Schwere Kost und leichte Muse
Evelyn Opela wird 75: Fan-Post für eine beeindruckende Schauspielerin
4. 2. 2020 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Evelyn Opela in der Derrick-Episode „Gangster haben andere Spielregeln“ (1984)
Liebe Evelyn Opela,
lange hat man nichts mehr von Ihnen gehört bzw. über Sie gelesen. Ich hoffe, Sie feiern Ihren Geburtstag heute mit großer Freude und Gesundheit. Denn Sie waren die erste Tschechin, die ich kennenlernte – wenn auch nur auf einer Fernseh-Mattscheibe, vor ziemlich genau 50 Jahren.
Ab Beginn der 1970er Jahre prägten Sie das Bild meiner Generation von einer Schauspielerin aus der Tschechoslowakei, jenem damals noch so hermetisch abgeriegelten Nachbarland im Osten, das von West-Deutschland durch eine fürchterliche Grenze getrennt wurde und dessen Menschen uns daher sehr fremd waren. Ich war nie ein Fan von verträumten tschechoslowakischen Kinder- und Märchenfilmen, die seit Jahrzehnten die Herzen deutscher TV-Zuschauer erobern. Deshalb konnte mich auch nie – zum Beispiel – Libuše Šafránková beeindrucken, die allzu liebliche Hauptaktrice in „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“.
Sie waren hingegen ganz anders. Praktisch zur gleichen Zeit wie die DarstellerInnen in diesen Märchen machten auch Sie sich durch Filme einen Namen in Deutschland – allerdings in handfesten, zuweilen fast brutal realistischen Rollen. Besonders in dem Streifen „Das falsche Gewicht“ nach einem Roman von Joseph Roth, in dem ich Sie erstmals sah, im Jahr 1971 oder 72. Darin spielen Sie eine Zigeunerin, die Einfluss über einen Eichmeister gewinnt, der Gewichte auf Märkten in einem weit abseits gelegenen Grenzdorf in Galizien kontrolliert und wegen seiner pedantischen Art ebenso mächtig wie verhasst ist. Sie schienen für diese Rolle geradezu prädestiniert. Ihre weiche Stimme mit dem schönen slawischen Einschlag, die langen pechschwarzen Haare und Ihr geheimnisvolles Lächeln bildeten einen spannenden Kontrast zur brachialen Urgewalt, mit der Helmut Qualtinger diesen Eichmeister darstellte.
Mit verführerischer Ausstrahlung wickeln Sie diesen Mann um den Finger, der so quälerisch agiert, dass man sich sogar vor dem Bildschirm vor ihm fürchtet. Dadurch schufen Sie nicht nur das (Vor-)Bild für eine tschechische Schauspielerin, sondern zeigten uns zugleich, dass tschechische Frauen nicht immer Walküren in Kugelstoßringen sein müssen. Das deutete in den 1960er Jahren zwar schon Turn-Olympiasiegerin Věra Čáslavská an, doch hielten wir sie damals schlicht und einfach für einen Zufall, sozusagen für die Ausnahme von der Regel.
Es freute mich, dass Sie sich später oft selbst auf diesen Film beriefen und Ihre „großartige Rolle“ herausstellten. Aus gutem Grund erhielt Regisseur Bernhard Wicki dafür hinterher mehrere Auszeichnungen, so auch ein Filmband in Gold. Dass Sie bald darauf in „Komm, Zigan“ zu sehen waren, einem TV-Mehrteiler über Zigeuner und ihre Darstellung in Oper und Operette, ließ fürchten, dass man Sie in Deutschland nach dem „falschen Gewicht“ allzu schnell in einer Rollenschublade abgelegt haben könnte. Doch das war falsch. Denn immer wieder wiesen Sie nach, keine Klischees bedienen zu wollen. Vielmehr gelang Ihnen im folgenden Vierteljahrhundert ein bewundernswerter Spagat zwischen Anspruch und leichter Unterhaltung.
Ebenso sinnlich wie unnahbar wirkten Sie kurz nach dem „Gewicht“ auch in dem Fernsehkrimi „Der Amateur“. Er handelt von einem Kassier, der Wind von einem Überfall auf seine Bankfiliale bekommt und das Geld kurzerhand in seiner eigenen Büchse verschwinden lässt, später aber um seinen genialen Plan fürchten muss. Er sei eben doch „nur ein Amateur“ lassen Sie ihn am Ende wissen, mit einem unvergleichlich spöttischen Lächeln. Regie führte Rainer Erler, ein ebenfalls hochdekorierter Autor und Regisseur, der immer eigenwillige, aber auch originelle Filme drehte. Er besetzte Sie Mitte der 1970er Jahre zudem in „Das blaue Palais“, einer Science-Fiction-Serie im Fernsehen, über die danach in Deutschland heftig diskutiert wurde.
Weniger gefielen mir in jenen Jahren die zahlreichen „Lümmel“-Komödien, mit Titeln wie „Die Lümmel von der ersten Bank“ oder „Morgen fällt die Schule aus“. Für mich lediglich kommerzielle Massenware, die man heute für einen schlechten Scherz auf der Leinwand halten könnte. Doch: In den 1970er Jahren beglückten diese Filme ein Millionenpublikum. Denn darin spielten Sie neben Uschi Glas, Hannelore Elsner, Theo Lingen, Gustav Knuth, Harald Juhnke, Hans Korte und Gila von Weitershausen, bis heute allesamt klangvolle Schauspieler-Namen.
Auch die Verfilmungen von Ganghofer-Romanen, aus denen sogenannte Heimatfilme wie „Schloss Hubertus“ entstanden, konnte man mögen oder nicht. Auch darin war mit Karlheinz Böhm jedoch ein Star Ihr Filmpartner. Er bezeichnete später oft seine Zusammenarbeit mit Rainer Werner Fassbinder als Höhepunkt seiner Filmarbeit. Daher war es schade, dass der Neue Deutsche Film keine Rollen für Sie hatte, den Regisseure wie Volker Schlöndorff, Werner Herzog, Wim Wenders und eben Fassbinder zur gleichen Zeit entwickelten.
Ich denke, Sie haben das damals selbst bedauert. Denn in einem Interview erklärten Sie später ausweichend, dass der Film in jenen Jahren in Deutschland „in eine Sackgasse“ geraten sei. Das Publikum habe sich an eben jenen Schüler- und Heimatfilmen erfreut und sei zudem „gierig nach ausländischen Produktionen“ gewesen. „Keine gute Zeit“ für den deutschen Film, urteilten Sie, tatsächlich kamen zu jener Zeit ja auch seltsame Streifen wie „Schulmädchen-Report“ und „Lederhosen“-Filme auf den Markt.
In Interviews gaben Sie manch Wissenswertes über sich preis. Etwa, dass Sie aus Varnsdorf stammen und anfangs eine sehr schwierige Zeit in Deutschland hatten, weil man hier zu jener Zeit „Ausländer nicht besonders gemocht“ habe. Oder dass Sie „für eine große Fernsehrolle 2.700 Mark“ bekamen und dachten, damit seien Sie „gerade Millionärin geworden, habe mir einen Wintermantel, Schuhe, einen Schrank und andere Sachen gekauft und davon noch Monate gelebt“, wie Sie einmal ausführten.
Es überraschte mich, dass Sie schon 1967 nach Deutschland kamen, ein Jahr bevor der Prager Frühling in der ČSSR seinen Höhepunkt erreichte. Bis dahin sollen Sie nach der Ausbildung an einer Prager Schauspielschule bereits in etwa einem Dutzend Filmen in Ihrer Heimat mitgewirkt haben, wie zu lesen war, nicht selten als klassische Liebhaberin. Und Sie spielten dort auch am Theater, in eher tragischen Rollen, wurde zumindest geschrieben. Diese Auftritte setzten Sie später auf großen Bühnen in Düsseldorf und Wien fort, neben oder statt Film und Fernsehen. Leider hat es sich für mich nie ergeben, Sie einmal im Theater zu sehen. Dafür habe ich Sie in der ersten Hälfte der 1970er Jahre auf manchem Cover von Fernsehzeitungen entdeckt, wenn ich mich richtig erinnere. Zwangsläufig, denn schon damals traten Sie ja in Serien und Mehrteilern auf. Zunächst im ZDF-„Kommissar“, in den 1970ern ein wahrer Straßenfeger, als es in Deutschland nur zwei Fernsehsender gab. Dann auch in „Tatort“-Folgen und im „Traumschiff“, außerdem bei privaten TV-Sendern.
Praktisch zu einem Stammgast in deutschen Wohnzimmern wurden Sie durch Ihre zahlreichen Rollen in den populären Freitagabend-Krimis wie „Derrick“ oder „Der Alte“. Und Sie spielten 1993 in dem Thriller „Night Train to Venice“, wohl Ihr internationalster Film, gemeinsam mit den Stars Hugh Grant und Malcolm McDowell, bekannt aus dem Filmklassiker „Clockwork Orange“. Und wieder ein Spagat, diesmal nicht zwischen schwerer Kost und leichter Muse, sondern zwischen deutschen und renommierten ausländischen Kollegen.
In den deutschen Fernsehserien erlebten wir Sie weiterhin als attraktive und geheimnisvolle Frau. Nicht selten als elegante Dame der Gesellschaft mit großen ausdrucksstarken Augen, auf die Filmkritiker immer besonders gerne hinwiesen. Und dies wurden Sie ja auch im echten Leben, nämlich ein Mitglied der Münchner Society und Glamour-Paar, durch Ihre Heirat Mitte der 1980er Jahre mit Helmut Ringelmann. Manchmal habe ich mich gefragt, ob Ihnen diese Vielzahl an Rollen nicht auch viel Neid einbrachte. Denn diese Serien wurden von Ihrem Ehemann produziert. Und Neid ist unter SchauspielerInnen, wie allgemein unter Künstlern, ja durchaus verbreitet.
Ihrer alten Heimat blieben Sie offenkundig auch in Deutschland verbunden. Einen Hinweis darauf lieferte ein Interview mit Ihrer eigenen Agentur. Demnach besuchten Sie mit Ihrer früheren Agentin deren Heimatort Pilsen. „Weil sie die Sprache nicht mehr sprach, wollte ich vermitteln“, erzählten Sie in jenem Gespräch.
Nach dem Tod Ihres Mannes vor neun Jahren führten Sie die Produktionsfirma weiter. Wenn die Filmografien korrekt sind, dann waren Sie vor mehr als zwei Jahrzehnten in der Serie „Der Mann ohne Schatten“ letztmals in einer Fernsehrolle zu sehen. Gerne würden Sie Angebote annehmen, wenn sich etwas ergäbe, erklärten Sie hernach mal in einem Interview. Und wenn nichts zu tun sei, dann „stürzt man sich einfach auf andere Sachen. Das ist auch sehr schön“, fuhren Sie fort. Dabei wünsche ich Ihnen auch weiterhin viel Spaß und große Begeisterung – ohne jedoch die Hoffnung aufzugeben, Sie wieder einmal in einer Film- oder Fernsehrolle zu erleben.
Sommerfrische in der Steiermark
Mediale Grenzgänger