„Fremde überweisen mir Geld“
Jaromír Konečný ist Schriftsteller, Naturwissenschaftler, Poetry Slamer - und sorgt sich trotzdem um seine Zukunft
30. 4. 2020 - Interview: Klaus Hanisch, Titelbild: Storyvents
PZ: Sie veröffentlichen seit 20 Jahren praktisch jedes Jahr ein neues Buch. Arbeiten Sie bereits an einem Werk über Corona?
Jaromír Konečný: Ich beschäftige mich sehr mit Künstlicher Intelligenz (KI) und poste ständig Blog-Beiträge über Corona, vor allem bei Facebook. In „Spektrum der Wissenschaft“ habe ich kürzlich einen Beitrag über KI-Programme veröffentlicht. Ein KI-Programm aus Toronto hat die Pandemie schon im Dezember und noch vor der Weltgesundheitsorganisation vorhergesagt. Es wertete auch internationale Flugkarten aus und warnte davor, wo sich dieses Virus am schnellsten ausbreitet. Tatsächlich waren jene zehn Städte auf seiner Liste, wo Corona zuerst ausbrach. Deshalb interessiert mich das. Aber ich komme auf keinen grünen Zweig, wenn ich über alles ein Buch schreibe, was mich interessiert.
Als promovierter Naturwissenschaftler fällt Ihnen jedoch sicher einiges zu diesem Virus ein.
Ich habe acht Jahre an der TU München über die Entstehung des genetischen Codes geforscht. Dabei habe ich mich viel mit RNA-Viren beschäftigt, und dazu gehört auch das Corona-Virus. Ich bin froh, dass uns nicht etwa Ebola überfallen hat. Dann hätten wir richtig Probleme, da ist die Letalität deutlich größer. Ich bin sehr optimistisch, weil seit Wochen weltweit geforscht wird. Auch Forschungen über die Ansteckungsgefahr gehen jetzt in großen Schritten voran. Ich sehe die große Chance, dass wir aus dieser Pandemie viel lernen, künftig besser vorbereitet sind und daher auch deutlich besser durch Krisen wie jetzt kommen. Da sich Studien und Tests verkürzen, glaube ich, dass wir möglicherweise schon im Juni über ein Medikament verfügen. Mit einem Impfstoff kann man wohl nächstes Jahr rechnen.
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Während dieser Corona-Krise gestalten Sie W.H.O. – die Wohnzimmer-Heiterkeits-Offensive. Worum geht es dabei?
Wegen Corona kann ich 40 Veranstaltungen bis Ende Mai nicht durchführen. Gerade von März bis Mai verdiene ich normalerweise das meiste Geld. Das fehlt jetzt komplett. Deshalb habe ich mit anderen Bühnenkünstlern überlegt, wie wir über die Runden kommen. Wir wollen gerade in diesen Krisenzeiten kreativ sein und etwas aufziehen. Jetzt sitzen wir in unseren Wohnzimmern und machen jeden Samstag Abend um 20 Uhr eine Show: fünf Leute, zwei Gäste, 50 Besucher im Publikum. Dadurch entwickelt sich ein neues Format – und wir mit ihm.
Wie kommen so viele Menschen bei diesen Ausgangsbeschränkungen zusammen?
Es ist eine virtuelle Show, eine Poetry- & Musikbühne im Zoom, in den wir alle direkt aus unseren Wohnzimmern hineinschlüpfen. Man sieht sie und sie kommen auch zu Wort. Das ist anders als normales Videostreaming, hier sind wir alle zusammen in einem virtuellen Raum. Und das erzeugt tatsächlich ein Gefühl der Nähe. Auch nach der Show bleiben wir noch zusammen, fast wie in einer Kneipe, und quatschen miteinander.
Geht es für Sie schon an die finanzielle Substanz, gar um die Existenz, wenn so viele Veranstaltungen ausfallen?
Ich habe zunächst tatsächlich nicht gewusst, wie ich finanziell überleben soll. Zudem mit zwei Kindern. Doch ich erlebe enorm viel Hilfsbereitschaft. Eine Dame, die mich nur einmal im Leben sah, hat mich angeschrieben und nach meiner Kontonummer gefragt. Ich will mich nicht verschulden, habe aber auf Facebook meine Situation geschildert. Tatsächlich habe ich dadurch 150 Bücher in einer Woche verkauft. Zudem habe ich, wie vermutlich auch andere Künstler, etwas Unterstützung vom bayerischen Staat erhalten.
Der frühere Bundesinnenminister und Vorsitzende des NRW-Kulturrats Gerhard Baum fordert einen Rettungsfonds für freiberufliche Künstler wie Sie, weil staatliche Förderung nicht greife und sie die Schwächsten der Schwachen in dieser Krise seien. Sehen Sie es auch so?
Natürlich bin ich sehr stark betroffen, aber es gibt auch andere Berufe, die unter dieser Krise leiden. Auch in der Kunst, zum Beispiel Bühnentechniker oder Veranstalter. Meine Lese-Agentur, vier Frauen, macht normalerweise viel für uns, derzeit haben sie überhaupt keinen Verdienst mehr. Ich bin deshalb etwas vorsichtig, weil wir schon viel gejammert haben. Ich schreibe noch Bücher, Blogs und Artikel und unterrichte. Ich muss nun eben versuchen, mich mit anderen Dingen über Wasser zu halten. Aber selbstverständlich bin ich für jede Unterstützung dankbar. Wenn es noch lange dauert, wird möglicherweise die ganze Kultur sterben.
Die „Süddeutsche Zeitung“ empfahl Ihr Buch „Du wächst für den Galgen“ gleichsam als Medizin für diese Corona-Zeit. Sind Künstler ebenso systemrelevant wie Krankenpfleger oder Apotheker, weil sie Stimmung und Moral der Menschen stärken und dabei helfen, dass Bürger die großen Einschränkungen mittragen?
Ja, ich empfinde es so! Wir merken jeden Samstag, mit welcher Freude unser Publikum teilnimmt und wie sehr die Leute das brauchen. Sie wollen gerade jetzt lachen. Ich bin dankbar dafür, dass mein Buch empfohlen wurde. Es ist für mich selbst mein bestes Buch, die Handlung spielt zum großen Teil in der sozialistischen Tschechoslowakei. Ein kleiner Verlag hat es herausgebracht, weil sich kein großer für solch ein Thema finden lässt.
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Sie wurden in Prag geboren und traten auch oft in Ihrer tschechischen Heimat auf. Welche Stimmung vernehmen Sie von dort unter den Künstlern?
Ich kenne viele Leute aus der Poetry-Slam-Szene und lese, was sie in Facebook schreiben, etwa Anatol Svahilec und Tomáš Kůs. Sie machen auch verschiedene Sachen, Online-Shows zum Beispiel. Wahrscheinlich ist die Situation für sie genau so schwierig. Ich habe jedoch wenig Zeit, mich darum zu kümmern, weniger als vor der Corona-Krise. Denn meine Online-Veranstaltungen bringen zwar kaum Geld, kosten aber wahnsinnig viel Zeit. Wir überlegen ständig, was wir tun können, jeden Tag gibt es Videokonferenzen und so weiter. Ich treffe gerade virtuell so viele Leute wie nie in normalen Zeiten. Dies sehe ich auch als Chance, denn es entwickelt sich etwas Neues im Virtuellen. Und es entstehen neue Sachen, die besser sind als die alten.
Sie haben in den letzten Jahren viele deutschsprachige Poetry-Slam-Wettbewerbe gewonnen, veranstalten in normalen Zeiten selbst eine Poetry-Slam- und Lesebühne in München. Wie kamen Sie gerade zum Poetry Slam?
Ich habe immer gerne geschrieben, mit zehn Jahren sogar schon ein erstes Buch, einen Krimi für meine Mutter. Daraufhin bekam ich zwei Wochen Hausarrest, weil sie es als unanständig empfand. Ich wollte immer Schriftsteller sein, auch in Deutschland. Doch ich hatte meine Sprache verloren. Das ging auch anderen so, etwa Richard Weiner in Frankreich. Seine Texte waren danach antiquiert und archaisch. Doch ich kann nur dort schreiben, wo ich mit Leuten sprechen kann. Deshalb habe ich mich in Deutschland zunächst auf Naturwissenschaften verlegt. Als ich Ende der 80er Jahre die Demos auf Letná sah, hat mich jedoch die Nostalgie gepackt und ich musste nach acht Jahren wieder schreiben, zuerst auf Tschechisch. Ich habe meine Texte Freunden aus Prag vorgelesen, die bei mir zu Besuch waren, bei einem Bier auf dem Balkon. Sie konnten darüber lachen. Da wusste ich, dass ich wieder vortragen und unterhalten will. Und auch, dass ich auf Deutsch schreiben will. Anfang der 90er Jahre gab es eine literarische Subkultur-Szene in Deutschland. Bei der bin ich auf Festivals aufgetreten und habe in Magazinen Beiträge verfasst. Und weil ich nicht viel veröffentlichen konnte, habe ich eben an der ersten Poetry-Slam-Veranstaltung in München teilgenommen und beinahe sofort gewonnen. Das war 1994 und seitdem habe ich das beibehalten. Zumal etablierte Zeitschriften und Verlage von mir damals noch nichts annehmen und drucken wollten.
Was war der Grund dafür?
Ich kenne enorm viele Leute in Deutschland, die einen größeren „tschechischen Humor“ haben als die Tschechen selbst. Doch das Feuilleton in Deutschland war immer traditionell und nicht auf Humor ausgerichtet. Hier galt: Wenn man lacht, ist es keine Kunst. Das ist in Tschechien anders. Das größte Werk der tschechischen Literatur, der Schwejk, ist ein humoristischer Roman. Darin besteht ein großer Unterschied zwischen den Ländern.
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Beim Poetry Slam kommt es auf eine hohe Sprachfertigkeit an. Sind Sie schon in Prag zweisprachig aufgewachsen?
Nein, als ich mit 26 nach Deutschland kam, konnte ich lediglich einen deutschen Satz, und der lautete: Bitte ein Bier. Ich verbrachte ein Jahr in einem Sammellager in Niederbayern und habe von einer Religionslehrerin aus Vilsbiburg eine Bananenkiste voller Hefte mit Horrorgeschichten bekommen. Mit ihrer Hilfe habe ich Deutsch gelernt. Das wird zuweilen als Legende erzählt, ist aber tatsächlich wahr. Und wegen dieser Hefte habe ich jetzt ein „super Deutsch“ drauf … Ich habe damals zwölf Stunden am Tag die Sprache gelernt, weil es für mich unerträglich war, in einem Land zu sein und nicht mit Menschen sprechen zu können.
Lediglich der Akzent lässt heute noch auf Ihre böhmische Herkunft schließen.
Ich werde Deutsch nie perfekt sprechen und wohl auch diesen Akzent nicht verlieren. Aber ich verdiene mit ihm auch Geld, weil er die Deutschen – Gott sei Dank – zum Lachen bringt, wenn ich auf der Bühne spreche.
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Zu Veranstaltungen werden Sie als „Deutschlands lustigster Tscheche“ angekündigt. Das klingt wie der „Rasende Reporter“ von Kisch. Haben Sie sich dieses Markenzeichen – wie einst Kisch – auch selbst gegeben?
Das kam nicht von mir, sondern entweder von einem Poetry Slamer oder von einem Verleger. Eine Zeitlang hat es mich geärgert. Und es hat auch bei meinen wissenschaftlichen Arbeiten gestört. Erst Jahre später habe ich es selbst verwendet und jetzt mache ich es immer noch, weil es nun irgendwie zu mir gehört. Früher wurde ich bei Slams auch als „Berufstscheche“ bezeichnet, zumal ich seit vielen Jahren Tschechien-Abende mit tschechischen Künstlern veranstalte, manchmal in Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Zentrum in München. Tschechische Kultur gehört zu mir und ich will sie auch nicht loswerden.
Gleichwohl haben Sie sich zuletzt sehr intensiv mit einem ernsten Thema beschäftigt, nämlich mit Künstlicher Intelligenz (KI). Sie unterrichten als Dozent für Künstliche Intelligenz, verfassen Kapitel, halten Vorträge dazu. Wird KI künftig unser Leben nicht nur beeinflussen, sondern sogar maßgeblich bestimmen?
Es wird sich alles ändern! Im Arbeitsleben wird alles automatisiert, was automatisiert werden kann. Auch unsere Medizin. In wissenschaftlichen Zeitschriften wird bereits ausgeführt, dass KI-Programme wunderbar Tumore erkennen können. Dank KI werden schon jetzt Medikamente auch gegen das Corona-Virus entwickelt. Jeden Tag erfahren wir Neues dazu. Aber es passieren noch viele Fehler, weil die Netze nur auf eine Aufgabe trainiert werden können und keinen gesunden Menschenverstand haben.
In diesem Zusammenhang wird oft auch über eine Bedrohung für die Freiheit der Menschen durch Künstliche Intelligenz diskutiert. Wo fängt sie an?
Das Problem ist, dass Menschen oft noch an „Terminator“ oder Science-Fiction-Filme denken, wenn sie Künstliche Intelligenz hören. Das wahre Problem ist jedoch nicht, dass uns eines Tages Maschinen oder Roboter beherrschen, sondern dass uns schon jetzt Regierungen und Firmen mit Hilfe von KI-Programmen manipulieren und kontrollieren. Bei einer Tagung habe ich einen KI-Forscher aus China gefragt, wie es möglich sei, dass sein Land zum Weltführer in KI aufsteigt. Seine Antwort war ganz einfach: Wir haben die Daten! KI-Programme müssen mit wahnsinnig vielen Daten gefüttert werden und bei unserem Datenschutz kann man nicht Millionen davon über Menschen ansammeln – aber in China ist das möglich. Deswegen werden dort schneller Programme entwickelt.
Ein schwacher Trost.
Viele KI-Experten haben eine Proklamation gegen Killer-Roboter unterschrieben. Ich will mir auch nicht vorstellen, dass uns Maschinen durch unsere Städte jagen. Das muss man schon jetzt reglementieren. Aber es wird nicht passieren, dass uns eines Tages Maschinen beherrschen. Hinter jeder Maschine steht ein Mensch.
Bei dem es jedoch darauf ankommt, was und wie er programmiert.
Entscheidend ist, welche Datensätze wir der Maschine geben und welche Aufgaben wir ihr vorgeben. Die Maschine sieht keinen Kontext, kann nicht nachdenken und keine Bezüge herstellen. Es hängt davon ab, wie ein Mensch sie anwendet. Programmiert wird sie quasi nicht, denn sie lernt selbst aus Beispielen, ihre Aufgaben zu meistern. Es geht also darum, welche Zielvorgabe wir ihr bei einem Training geben, welche Datensätze – und wie wir diese Programme einsetzen wollen, also für eine Kontrolle oder für eine Überwachung. Aus einem KI-Überwachungsstaat wäre wirklich kein Entkommen mehr. Aber auch dahinter stehen wieder Menschen, die eine Kamera installieren, einschalten und kontrollieren. Diktatoren könnten allerdings Programme wieder ausschalten, wenn sie wollen.
… und das klingt nun wirklich bedrohlich!
Dem steht entgegen, dass unsere rechnerischen Möglichkeiten begrenzt sind. Algorithmen waren Rechnern in ihrer Leistung immer voraus. Es gibt auf der Welt nicht genügend Rechenleistung, als dass sich daraus eine Super-Intelligenz selbst entwickeln könnte.
Im Herbst 2020 soll Ihr Buch über Künstliche Intelligenz erscheinen: „Ist das intelligent, oder kann das weg“. Bleibt es zumindest dabei oder wird auch dies verschoben, wie so vieles in diesen Wochen?
Ich hoffe sehr, dass es erscheinen wird. Dann kommen sogar fünf Bücher von mir gleichzeitig auf den Markt. Und ich hoffe, dass dann auch wieder Veranstaltungen stattfinden können. Mit so vielen Büchern möchte man ordentlich durchstarten.
Machen Sie sich nicht selbst Konkurrenz, bei dieser großen Zahl an Neuerscheinungen auf einen Schlag?
Darunter sind vier Bücher einer Kinderbuch-Reihe über Künstliche Intelligenz und Roboter. Sie werden nach und nach erscheinen, bis in den Frühling 2021 hinein. „Ist das intelligent, oder kann das weg“ ist mein erstes Sachbuch, das ich veröffentliche. Ich muss Bücher schreiben. Anders geht es nicht.
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