„Die Expertenregierung schadet eher der Linken“
Interview mit dem Politologen Oskar Krejčí über die gegenwärtige politische Situation in Tschechien
26. 6. 2013 - Interview: Ivan Dramlitsch
Der beste Weg aus der Regierungskrise führt über eine Expertenregierung. Diese Ansicht vertritt zumindest das tschechische Staatsoberhaupt. So setzte sich Miloš Zeman auch über die Erklärungen der Parlamentsparteien hinweg und beauftragte am Dienstag seinen Wirtschaftsberater und ehemaligen Minister Jiří Rusnok mit der Regierungsbildung. Bedenken an dieser Lösung äußert auch der Politikwissenschaftler Oskar Krejčí. Der Prorektor der Hochschule für internationale Beziehungen in Prag meint jedoch gleichzeitig, „diese Übergangsregierung kann einen markanten Beitrag zum Umbau des gesamten Parteiensystems leisten.“ Im Interview spricht der 62-jährige Wissenschaftler außerdem über die Machtfülle des Präsidenten und das Problem der politischen Korruption, das zum wiederholten Male zum Rücktritt einer Regierung führte.
Präsident Zeman hat am Dienstag Jiří Rusnok zum Premierminister ernannt und ihn mit der Zusammenstellung einer Expertenregierung beauftragt, die voraussichtlich keine Mehrheit im Parlament findet. Halten Sie dieses Vorgehen für legitim?
Oskar Krejčí: Der Präsident bewegt sich im Rahmen seiner von der Verfassung vorgegebenen Kompetenzen. Dieser konkrete Schritt ändert daran nichts. Zwar steht in der Verfassung nichts über eine solche Beamten- oder Expertenregierung. Das heißt aber nicht, dass es sie nicht geben darf.
Miloš Zeman ist momentan der machtpolitische Profiteur der Krise. Beunruhigt Sie das?
Krejčí: Jeder Machtgewinn ist in Tschechien derzeit ein vorübergehender. Diese technokratische Regierung wird keinen Rückhalt im Parlament haben, sie wird keine grundsätzlichen Entscheidungen fällen können, permanent wird die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen drohen. Auch die maximal längste Amtsdauer beträgt nur ein knappes Jahr. Diese Regierung wird außerdem von den Medien attackiert werden. Gleichzeitig gilt ganz allgemein, dass tschechische Politik immer provinzieller wird, sie kann noch nicht einmal die Situation in Mitteleuropa beeinflussen.
Wird eine solche Regierung die gegenwärtige politische Situation eher belasten oder entspannen?
Krejčí: Die grundsätzliche Frage ist, ob sie die derzeit laufenden Ermittlungen über die Verbindung von organisierter Kriminalität mit der Spitzenpolitik hemmen oder unterstützen wird. Falls die Ermittlungen auch auf andere Parteien übergehen – also nicht nur ODS, sondern auch TOP 09 und gegebenenfalls auch die Sozialdemokraten betroffen sein werden – dann kann diese Übergangsregierung einen markanten Beitrag zum Umbau des gesamten Parteiensystems leisten. Das ist das Maximale, was man erwarten kann. Und das ist ganz sicher nicht wenig.
Die ODS liegt am Boden, die Umfragewerte sind katastrophal. Hat die Partei genügend Potenzial für eine glaubwürdige Erneuerung?
Krejčí: Die Bildung einer Beamtenregierung könnte der ODS helfen – so wie es beim Sturz der Regierung Topolánek der Fall war. Die Medien werden ihre Attacken einstellen, sobald die Partei die Macht verloren hat. Das konservative Wählerpotential ist gleich geblieben, man muss es nur mobilisieren. Die ODS muss sich allerdings als glaubwürdiger Vertreter dieser Wählerschichten profilieren und vor allem glaubwürdiger als die TOP 09 sein. Aus dieser Perspektive könnte man sagen, dass die Bildung einer Expertenregierung sehr viel eher der Linken als der Rechten schadet. Das gilt allerdings unter der Voraussetzung, dass jetzt nicht noch weitere dramatische Skandale aufgedeckt werden.
Welche Erkenntnisse aus dem aktuellen Abhör- und Korruptionsskandal rund um Ex-Premier Nečas und seine Bürochefin wiegt für Sie schwerer – dass die Verbindung von organisierter Kriminalität mit Spitzenpolitik, Korruption und Spionage-Praktiken in Tschechien offenbar weiterhin Realität ist, oder dass Polizei und Staatsanwaltschaft anscheinend endlich frei und unabhängig arbeiten können? Oder steckt dahinter etwas ganz anderes?
Krejčí: Uns allen stehen nur lückenhafte Informationen zur Verfügung. Deshalb kann auch die Variante nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um einen Kampf zwischen zwei rivalisierenden politischen Gruppen handelt, genauso wie es möglich ist, dass Ermittler und Staatsanwaltschaft freie Hand bekommen haben. Ich tendiere zur zweiten Variante. Unter anderem deshalb, weil der sogenannte Kubice-Bericht*, der den Wahlkampf im Vorfeld der Wahlen 2006 durcheinanderwirbelte, auf der Grundlage ähnlicher nachrichtendienstlicher Methoden mit der gleichen allgemeinen Ausrichtung entstanden ist. Einschließlich der Stärke und Schwäche des zu Beginn verwendeten Beweismaterials. Jetzt ist man vom Texte schreiben zum Einsatz übergegangen.
Petr Nečas verlässt als mehr oder weniger tragische Figur die politische Bühne. Wie werten Sie seine Leistung als Regierungschef?
Krejčí: Die Mitte-Rechts-Koalition bewegte sich von radikalen Maßnahmen wie beispielsweise dem Gesetz zur Rückgabe kirchlichen Eigentums über unglaubliche Kompromisse wie der Rentenreform bis zu Niederlagen in Form ewiger Regierungsumbildungen und ihrem letztendlichen Sturz. Nečas war nur ein politischer Verwalter und keine Person, die etwas verwirklicht oder irgendwelche politische Visionen entwirft. Nach zugänglichen Informationen war er niemals an einem Fall von tatsächlicher Korruption beteiligt.
Alle bisherigen Versuche einer starken Anti-Korruptionspolitik sind bisher gescheitert. Was ist die Grundvoraussetzung, dass sich das ändert? Ist das in naher Zukunft realistisch?
Krejčí: Als Zeman Premierminister war, ist sein damaliges Programm „Saubere Hände“ bereits auf der Ebene der Staatsanwaltschaft gescheitert, von den Gerichten ganz zu schweigen. Das heißt, dass es eine gewisse Entwicklung gegeben hat. Von grundsätzlicher Bedeutung sind drei allgemeine Tatsachen. Vor allem gibt es in Tschechien nicht mehr so viel, was man sich unter den Nagel reißen könnte – jedenfalls im Vergleich zu den neunziger Jahren. Es ist deshalb sehr viel schwieriger, von einem kleineren Gewinn ausreichend Geld für jene abzuzweigen, die das öffentliche Eigentum beschützen sollen. Dann ist eine bedeutende Gruppe Reichgewordener auf der Bildfläche aufgetaucht, die eine Stabilisierung der Verhältnisse wünschen. Sie wollen nicht, dass ihr neues Eigentum durch Korruption, die den Staat schwächt, gefährdet wird. Dann muss noch die Tatsache in Betracht gezogen werden, dass innerhalb der Strafermittlungsbehörden auch neue, junge Leute zum Zuge kommen.
Ist eine Erneuerung der politischen Kultur in Tschechien mit dem vorhandenen Personal machbar? Ist nicht ein Austausch der politischen Eliten einschließlich neuer politischer Subjekte notwendig und sehen Sie Raum für eine solche Entwicklung?
Krejčí: Nach einer Eurostat-Umfrage vertreten die Tschechen von allen EU-Bürgern Anti-Korruptionspositionen am stärksten. Die politische Kultur im Allgemeinen braucht deshalb keine Erneuerung. Was die Nachwende-Eliten angeht – deren politischer Stil, vor allem die Beziehung zwischen Politik und Unternehmen, formierte sich im Zuge der Privatisierungsprozesse. Eine veränderte politische Kultur der Eliten ist also nur durch einen Austausch der Generationen möglich – und der steht langsam an.
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang Spekulationen über eine Rückkehr von Václav Klaus in die Spitzenpolitik?
Krejčí: Eine Rückkehr von Václav Klaus ist derzeit nur als Helfer bei der Wiederbelebung der ODS oder über eine Wahl in das Europaparlament denkbar. Das ist allerdings kein Comeback, das man als „groß“ bezeichnen könnte. Ganz zu schweigen von der zeitlichen Begrenzung dieses eventuellen Rückwärtssaltos, und zwar auch im Hinblick auf die biophysischen Verschleißerscheinungen seiner – und also auch meiner – Generation.
* Anmerkung der Redaktion: Kurz vor den Parlamentswahlen im Jahr 2006 legte der damalige Leiter der Abteilung zur Bekämpfung organisierter Kriminalität (ÚOOZ) Jan Kubice – im Kabinett von Petr Nečas seit 2011 Innenminister – dem Sicherheitsausschuss des Abgeordnetenhauses einen Bericht vor, in dem mafiöse Verbindungen zwischen Polizei und Politik beschrieben wurden. Das organisierte Verbrechen habe staatliche Stellen infiltriert und würde die Aufklärungsarbeit in einigen Korruptionsfällen behindern, lautete der Verdacht. Wie der Bericht an die Öffentlichkeit gelangt war, ist bis heute nicht geklärt.
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