die Bildwelten von Raqib Shaw werden von den sonderbarsten Geschöpfen bevölkert; sie könnten genauso gut einem modernen Bestiarium entsprungen sein. Was auf dem ersten Blick nach merkwürdigen und possierlichen Kreaturen aussieht, die in einer fabelhaften Welt ihr Unwesen treiben, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als regelrechtes Inferno.
Weit aufgerissene Mäuler und verzerrte Leiber fallen übereinander her, gefangen im ewigen Widerstreit der Leidenschaften. In den knallbunten Bildern Shaws fließt viel Blut, fliegen Köpfe und öffnen sich Abgründe, denen man eigentlich lieber nicht begegnen würde. Wer dennoch Lust auf das dekorativ getarnte Verderben hat und einen der außergewöhnlichsten Vertreter der figürlichen Gegenwartsmalerei kennenlernen will, sollte die Galerie des Rudolfinums besuchen. Bis Mitte September sind dort Shaws Arbeiten der letzten Jahre ausgestellt, darunter auch millionenteure Exemplare wie „Die Abwesenheit Gottes“, „Der Garten der Lüste“ und „Der heilige Sebastian der Mohnblumen“.
Regelrecht über Nacht wurde Shaw zum Shootingstar der internationalen Kunstszene, als 2007 eines seiner monumentalen Bilder versteigert wurde. Das Triptychon „Im Garten der Lüste III“ ging damals für fünf Millionen Dollar über den Auktionstisch und lief damit sogar dem seinerzeit ungleich bekannteren Rothko den Rang ab. Seitdem gehört Shaw zu den höchst dotierten Malern der Gegenwartskunst.
1974 in Kalkutta als Sohn eines Textilhändlers geboren, kam Shaw mit 18 Jahren nach London, wo er Kunst und Design studierte. Innerhalb des Dunstkreises um den Londoner Kunsttempel Tate Modern machte sich Shaw mit seinen extravaganten Werken rasch einen Namen. Einzigartig sind die Bilder Shaws nicht nur wegen ihrer unkonventionellen Formate – kreisrunde Leinwände und polygonale Triptychen – sondern vor allem auch wegen der verwendeten Materialien. Shaw vereint Ölfarben, Autolack, Acryl und Emaille zu regelrecht überbordenen Szenarien zügelloser Zerstörung. Mit floralen Ornamenten und hunderten von Glitzersteinen kontrastiert er diese zu regelrechten Schmuckstücken.
Doch die Bilder sind weit mehr als abgründige Zierde. Shaw spielt sowohl mit christlicher Ikonographie als auch mit persischer Mythologie und orientalischer Ornamentik. Wer sich ein wenig auf diesem Gebieten auskennt, der dürfte mit diesen Gemälden viel Zeit verbringen können. Wie in einem Wimmelbild offenbaren sich immer mehr versteckte Details. Bei manchen wird man staunen, bei einigen schmunzeln und bei vielen angewidert den Kopf abwenden. Nicht zuletzt sollen die Bilder auch eine Satire auf unsere heutige Gesellschaft sein, äußerte Shaw im Interview mit einem Londoner Galeristen. Auf die Grausamkeit des Menschen, der einer Bestie so viel ähnlicher ist als einem Tier.
Raqib Shaw. Galerie Rudolfinum (Alšovo nábřeží 12, Prag 1), geöffnet Di.–Mi., Fr.–So. 10–18 Uhr, Do. 10–20 Uhr, Eintritt: 130 CZK (ermäßigt 80 CZK), bis 15. September
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