Kabale und Korruption
Nach einer spektakulären Polizeirazzia dankt Premier Nečas ab
19. 6. 2013 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: čtk
1.070 Tage führte Petr Nečas die Regierung. Am Montag trat er in Folge eines Bestechungs- und Bespitzelungsskandals von seinem Amt zurück. Sein selbst erklärtes Ziel, die weit verbreitete Korruption im Land zu bekämpfen, wurde ihm letzten Endes zum Verhängnis.
Ein anderer hingegen kann sein Wahlversprechen einlösen, obwohl er gerade erst 100 Tage im Amt ist. Staatspräsident Miloš Zeman war mit der populistischen Parole „Ein Ende der Regierung“ auf Stimmenfang gegangen. Selbst am Tag seines Wahlsieges hatte er noch erklärt, „wünschenswert sind vorgezogene Neuwahlen“. Ob es tatsächlich dazu kommt, werden die kommenden Tage zeigen. Ende dieser Woche will sich Zeman, der darüber entscheiden darf, wer mit der Regierungsbildung beauftragt wird, mit den einzelnen Parteispitzen beraten. Dass der Präsident das Schicksal der Mitte-Rechts-Regierung in den Händen hält, erfüllt Nečas mit Sorge. Bevor ihm Zeman auf der Prager Burg seine Rücktrittsurkunde überreichte, sagte Nečas: „Der Präsident sollte sich mit einer Weiterführung der Koalition unter einem neuen Regierungschef einverstanden erklären, falls sich eine parlamentarische Mehrheit dafür findet.“
Käufliche Rebellen
Der Korruptionsskandal stürzte nicht nur die Regierung, sondern auch die Partei der Bürgerdemokraten (ODS) in eine noch tiefere Krise. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag durchsuchte eine Sondereinheit der Polizei mehrere Regierungsgebäude und Privatwohnungen, knapp 400 Ermittler waren im Einsatz. Bei der Razzia festgenommen wurden acht Staatsbedienstete – neben Ex-Landwirtschaftsminister Ivan Fuksa, dem einstigen ODS-Fraktionsvorsitzenden Petr Tluchoř und dem ehemaligen ODS-Abgeordneten Marek Šnajdr auch die langjährige Leiterin des Regierungsbüros Jana Nagyová, der ein Liebesverhältnis zu Nečas nachgesagt wird.
Die Staatsanwaltschaft wirft Nagyová unter anderem Amtsmissbrauch vor. Mitarbeiter des militärischen Geheimdienstes soll sie aus Eifersucht angewiesen haben, die getrennt lebende Ehefrau des damaligen Regierungschefs zu beschatten. Zudem soll sie Fuksa, Tluchoř und Šnajdr lukrative Posten in Aufsichtsräten staatlicher Unternehmen beschafft haben. Die drei damaligen ODS-Abgeordneten hatten im September 2012 zunächst gegen ein umstrittenes Steuerpaket der Regierung gestimmt; ehe diese jedoch eine neuerliche Abstimmung mit der Vertrauensfrage verband, legten die „Parteirebellen“ ihr Mandat nieder und sicherten der Regierung damit das Überleben.
Doch der Korruptionsskandal nimmt noch größere Ausmaße an, wenngleich vieles im Dunkeln liegt. In den Fall verwickelt sind Lobbyisten, die unter dem Verdacht stehen, öffentliche Aufträge manipuliert und Geldbeträge von umgerechnet fünf Millionen Euro aufgeteilt zu haben. Auch in diesem Zusammenhang soll Nagyová eine zentrale Rolle gespielt haben.
Wie die drei Ebenen – die Bespitzelung von Nečas’ Ehefrau, der Kuhhandel mit den einstigen „Rebellen“ und die kriminellen Machenschaften der Lobbyisten – miteinander zusammenhängen, wird derzeit untersucht. „Wir ermitteln gegen eine Bande der organisierten Kriminalität, die über Klientel-Beziehungen funktioniert hat“, sagte Chefermittler Robert Šlachta.
Der zurückgetretene Regierungschef soll in dem laut oppositionellen Sozialdemokraten „größten Skandal der letzten 20 Jahre“ angeblich keine aktive Rolle gespielt haben. Nach der Razzia schloss er einen Rücktritt zunächst noch aus, glaubte an die Unschuld der Festgenommenen. Am Sonntag war der Druck der Öffentlichkeit und Koalitionspartner schließlich zu groß geworden. Er musste eigenen Worten zufolge seiner „politischen Verantwortung“ nachkommen und dankte in außergewöhnlich gelassener Manier ab.
Streitfrage Kuba
Galt Nečas lange Zeit als Saubermann der tschechischen Politik, erinnert er nun vielmehr an eine tragische Figur einer Telenovela – zwischen Kabale und Liebe, Macht und Untergang. Nečas hatte nach seinem Amtsantritt dafür gesorgt, dass die für die „Bekämpfung des organisierten Verbrechens“ zuständige Polizeiabteilung und die Justiz unabhängig von der Politik agieren können. Die Regierung Nečas erklärte die Korruptionsbekämpfung zur obersten Priorität und schaufelte sich damit letztendlich ihr eigenes Grab. Der 48-jährige Physiker hat resigniert. Der Politik will er den Rücken zukehren, bei den nächsten Wahlen nicht mehr antreten. Den Vorsitz der ODS, der er seit 1991 angehört, legte er bereits nieder. Neuer Chef ist der bisherige Stellvertreter und Wirtschaftsminister Martin Kuba.
Ginge es nach dem Willen der ODS, würde Kuba auch den Posten des Regierungschefs übernehmen. Doch spricht sich Bündnispartner TOP 09 gegen ihn aus, da er angeblich engen Kontakt zu Pavel Dlouhý pflegt, der in mafiöse Geschäfte verstrickt sein soll. Als aussichtsreiche Kandidaten gelten Ex-Justizminister Jiří Pospíšil und Verkehrsminister Zbyněk Stanjura. Die Oppositionsparteien plädieren für die Auflösung des Parlaments und damit verbundene Neuwahlen. Wie es weitergeht – ob es gar eine Expertenregierung gibt, hängt nun vor allem vom Präsidenten ab. Obschon bekannt ist, dass Zeman politisch links steht, dürfte er sich genau überlegen, für welchen Weg er sich entscheidet.
Neue Regierung oder Neuwahlen?
Die Mitte-Rechts-Regierung aus ODS, TOP 09 und LIDEM bleibt bis zur Ernennung einer neuen Regierung kommissarisch im Amt.
Variante A Präsident Zeman kann einen Kandidaten aus den Reihen der Koalition oder der ČSSD (als eigentlicher Wahlsieger 2010) mit der Regierungsbildung beauftragen. Innerhalb eines Monats muss dieser Regierung das Vertrauen einer absoluten Mehrheit im Abgeordnetenhaus ausgesprochen werden. Sollte diese Vertrauensfrage zweimal scheitern, ernennt der Präsident den Regierungschef auf Antrag der Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses Miroslava Němcová (ODS).
Variante B Das Abgeordnetenhaus beschließt mit einer Verfassungsmehrheit von 120 Stimmen seine Auflösung. Danach müssen innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen stattfinden. Bis zur Ernennung der neuen Regierung bliebe das Kabinett Nečas de facto im Amt.
Variante C Der Präsident ernennt eine Beamtenregierung, die bis zu den Parlamentswahlem 2014 im Amt ist.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“