„Der Sound muss stimmen“
Übersetzerin Eva Profousová über die Schwierigkeit, Bücher in eine andere Sprache zu übertragen
3. 7. 2013 - Interview: Franziska Neudert
Die gebürtige Pragerin Eva Profousová ist seit 2002 als freiberufliche Literaturübersetzerin und Publizistin tätig. Sie übersetzte zahlreiche Prosa- und Theaterautoren ins Deutsche, unter anderem Jáchym Topol, Radka Denemarková, Jaroslav Rudiš, Michal Viewegh und Miloš Urban. Für ihre Übersetzungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet – zum Beispiel 2012 mit dem Georg-Dehio-Buchförderpreis und 2010 mit dem Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen. Eva Profousová lebt in Hamburg. Zuletzt erschien ein Beitrag der 50-Jährigen in der Anthologie „Ich träume von Prag“. Im Interview mit PZ-Redakteurin Franziska Neudert spricht Profousová über Traumbücher, die Schwierigkeiten des Übersetzens und die zwei Seelen in ihrer Brust.
Das Übersetzen von Literatur ist ja selbst schon eine literarische Kunst. Wollten Sie einmal Schriftstellerin werden?
Eva Profousová: Eigentlich gehört das Übersetzen für mich eher zur darstellenden Kunst: Ich schlüpfe in verschiedene Rollen hinein, probiere andere Stimmen aus, gestalte fremde Wirklichkeiten nach. Die Kunst ist allerdings, die Sprache zum Klingen zu bringen. Da gleicht unsere Tätigkeit eher der eines Schauspielers oder Musikers, finde ich. Als Jugendliche habe ich viel geschrieben. Aber Schriftstellerin wollte ich nie so richtig werden. Ich habe eine große Achtung vor diesem Beruf. Dazu muss man mehr können als einfach nur gut schreiben.
Fühlen Sie sich als Übersetzerin manchmal im Schatten stehend? Schließlich verschwinden Sie ja etwas hinter dem Namen des Schriftstellers.
Profousová: Es ist natürlich ärgerlich, wenn eine Rezension über die sinnliche, kunstvolle Sprache des Autors berichtet, ohne zu erwähnen, dass eben diese Sprache von einem Übersetzer geschaffen wurde. Aber wir Übersetzer sind heute viel sichtbarer als früher: Es gibt nicht nur Literaturkritiker, die unsere Leistung zu würdigen wissen, unsere Namen erscheinen im Klappentext, manchmal sogar auf dem Cover, und gute literarische Übersetzungen werden öffentlich gepriesen.
Wenn man zwei Sprachen so gut spricht: Gibt es da eine Art Hin- und Hergerissen-Sein zwischen den Sprachen, ein „Zwischen-den-Stühlen“?
Profousová: Eine Zeitlang habe ich sehr darunter gelitten, weder „Fisch noch Fleisch“ zu sein, ich hätte gerne die doppelte Staatsbürgerschaft beantragt, wenn es sie gegeben hätte, um diesen inneren Zwiespalt zu dokumentieren. Man gehört nie richtig dazu: weder dort noch da. Mein Traum ist, in einer Region zu leben, wo man nach Laune und Situation frei zwischen den beiden Sprachen wechseln könnte, so wie man es im Tessin oder im Elsass macht, in den Grenzgebieten halt.
Es gibt ja das tschechische Sprichwort „So viele Sprachen man spricht, so viele Male ist man Mensch“. Sind Sie ein „anderer“ Mensch, wenn Sie Tschechisch bzw. Deutsch sprechen?
Profousová: Natürlich! Zwei Seelen wohnen ach! in meiner Brust: Je nachdem welche Sprache ich spreche, bin ich jemand anderes. Als Pragerin habe ich eine hellere Stimme und eine eher fragend unsichere Intonation, als Hamburgerin gebe ich mich selbstbewusster, ich gestikuliere anders, meine Stimme ist tiefer. Der Wechsel findet automatisch statt; es ist schon ganz lustig, wenn man sich dabei zusieht.
Was übersetzen Sie besonders gern, was weniger?
Profousová: Ich liebe gute Texte. Schlechte Texte sind mir ein Graus. Wenn ein Text gut geschrieben ist, lässt er sich meistens auch gut übersetzen, denn man braucht dem Autor „nur“ zu folgen. Bei einem schlechten Text muss man die Arbeit des Autors selber erledigen: seine Intention verstehen und auf das Geschriebene übertragen. Das ist manchmal eine ganz harte und unnötige Arbeit.
Was ist die größte Herausforderung am Übersetzen?
Profousová: Den Ton zu treffen, die Stimmung einzufangen – flapsig gesagt: Der Sound muss stimmen.
Stoßen Sie beim Übersetzen an Grenzen? Sprachen funktionieren ja unterschiedlich und nicht immer lassen sich Sprichwörter eins zu eins übersetzen…
Profousová: Wenn es nur die Sprichwörter wären! Da hätten wir Übersetzer es ganz leicht. Das Meiste lässt sich nicht eins zu eins übertragen, welch Glück! Sonst könnte man das Übersetzen tatsächlich dem Computer überlassen. Da die Sprachen nach unterschiedlichen Prinzipen funktionieren, findet man die Lösung des Problems häufig in einem anderen Sprachbereich angesiedelt als in der Originalsprache. In der tschechischen Literatur wird zum Beispiel viel in hovorová čeština geschrieben, eine Art Umgangssprache, die im Deutschen am ehesten in einem Dialekt Entsprechung finden könnte. Wenn aber in einem tschechischen Roman ein Prager wie ein Berliner palavern würde, wäre die Irritation beim deutschen Leser groß. Also versuche ich das Mündliche eher mit Hilfe von Syntax als mit der Lexik nachzubilden.
Welche Schriftsteller liegen Ihnen am Herzen?
Profousová: Eigentlich habe ich keine festen Vorlieben: Jeder Autor ist mir recht, der mich von seinem Anliegen überzeugen kann – und dafür auch eine angemessene Sprache findet. Gute Sachbücher lese ich genauso gerne wie gute Belletristik. Allerdings je älter ich werde, desto seltener bin ich von einem Buch wirklich begeistert: Das war in meiner Jugend häufiger der Fall, leider.
Sie sind nicht nur als Übersetzerin tätig, sondern besprechen auch tschechische Literatur. Vor vielen Jahren haben Sie in der „Neuen Zürcher Zeitung“ bemängelt, die tschechischen Autoren würden sich thematisch ins Ausland flüchten. Hat sich die Situation inzwischen geändert?
Profousová: Oh ja, um die Jahrtausendwende haben tatsächlich viele tschechische Debüts im Ausland gespielt. Damals habe ich es als eine Furcht vor der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte verstanden und mich gefragt, warum keiner über die Vertreibung der Deutschen oder die kommunistische Machtübernahme von 1948 oder die stalinistischen Prozesse schreibt. Inzwischen aber setzen sich sehr viele Autoren mit der Nachkriegsgeschichte auseinander. Die Literatur scheint da sogar eine Vorreiterfunktion zu erfüllen, die Gesellschaft ist etwas langsamer. Im Moment zeichnen sich auch neue Themen ab, die sogar außerhalb Tschechiens von großer Relevanz sind. In dem vorigen Jahr erschienenen Roman von Filip Doušek „Hejno bez ptáků“ versucht ein junger Mathematiker mit Hilfe eines Computerprogramms die kosmische Ordnung zu ergründen – und begreift, dass unsere Welt womöglich anders funktioniert, als wir seit 2.000 Jahren glauben. Ein Paradigmenwechsel müsse her, sagt er, und versucht ihn gleich auch zu skizzieren. Nicht nur das Thema, sondern auch die Sprache und der Aufbau des Romans ist sehr spannend: ein Debüt, über das ich mich sehr gefreut habe!
Haben Sie ein Wunschbuch oder einen Schriftsteller, den Sie gerne übersetzen würden?
Profousová: Wenn die deutschen Verlage ihre Scheu gegenüber toten, unbekannten Autoren verlieren würden und ich drei Wünsche frei hätte, dann möchte ich sehr gerneErzählungen von Karel Schulz ins Deutsche übertragen, den Roman „Sud“ von Karel Milota und Jan Balabáns „Zeptej se táty“. Und sollte ich doch mal den Mut aufbringen und mich an eine Übersetzung ins Tschechische heranwagen, dann wäre Uwe Johnson mein Traum.
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