Tschechien verliert Status als große Lkw-Nation
Traditionshersteller Avia schließt bis August 2013 sein Werk / Tatra nach Überschuldung vor ungewissem Neustart
3. 7. 2013 - Text: Friedrich GoedekingText: Gerit Schulze, Germany Trade & Invest; Foto: APZ
In Tschechien geht eine Ära zu Ende. Das Land verliert einen Teil seiner traditionellen Lkw-Produktion. Im Sommer 2013 will der Lastwagenhersteller Avia seine Fertigungsstätte in Prag schließen. Der zweite Lastwagenproduzent Tatra musste im Frühjahr nach Überschuldung zwangsversteigert werden. Der neue tschechische Eigentümer will das Unternehmen breiter aufstellen und neue Märkte erschließen. Weiter gute Geschäfte machen Anbieter von Anhängern und Aufliegern.
Tschechien war viele Jahrzehnte lang nicht nur eine stolze Automobilnation, sondern auch ein wichtiger Lkw-Hersteller. Doch diese Tage scheinen gezählt. Die beiden einzigen Fabriken im Land stecken in großen Schwierigkeiten, und ob sie die Krise überstehen, ist mehr als fraglich.
Besonders kritisch sieht es derzeit für die Lkw-Fabrik Avia aus dem nördlichen Prager Stadtteil Letňany aus. Zu Spitzenzeiten kamen rund 17.000 Lkw pro Jahr aus dem Werk, vor allem Lizenzprodukte für Renault-Saviem. Nach der Jahrtausendwende war der Ausstoß drastisch auf einige Hundert Exemplare gesunken. Der Einstieg der indischen Ashok Leyland (Hinduja Group) brachte 2006 kurz Hoffnung, die Produktionszahlen stiegen wieder. Für die Investoren vom Subkontinent sollte Avia den Weg auf die Absatzmärkte in Europa ebnen. Stattdessen wollen die Inder die Fabrik nun bis Ende Juli 2013 schließen.
Zuletzt wurden bei Avia 2012 über 1.000 Lastwagen gefertigt, so viel wie seit elf Jahren nicht mehr. Doch nach Angaben der Unternehmensführung wäre ein Volumen von 3.000 Fahrzeugen nötig, um in die Gewinnzone zu rutschen. Der Umsatz war 2012 um 56 Prozent auf 665 Millionen Kronen gestiegen.
Dann brach die Produktion 2013 ein. Laut Verband der Autoimporteure SDA hat Avia in den ersten fünf Monaten des Jahres nur vier Lkw hergestellt. Da Ashok Leyland auf dem Heimatmarkt Indien selbst in Schwierigkeiten steckt, ist das Unternehmen offenbar nicht länger bereit, sein tschechisches Engagement weiter zu finanzieren, wie Prager Wirtschaftszeitungen berichteten. Nun sei angedacht, die Produktion nach Indien zu verlagern, die Werkhallen und Grundstücke in Prag zu verkaufen.
Der Rückzug aus Tschechien kommt überraschend, denn das Prager Unternehmen Avia war gerade dabei, auf wichtige Märkte zu expandieren. So wurde 2012 in Argentinien mit dem Verkauf begonnen. In Polen hat Avia ein Verkaufs- und Servicenetz aufgebaut. Außerdem war eine Montage in den Vereinigten Arabischen Emiraten geplant. Auch die Verkäufe in Russland sind zuletzt stark angestiegen. Für den russischen Bushersteller Volgabus sollte Avia Fahrgestelle liefern.
In den USA wollte Avia ab 2014 von einem lokalen Partner tschechische Lkw montieren lassen. Geplant war ein jährlicher Absatz von mindestens 100 Fahrzeugen. Ein wichtiger Kunde in Nordamerika war zuvor der Hersteller von Elektro-Lkw, Smith Electric Vehicles. Die Prager lieferten dorthin Fahrgestelle und Fahrerkabinen.
Mit diesen Produkten hätte das Avia-Werk vielleicht seine Produktion am Laufen halten können. Denn der Mutterkonzern Ashok Leyland plant eine neue Serie schwerer Lkw mit 16 bis 49 Tonnen Nutzlast, für die Tschechien die Kabinen fertigen sollte. Was aus diesen Plänen wird, ist derzeit unklar.
Auch der zweite tschechische Lkw-Produzent Tatra fährt in unruhigem Fahrwasser. Das hängt zum Teil ebenfalls mit Geschäften in Indien zusammen, wo ein indischer Tatra-Großaktionär in diverse Korruptionsskandale verwickelt war. Die produzierten Stückzahlen sind von über 2.400 (2007) auf unter 500 im Jahr 2012 geschrumpft. Aufgrund der hohen Außenstände wurde der Lkw-Hersteller gepfändet und im Frühjahr 2013 zwangsversteigert. Dabei wurde Tatra für umgerechnet 6,8 Millionen Euro von einem tschechischen Geschäftsmann aus dem Rüstungssektor und dem Industriebetrieb Promet Tools aus Ostrava erworben. Hinter dem Deal steckt die tschechisch-slowakische Investmentgruppe J&T.
Die neuen Eigentümer hoffen nun, durch den Neustart in Indien wieder zum Zuge zu kommen. Der dortige Markt war in der Vergangenheit eines der wichtigsten Absatzgebiete für tschechische Lkw. Über 6.000 Tatras oder Lastwagen mit Tatra-Fahrgestellen sollen allein bei der indischen Armee im Einsatz sein.
Das neue Management will aber die Abhängigkeit von militärischen Aufträgen verringern und mehr Lastwagen für die Bau- und Forstwirtschaft, den Bergbau oder zur Brandbekämpfung anbieten. Außerdem entwickelt das Tatra-Werk für die Landwirtschaft ein Hybridmodell aus Traktor und Lkw mit geringerem Treibstoffverbrauch. Schon 2014 soll die Serienproduktion beginnen.
Die Lkw aus dem mährisch-schlesischen Kopřivnice zielen mit ihrem geländegängigem Fahrwerk vor allem auf Märkte mit schwieriger Infrastruktur. Neben Indien sind daher Afrika und die Arabische Halbinsel wichtige Zielmärkte. Außerdem gehören die Länder der ehemaligen Sowjetunion zu den traditionellen Kunden des Unternehmens, das seit 1898 Lastwagen produziert.
Aktuell ist Tatra bis August mit Aufträgen ausgebucht. Der Ausstoß soll 2013 um knapp 80 Prozent auf 880 Einheiten steigen. Im 1. Quartal liefen mehr als doppelt so viele Lkw vom Band wie im Vorjahreszeitraum. Bis 2015 soll die Jahresproduktion dann auf 1.500 Lastwagen ausgeweitet werden.
Neben der Herstellung kompletter Lkw ist Tschechien auch ein wichtiger Produktionsstandort für Anhänger und Sattelauflieger. Das Unternehmen Agados aus Velké Meziříčí im Bezirk Vysočina gehört zu den führenden Anbietern von Anhängern der Kategorien O1 (Gesamtgewicht bis 750 kg) und O2 (bis 3.500 kg) in Europa. Pro Jahr verlassen rund 18.000 Einheiten das Werk.
Tieflader, Pritschenwagen, Containerchassis, Kippauflieger und andere Sattelzüge für Lkw produziert Panav in Senice na Hané bei Olomouc. Das Fertigungsvolumen war nach dem Einbruch 2009 in den letzten Jahren wieder deutlich gestiegen. Doch im 1. Quartal 2013 ging der Ausstoß um fast die Hälfte zurück.
Der österreichische Hersteller von Aufbauten, Sattelaufliegern und Anhängern, Schwarzmüller, ist mit einer Produktion in Žebrák (rund 50 km südwestlich von Prag) vertreten. Das Werk hat 2012 über 850 Anhänger der Kategorien O3 und O4 produziert.
Der tschechische Inlandsmarkt für Lkw war nach dem Rekordjahr 2008 (über 10.500 verkaufte neue Lastwagen) in der Krise auf weniger als die Hälfte geschrumpft. Nach einer zwischenzeitlichen Erholung gingen die Absatzzahlen 2012 erneut um fast ein Zehntel zurück auf 7.234. Meistverkaufte Lkw-Marke im Vorjahr war bei den Neuverkäufen Mercedes-Benz (21 Prozent Marktanteil) vor DAF (19 Prozent) und MAN (16 Prozent). Avia kam nur auf einen Anteil von 2 Prozent (159 Stück). Tatra hat auf dem Heimatmarkt lediglich 85 neue Lkw verkauft (1 Prozent Marktanteil).
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