Erfolgreiche Aufbauhilfe
Das Internationale Begegnungszentrum im nordböhmischen Hejnice gilt als gelungenes Beispiel für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Doch der Weg dorthin gestaltete sich schwierig
31. 7. 2013 - Text: Josef FüllenbachText: Josef Füllenbach; Foto: APZ
Die finanzielle Unterstützung von Projekten und Programmen aus Brüsseler Strukturfonds ist in Tschechien ziemlich in Verruf geraten. Nicht dass die Regierung auf diese Mittel nicht mehr zurückgreifen möchte, sondern sie wird offensichtlich nicht Herr des Missbrauchs der Fördergelder. Wegen betrügerischer Machenschaften sind inzwischen zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen der Korruption verdächtige Amtsträger eingeleitet, eine Reihe von Beschuldigten wartet hinter Gittern auf den Prozess. Der spektakulärste Fall ist der des mittelböhmischen Landeshauptmanns David Rath, der bald vor Gericht stehen soll. Er soll bei einer Reihe von EU-geförderten Projekten die Aufträge durch Manipulation der Ausschreibungen ihm ergebenen Firmen zugeschanzt haben, mit denen – so die Anklage – vorab vereinbart war, beträchtliche Summen für Rath selbst und einige Mittelsleute abzuzweigen. Rath wurde am helllichten Tag nach der Verteilung eines Teils der Beute mit einem Weinkarton erwischt, der statt edler Tropfen edles Papier enthielt: sieben Millionen Kronen.
Bei all diesen Fällen ist jedoch ein spezielles EU-Programm bislang nicht ins Gerede gekommen: die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die in Tschechien seit 1994 gefördert wird. In der ersten Programmphase (1994 bis 1999) standen Tschechien dafür gut 183 Millionen Euro zur Verfügung, davon allein für die Zusammenarbeit mit den benachbarten deutschen Landkreisen in Bayern und Sachsen etwas über 136 Millionen Euro. Damals war das eine Menge Geld, etwa die Hälfte aller Fördermittel aus Brüssel. Da Tschechien seit 2004 als EU-Mitglied Anrecht auf Unterstützung aus den „regulären“ EU-Fonds hat, ist das relative Gewicht dieser spezifischen EU-Förderung deutlich zurückgegangen.
Dass die grenzübergreifende Zusammenarbeit bis heute nicht von der Korruptionsbekämpfung ins Visier genommen wurde, hat einen einfachen Grund: Die Verwaltung der Mittel liegt in der gemeinsamen Verantwortung der zuständigen regionalen Stellen auf beiden Seiten der Grenze; man schaut sich also gegenseitig auf die Finger. In Prag hat das Ministerium für Regionalentwicklung (MMR) die Oberaufsicht. Aus dem MMR ist zu vernehmen, dass bei den häufigen Regierungswechseln das Interesse der jeweils neuen politischen Leitung an der grenzübergreifenden Zusammenarbeit rasch versiegt, sobald sie die Notwendigkeit verstanden hat, sich über alle Entscheidungen mit dem Partner auf der anderen Seite der Grenze verständigen zu müssen. So wacht über die tschechischen Teile des Programms seit etwa 1997 ein außerordentlich fähiger Beamter in der Position eines Direktors, hoch angesehen bei den Partnern in den Nachbarländern bis in höchste politische Ränge hinauf und in Tschechien völlig unbehelligt von unangemessenen politischen Einflussnahmen, die hierzulande für den Umgang mit anderen EU-Programmen leider kennzeichnend sind.
Abwesenheit korrupter Praktiken garantiert freilich noch nicht den Erfolg des Programms. Dazu ist es erforderlich, sich die einzelnen Projekte vorzunehmen und – am besten einige Jahre nach Fertigstellung – das Erreichte im Lichte der ursprünglichen Ziele zu bewerten.
Die Wende als Glücksfall
Ein Beispiel ist das Internationale Begegnungszentrum in Hejnice (Haindorf), einem wenige Kilometer nördlich von Liberec (Reichenberg) malerisch im Isergebirge gelegenen Wallfahrtsort. 1997 wurden für das Projekt 1,68 Millionen Euro, knapp 56 Prozent der Gesamtkosten, als Zuschuss der EU bewilligt. Das Zentrum schaut jetzt auf zwölf Jahre seiner Nutzung zurück. 1997 war das Projekt zum Zeitpunkt der Antragstellung höchst umstritten; die deutsche Seite und vor allem die EU-Kommission lehnten es zunächst rundweg als nicht förderungswürdig ab. In seiner Realisierungsphase geriet es unerwartet in die Gefahr, nachträglich die EU-Unterstützung zu verlieren, und das nicht nur auf Betreiben der EU, sondern auch Prag drohte die Förderung zu streichen. Heute bietet es sich als ein insgesamt sehr gelungenes Projekt dar. Das Verdienst daran gebührt vornehmlich Pater Miloš Raban. Wie ist es dazu gekommen?
Die Wallfahrtsstätte geht auf eine Legende zurück, nach der im 12. Jahrhundert Frau und Kind eines Netz- und Siebmachers auf wundersame Weise von ihren Krankheiten geheilt wurden: Der Handwerker hatte nach einer Traumerscheinung eine kleine hölzerne Statue der Madonna mit dem Kinde an einer uralten Linde angebracht, so dass die Menschen aus der Umgebung sich unter dem Baum zur Verehrung der Gottesmutter versammeln konnten. Angeblich soll der Platz um die Linde schon vorher heidnischen Versammlungen und Ritualen gedient haben, so dass der Legende vermutlich die Umwidmung eines heidnischen Kultes in christliches Brauchtum zugrunde liegt.
Für den bald einsetzenden und ständig steigenden Pilgerstrom wurde die zunächst errichtete Kapelle schrittweise zu einer gotischen Kirche ausgebaut. Diese ließ Wallensteins Nachfolger als Herr von Friedland, Franz Ferdinand Gallas, Ende des 17. Jahrhunderts durch die heutige Barockbasilika ersetzen und durch einen neuen quadratischen Bau für ein Franziskanerkloster ergänzen. Abgesehen von Einschränkungen unter Kaiser Josef II, bestand das Franziskanerkloster bis 1950, als es von der Staatssicherheit beschlagnahmt wurde. Fortan diente es zunächst als Internierungslager für Ordensgeistliche, danach als Schulkantine und Kinderhort. Seit 1977 standen die meisten Gebäudeteile leer oder wurden als Lager benutzt, während sie fortschreitend verfielen.
Die Wende 1989 war nicht nur ein Glücksfall im Großen für das Land, sondern auch im Kleinen für das ehemalige Kloster. Der Bischof von Litoměřice (Leitmeritz), zu dessen Bistum Hejnice gehört, bat den aus dem Isergebirge stammenden Pater Raban, von Frankfurt am Main in seine Heimat zurückzukehren und sich des Klosters anzunehmen. Raban war 1978 über Wien nach Rom emigriert, wo er nach dem Studium an der päpstlichen Universität Gregoriana 1985 zum Priester geweiht wurde. Die verbleibenden Jahre bis 1990 arbeitete er als Kaplan auf dem Frankfurter Flughafen.
Der neuen Aufgabe in Hejnice nahm sich Raban mit einer Mischung aus Visionskraft, Energie, Begeisterungsfähigkeit und Gottvertrauen an. Vordringlich war für ihn die Wiederherstellung der Basilika Mariä Heimsuchung, die ihm in der ersten Hälfte der neunziger Jahre mit finanzieller Unterstützung des Bistums Leitmeritz und katholischer Organisationen vor allem aus Deutschland glückte. Seither erhebt sich die Wallfahrtskirche wieder in alter barocker Pracht über einem Felsen, um den sich das Flüsschen Wittig (Smědá) schlängelt, und zieht wieder Pilger von nah und fern an.
Ungeahnte Barrieren
An eine Wiederaufnahme des Klosterbetriebs war nicht zu denken. Aber Raban hatte eine bessere Idee – oder war es eher eine Vision? Angesichts der geistigen und geistlichen Öde, welche die kommunistische Diktatur hinterlassen hatte, wollte er im ehemaligen Klostergebäude nach gründlicher Restaurierung ein Internationales Zentrum der geistlichen Erneuerung gründen. Doch woher dafür die Mittel nehmen? Der erbarmungswürdige Zustand des Areals ließ Kosten erwarten, die aus kirchlichen Quellen nicht annähernd zu decken waren. Das Glück winkte Raban in Gestalt der Euroregion Nisa, die im Dreiländereck von Tschechien, Deutschland und Polen gerade begonnen hatte, mit Brüsseler Hilfe grenzüberschreitende Projekte zu verwirklichen. Generelles Ziel des Programms war es, die Situation in den Grenzgebieten zu verbessern und vor allem jede Art von Interaktionen über die Grenzen hinweg zu fördern. Raban hatte dank seiner Überzeugungskraft die Euroregion rasch auf seine Seite gebracht; diese wiederum fand in Prag offene Ohren.
Die kalte Dusche kam, als das Projekt auf den Tisch des Entscheidungsgremiums gelangte, dem Vertreter aus Prag, Berlin, Dresden und Brüssel angehörten. Die deutsche Seite und noch mehr die EU-Kommission votierten ablehnend: Das Projekt sei zu religiös ausgerichtet, der Träger gar ein Bistum; ferner stehe der „Business-Plan“ auf wackeligen Füßen: Woher soll die Nachfrage kommen, wie sollen die laufenden Kosten erwirtschaftet werden, wo sind die Garantien, dass das Zentrum potenziell allen offen stehen wird? Ein tschechischer Mitarbeiter der EU-Vertretung in Prag war am meisten bemüht, das Vorhaben zu Fall zu bringen. Er machte kein Hehl aus seinem Verdruss darüber, dass sich wieder kirchliches Leben regte. Die Lösung war schließlich, das Projekt neutral in „Internationales Begegnungszentrum“ umzutaufen und die Offenheit des Zentrums auch für weltliche Veranstaltungen fest zu vereinbaren.
Danach geriet das Projekt erneut ins Schlingern. Als die umfangreichen Bauarbeiten ausgeschrieben werden sollten, überraschte Raban mit der Mitteilung, die von ihm ausgewählte Baufirma habe mit den Arbeiten längst begonnen, ein Tender erübrige sich. Da die Firma bereits die Basilika restauriert hatte und sowohl Raban als auch dem Seelenheil ihres Eigentümers zuliebe teilweise für Gotteslohn zu arbeiten bereit war, wollte der Geistliche unbedingt an dem getroffenen Arrangement festhalten. Erst nach monatelangem Tauziehen war Raban zu überzeugen, dass bei der EU an einer regulären Ausschreibung kein Weg vorbei führt. Den Auftrag gewann natürlich die besagte Firma, doch wertvolle Zeit war verstrichen, und die Frist für die Nutzung der EU-Mittel konnte nur mit größter Mühe eingehalten werden.
Diese Mühe bestand für Raban, wie er immer wieder versicherte, vornehmlich im unermüdlichen Gebet für das Gelingen des Werkes. Und das Werk schließlich, wie es Raban verstand, war die Neuwidmung des Areals für den ursprünglichen Zweck, den ihm der Gründer des Klosters, Franz Ferdinand Gallas, vor mehr als 200 Jahren vorgegeben hatte: „durch geistige Erneuerung die Menschen zu erheben und mit ihnen den Ort, die Umgebung, die ganze Region“. Am 5. Januar 2001 konnte das Zentrum feierlich eingeweiht werden. Pater Raban erlebte noch das zehnjährige Jubiläum seiner Wirklichkeit gewordenen Vision auf dem Sterbebett; zwei Tage später, am 7. Januar 2011, verschied er in der Gewissheit, alle kleinlichen Zweifler von einer selten so gut gelungenen Verwendung von EU-Fördermitteln überzeugt zu haben.
Heute tragen knapp 40 Prozent der Veranstaltungen im Zentrum religiösen Charakter; sie werden aus kirchlichen Zuschüssen, auch aus Deutschland, finanziert. Über 60 Prozent der Nutzung fällt auf weltliche Aktionen: von Konferenzen, Schulungen und Seminaren über kulturelle Veranstaltungen bis hin zu Firmen- oder Familienfeiern; hier müssen die Teilnehmer die Kosten decken. Fast alle Veranstaltungen sind international. Da die Wirtschaftskrise auch in Hejnice zu spüren ist, versucht das Zentrum neuerdings durch einen 2013 begonnenen Hotelbetrieb weitere Einnahmen zu erzielen – bei der landschaftlichen Schönheit des Ortes und seiner Umgebung gewiss ein hoffnungsvolles Unterfangen.
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