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Die Hauptstadt will Obdachlose aus Bussen und Bahnen verbannen. Doch das eigentliche Problem bleibt bestehen
25. 7. 2013 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert, Foto: cc/rowibish
Zum Prager Zentrum gehören sie beinahe wie die hundert Türme: Obdachlose. Einen neuen Entwurf, die Zahl der Obdachlosen in den öffentlichen Verkehrsmitteln einzudämmen, hat nun die Stadtverwaltung vorgelegt. Der mit den Prager Verkehrsbetrieben (DPP) ausgearbeitete Plan sieht vor, eine entsprechende Sondereinheit zu gründen. Diese soll dafür sorgen, dass Obdachlose aus Bussen, U- und Straßenbahnen verschwinden.
Wie Oberbürgermeister Tomáš Hudeček (TOP 09) am vergangenen Donnerstag bekanntgab, soll sich die Einheit aus Polizisten sowie Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und der Verkehrsbetriebe bestehen. Ihr Ziel ist es, Obdachlose daran zu hindern, den öffentlichen Nahverkehr als Zufluchtsort zu nutzen. Vor allem im Winter würden sie wegen mangelnder Hygiene oder Trunkenheit andere Fahrgäste stören, knapp 40 Beschwerden seien zwischen Januar und Juni dieses Jahres bei den Verkehrsbetrieben eingegangen. Laut dem städtischen Sozialrat Martin Dlouhý (TOP 09) bedeutet das allerdings nicht, dass Obdachlose im Winter nun einfach rausgeworfen würden. Streetworker sollen dann zur Stelle sein und sich um die Betroffenen kümmern. Wie das Vorhaben tatsächlich umgesetzt wird, ist noch unklar.
Laut Hudeček müssten die Maßnahmen zur Folge haben, dass Obdachlose freiwillig Sozialeinrichtungen aufsuchen und sich nicht in öffentliche Verkehrsmittel flüchten. „Wir hätten das Problem schon lange anpacken sollen“, so der Oberbürgermeister. „Natürlich werden die Obdachlosen nicht von heute auf morgen aus den Bahnen verschwinden. Wenn wir einen Rückgang von 20 bis 30 Prozent erreichen, wäre das ein großer Erfolg.“ Erste Resultate wollen die Stadtoberen bereits im Herbst dieses Jahres vorlegen.
Schwierige Integration
In Tschechien haben laut einer Studie des Europäischen Sozial-fonds etwa 27.500 Menschen kein Obdach. 5.300 von ihnen leben in Prag, doch nur 1.250 bekennen sich zu ihrer Obdachlosigkeit und nehmen Hilfsangebote wahr. Die geplante Initiative lehnen die Betroffenen ab. „Für mich ist das Kasperletheater“, sagt die 31 Jahre alte Hanka, die vor einem Vierteljahr selbst noch auf der Straße lebte. Denn das eigentliche Problem würde damit nicht gelöst. „Dass ich auf der Straße gelandet bin, hat viele Gründe. Leider kann das jedem passieren. Man sollte sich besser überlegen, wie es dazu kommen kann, dass jemand die Nacht in einer Straßenbahn verbringen muss.“ Das sieht der ehemalige Obdachlose Jarda genauso. Ihn habe man einmal bei minus 20 Grad drei Mal aus einer einzigen Straßenbahn geworfen. „Da habe ich die Beamten gefragt, wohin ich denn gehen soll, wenn die Herbergen keinen Platz mehr für mich haben“, so der 39-Jährige. Eine Antwort darauf hat er nicht bekommen.
Wie ein nachhaltiger Umgang mit der Obdachlosigkeit aussehen kann, hat das von der Stadtverwaltung und der EU mit 25,3 Millionen Kronen geförderte Projekt „Zurück zur Arbeit“ („Zpět do práce“) gezeigt. Dank der zweijährigen Initiative der NGO „Integrace“ konnten über hundert Obdachlose in den Arbeitsalltag integriert werden. Durch die Schulung von Schlüsselkompetenzen und praktische Hilfe bei der Jobsuche erhielten 119 Obdachlose einen Arbeitsvertrag von mehr als drei Monaten. An dem Projekt beteiligten sich über 1.400 Personen, viele hätten dadurch zumindest für kurze Zeit einen Job gefunden. Wie der Leiter der NGO Petr Knop erklärt, erhielten die meisten von ihnen eine Anstellung für Geringqualifizierte, etwa auf dem Bau oder als Wächter, bei der sie im Schnitt nur knapp 3.500 Kronen verdienten.
„Wir mussten sehr viel Energie investieren, um die Arbeitgeber von dem Projekt zu überzeugen. Die wenigsten haben positiv reagiert“, so Knop. Immerhin 30 Firmen hätten sich am Ende beteiligt. Probleme allerdings gibt es nicht nur auf Seiten der Arbeitgeber. Auch viele Obdachlose weigerten sich, ihre Situation tatsächlich ändern zu wollen. „Einem bestimmten Prozentsatz kann man wohl überhaupt nicht mehr helfen“, glaubt Knop. Ob das im August zu Ende gehende Projekt fortgesetzt wird, will der Sozialausschuss der Stadt in den kommenden Wochen entscheiden.
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