Ausreden zwecklos
Immer weniger Passagiere fahren im Prager Nahverkehr schwarz. Das hängt auch mit einer Kampagne der Verkehrsbetriebe zusammen
25. 5. 2019 - Text: Marcus Hundt, Titelbild: DPP
Überleg dir doch was Besseres, wie du 800 Kronen ausgibst!
(„Vymysli si lepší způsob, jak utratit osm stovek“ )
Spar dir doch die Nerven – und das Geld!
(„Šetři si nervy i peníze “)
Der Krug geht so lange zum Brunnen …
(„Tak dlouho se chodí se džbánem… “)
Solche Sprüche hängen seit Ende April an Prager Haltestellen. Ein ähnliches Konzept in Bussen und Bahnen: Dort kleben schon länger Comicstrips, an deren Ende ein Kontrolleur mit markantem Kinn für ein Jahresticket wirbt. Darunter steht immer dieselbe Frage: „Nejedeš načerno?“ („Fährst du auch nicht schwarz?“)
Die gleichnamige Kampagne der Stadt und der Verkehrsbetriebe läuft seit über einem Jahr. Das Ziel liegt auf der Hand: weniger Schwarzfahrer und damit mehr Einnahmen. Im Jahr 2016 erwischten die Kontrolleure über 300.000 Passagiere ohne gültigen Fahrschein – so viel wie nie zuvor. Seit dem Start von „Nejedeš načerno?“ ging die Zahl um etwa 15 Prozent zurück.
Offenbar ist der Plan aufgegangen. „Trotzdem suchen wir immer wieder neue Wege, wie wir Fahrgäste darauf hinweisen, dass sie an ihr Ticket denken. Wie jetzt zum Beispiel über die 15 lustigen Sprüche an den Haltestellen“, sagt Petr Tomčík. Der Direktor des Unternehmens ROPID, das den „integrierten Stadtverkehr“ organisiert, setzt vor allem auf das günstige Jahresticket: „Wer das besitzt, kann für umgerechnet zehn Kronen am Tag durch ganz Prag fahren.“ Verglichen mit anderen Städten in Europa, aber auch in Tschechien, sei dieser Preis extrem günstig.
Im Jahr 2015 hatte die damalige Stadtregierung von Oberbürgermeisterin Adriana Krnáčová (ANO) ein zentrales Wahlversprechen eingelöst und den Preis für die Jahreskarte von 4.750 auf 3.650 Kronen gesenkt. Seitdem kostet sie also umgerechnet etwa 140 Euro. Zum Vergleich: In München können Fahrgäste dafür nur einen Monat den ÖPNV nutzen (und das noch nicht einmal im gesamten Stadtgebiet), in Berlin immerhin zwei Monate, in Warschau fünf, in Bratislava sechs und in Rom sieben Monate. Relativ günstig ist der öffentliche Nahverkehr auch in Wien und Budapest, wo Inhaber einer Jahreskarte umgerechnet nur einen Euro pro Tag bezahlen (in Prag 39 Cent).
Auch innerhalb Tschechiens schneidet Prag beim Jahrestarif mit am besten ab – gemessen an der Länge des Verkehrsnetzes liegt die Hauptstadt ohnehin ganz vorn. In Karlsbad (Karlovy Vary), Marienbad (Mariánské Lázně) und Olomouc kosten die Tickets etwas weniger, in Liberec genauso viel, in Ostrava, Pilsen und Brünn bis zu über 1.000 Kronen mehr, in Mladá Boleslav sogar fast doppelt soviel.
ROPID-Chef Tomčík hat also recht: Bus- und Bahnfahrten kosten in Prag vergleichsweise wenig. Für ihn und seinen Kollegen von den Prager Verkehrsbetrieben (DPP) gibt es daher keinen Anlass schwarzzufahren. „Zu denen, die mal vergessen haben, ein Ticket zu lösen, sind wir nachsichtig, aber zu Wiederholungstätern kompromisslos“, warnt Ladislav Urbánek. Die Kontrolleure überführen in Prag im Durchschnitt etwa 700 Schwarzfahrer (von 3,5 Millionen Passagieren). Einige von ihnen, wie der Deutsche Heiko T., fahren allein wegen des Nervenkitzels ohne gültigen Fahrschein.
„Wir haben in Prag den viertbesten Stadtverkehr in Europa. Damit das auch so bleibt, müssen wir uns auch alle an den Kosten beteiligen.“ Urbánek bezieht sich dabei auf eine Studie des Internationalen Automobilverbandes (FIA) aus dem Jahr 2010. Bessere Noten erhielten damals nur München, Helsinki und Wien.
Wer seit Ende 2017 mit der Metro, der Straßenbahn oder dem Bus in Prag unterwegs ist, begegnet der Kampagne gegen Schwarzfahrer. Neben den Sprüchen und Comicstrips sieht man fast überall den runden Aufkleber „Nejedeš načerno?“ oder „Normální je zaplatit“ („Normal ist es zu bezahlen“) – und ab und zu auch „Pokuta za 1/2“ („Strafe für die Hälfte“). Gemeint ist eine Aktion, die bereits über 5.000 Schwarzfahrer in Anspruch genommen haben. Wer erwischt wird, kann statt 800 nur 400 Kronen zahlen – sofern er sich innerhalb von fünf Tagen ein Jahresticket anschafft (und die Strafe nicht gleich vor Ort, sondern bei der Zahlstelle der Verkehrsbetriebe (Na Bojišti 5, Prag 2) bezahlt).
Auch zwei mit faulen Ausreden beklebte Straßenbahnen sind für „Nejedeš načerno?“ im Einsatz. Die sogenannte „Vymlouvačka“ fährt selber schwarz durch Prag und soll den „humorvollen Charakter“ der Kampagne herausstellen. Die Absicht ist klar: Das Thema „Schwarzfahren“ soll in die Öffentlichkeit getragen werden, die Leute sollen darüber sprechen. Dafür gehen die Verantwortlichen auch ungewöhnliche Wege. Auf der Website nejedesnacerno.cz veröffentlichen sie jeden Monat die Termine, an denen verstärkte Kontrollen stattfinden.
Pavel Kurka kontrolliert seit mehr als 25 Jahren Fahrgäste. Dass weniger Schwarzfahrer unterwegs sind, liegt seiner Meinung nach „ganz bestimmt“ an der Kampagne. Auf der anderen Seite hänge das aber auch mit der Preispolitik des Magistrats zusammen. Immerhin besitzen heute etwa 330.000 Passagiere ein Jahresticket der Verkehrsbetriebe und damit rund 60.000 mehr als vor der Preissenkung.
Könnte der Rückgang aber nicht auch daran liegen, dass weniger kontrolliert wird? „Eigentlich sollten wir 150 sein, doch momentan beschäftigen wir nur 138 Kontrolleure. Das Ergebnis wird dadurch ein bisschen beeinflusst – aber nicht so sehr“, meinte Kurka vor kurzem gegenüber dem Tschechischen Rundfunk (Český rozhlas). Im Vergleich zu den Wiener Verkehrsbetrieben, die etwa genauso viel Fahrkartenkontrolleure beschäftigen, herrscht in Prag noch Nachholbedarf. Denn in der österreichischen Hauptstadt fahren nur halb so viel Passagiere schwarz. Gut möglich, dass die Strafe von 145 Euro abschreckender wirkt als die 800 Kronen (30 Euro) in Prag.
Im europäischen Vergleich schneidet Prag aber auch hier gut ab. Von den etwa 6,5 Millionen kontrollierten Fahrgästen konnten 2018 ungefähr 3,6 Prozent kein gültiges Ticket vorweisen. In Wien liegt diese Quote zwar bei unter zwei Prozent. In Hamburg allerdings bei 4,5 Prozent, in Paris bei fünf und in Frankfurt/Main bei sechs Prozent.
Mit höheren Bußgeldern beschäftigt man sich beim Prager Nahverkehr derzeit nicht. Stattdessen wird die – wie es von zuständiger Seite heißt – „sanfte Kampagne“ weiterentwickelt. Unter anderem mit Studenten zweier Verkehrsfachschulen. Im Auftrag von ROPID unterbreiteten sie mehrere Vorschläge, mit denen die Zahl der Schwarzfahrer weiter zurückgehen soll. Den einen oder anderen davon halten die Verantwortlichen für „sehr interessant“.
Demnächst könnten manche Ideen tatsächlich umgesetzt werden: Gibt es bald eine Zeitkarte für zwölf Kronen, mit der man ein paar Haltstellen fahren kann? Werden neben Tages- und 3-Tages-Fahrkarten endlich auch Wochentickets angeboten? Findet einmal im Jahr ein Aktionstag mit kostenlosem Nahverkehr statt? Und müssen die Fahrgäste der Nachtlinien in naher Zukunft vorne beim Fahrer einsteigen?
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Stadtführer in Not
Glückwunsch, Prag 4!