Neue Formen des Unterrichts
Schule

Neue Formen des Unterrichts

An tschechischen Bildungsstätten ist Corona weiterhin das beherrschende Thema. Auch im Prager Stadtteil Žižkov

15. 9. 2020 - Text: Klaus Hanisch, Foto: Tumisu

„Der 11. März 2020 wird höchstwahrscheinlich ein Tag bleiben, den wir uns alle lange merken werden“, blickt Pavel Noha zurück. „Denn durch die Schließung aller Schulen wegen Corona hat unser Schulwesen ein- für allemal sein Gesicht verändert und damit auch seine Konzeption, Auffassung und Auswirkung.“

Noha lehrt seit zehn Jahren Englisch und Deutsch an der Fachmittelschule Jarov (SOŠ Jarov) im Prager Stadtteil Žižkov. Hier schreibt Corona auch im neuen Schuljahr Einschränkungen und Veränderungen vor. Seit 10. September muss in gemeinsamen Schulräumen wieder Mund-Nasen-Schutz getragen werden. Überall werden Desinfektionsmittel in großer Zahl ausgelegt, sowohl in Klassenzimmern, Toiletten, Gängen, Lehrer- und Besprechungszimmern wie schon in Eingangshalle und Aula. „Die Lage ist mehr oder weniger stabilisiert“, verlautet aus dem Direktorat der Schule. Gleichwohl fürchtet die Schulleitung, dass sich die epidemiologische Situation wieder verschlechtern könnte. Dass etwa bald vorgeschrieben werden könnte, Masken auch während des Unterrichts in Klassenzimmern tragen zu müssen.

Střední odborná škola Jarov | © SOŠ Jarov

Man hat sich in Jarov, einer im Osten von Žižkov gelegenen Gegend, der veränderten Lage angepasst – zumal die Verantwortlichen seit März reichlich Erfahrungen zum Schutz vor dem Virus sammeln konnten. Auch diese Schule traf die Pandemie im Frühjahr „wie ein Blitz aus heiterem Himmel, niemand war darauf vorbereitet“, erinnert sich Pavel Noha. Schüler und Lehrer, Eltern, Schulleiter und die Ministerien – alle wurden „plötzlich ins eiskalte Wasser geworfen und jeder musste sofort schwimmen, so schnell er nur konnte“.

Die SOŠ Jarov ist eine besondere Schule. Sogar ein Unikat. Denn diese Fachschule vereint zwei komplett unterschiedliche Lehrfächer: Bauwesen und Gartenbau. Doch nach mehr als zehn Jahren mit beiden unter einem Dach zieht die Einrichtung ein positives Fazit. „Wir können von einer perfekten Symbiose dieser Zweige sprechen“, erklärt sie auf ihrer Homepage. Sie bestehe vor allem darin, dass „unsere Absolventen lernen, das Schöne rund um uns herum zu gestalten und zu entwickeln“. Also sowohl Innen- und Außenräume von Bauten wie auch das Grün drinnen und draußen.

Die Schule in Jarov bietet vierjährige Studienfächer an, mit Abschluss Abitur. Darin lehrt sie etwa Möbel- und Holzherstellung, die technischen Einrichtungen von Gebäuden oder Garten- und Landschaftsgestaltung, Floristik und Management im Bauwesen. Dann gibt es dreijährige Lehrfächer für einen Lehrbrief. Ausgebildet werden künftige Maurer, Tischler, Schreiner, Maler und Lackierer, Klempner, Schornsteinfeger und Gärtner. Ebenso Installateure, Dachdecker, Glaser, Ofensetzer und Bodenleger.

Außerdem wird ein spezifisches Programm für Gartenbau und Baubetrieb mit täglicher Ausbildung oder als Abendstudium durchgeführt, entweder über zwei oder über drei Jahre. 2012 kam ein weiterer Studienzweig hinzu, der erneut nicht passend wirkte, aber ebenfalls integriert wurde: Sportmanagement. Dafür kooperiert die Schule mit Slavia Prag und anderen tschechischen Fußball-Klubs.

Pavel Noha mit seinen Schülern in Hamburg (November 2019) | © APZ

Nachdem auch die SOŠ Jarov während der gesamten Corona-Phase ab März geschlossen war, musste sich die Schulleitung neue Unterrichtsformen einfallen lassen. Auf Distanz wurde kommuniziert und gelehrt. „Online-Teaching, Videokonferenzen, Chatrooms, E-Mail-Kommunikation mit Schülern und Eltern“, nennt Noha als Beispiele.

Nach seinen Beobachtungen hat Corona bei Schülern „große Unsicherheit und Angst bezüglich ihrer Zukunft“ ausgelöst. Auch sei bei ihnen die Motivation zum Lernen „wesentlich gesunken“. Die Schulleitung reagierte unverzüglich. Neue Plattformen wie Google Classroom entstehen und werden ins Online-System der Schule integriert. Alle Lehrer absolvierten Fachseminare und lernen, wie sie mit Tools umgehen müssen, um damit „effektiv zu arbeiten und um vorbereitet zu sein, falls eine zweite Welle kommen sollte“, so Noha.

Das Schuljahr 2019/20 verlief außergewöhnlich. Am Ende bezogen Prüfungskommissionen alle Umstände in ihre Notengebungen ein. „Das bedeutete jedoch nicht, dass alle Schüler automatisch mit Erfolg abschlossen, wenn sie nicht ausreichend vorbereitet waren“, stellt der Pädagoge klar. Sowohl bei den Abitur- als auch bei den Abschlussprüfungen „haben Schüler versagt und sind gescheitert“. Denn die Schule besann sich – trotz allem – auf ihren hohen Anspruch an sich selbst wie an die Auszubildenden. Den formuliert sie schon sehr offensiv auf ihrer Homepage: Man sei überzeugt davon, dass „unsere Absolventen nicht in Arbeitsämtern landen“ und aufgrund ihrer guten Ausbildung „auf unserem Arbeitsmarkt tatsächlich gefragt“ seien.

Pavel Noha ist seit 2012 auch für die Internationalen Verbindungen verantwortlich. Jarov hat Partnerschulen in London (HHS) und Wilhelmsburg/Hamburg (STS), nimmt zudem am Programm „Erasmus+“ teil, mit Kontakten nach Finnland speziell für holzverarbeitenden Berufe, in die Niederlande für Gärtner und Floristen, nach Spanien, Deutschland oder Großbritannien. Auch Besuche in den USA, Frankreich, Italien, Polen oder der Türkei fanden schon statt.

„Sinn all dieser Auslandsaktivitäten ist, dass möglichst viele Schüler und Pädagogen ihren professionellen Horizont erweitern und wertvolle Fach- und Lebenserfahrungen sammeln können“, erläutert der Fachlehrer. Wegen Corona ruhen derzeit alle geplanten Aktionen. Im nächsten Jahr will die Schule aber ihre guten und seit Jahren gepflegten Kontakte wiederherstellen und Reisen möglichst durchführen.

Eine Delegation aus Hamburg in Jarov (März 2019) | © APZ

Die Tradition der SOŠ Jarov reicht über 100 Jahre zurück. Sie ist Nachfolgerin einer schon 1909 in den Königlichen Weinbergen (Královské Vinohrady) gegründeten Einrichtung, und zwar für den Gartenteil. Der Bereich Bauwesen besitzt hingegen eine deutlich kürzere Historie, nämlich erst seit 1973. Damals wurde Schülern und Lehrern das Areal in Jarov zur Nutzung übergeben. Daher versteht sich diese Bildungsstätte laut Homepage als „junge und moderne Schule, allerdings mit reichlich langer Geschichte“. Sie ist hervorragend ausgestattet, verfügt über Werkstätten, auch über eine eigene Kantine und Cafeteria sowie über Schlafplätze für kleine Gruppen. Außergewöhnlich sind der Botanische Garten mit Gewächshäusern und eine moderne Pellet-Anlage.

Besonders ist diese Schule aber auch wegen Pavel Noha selbst. Er war in den 1980er Jahren ein gefeierter Popstar in der Tschechoslowakei. Diese Zeit habe ihm nicht nur viel Freude gemacht und wertvolle Kontakte geliefert, erklärt der Sänger heute, sondern auch viel Lebenserfahrung und unvergessliche Erlebnisse beschert.

Ab und an sprechen ihn Schüler und Kollegen darauf an. „YouTube, Spotify oder Google sind offensichtlich mächtige Kanäle“, schmunzelt der bald 57-Jährige, „man kann dort anscheinend wirklich fast alles finden“. Darüber freue er sich. Dennoch sei ihm bewusst, dass „Fans mit meinem zunehmenden Alter schwinden werden“. Zumal die heutige Generation auf ganz andere Musik und Idole stehe.

Zu seinem 50. Geburtstag nahm Pavel Noha dennoch eine CD mit romantischen Balladen auf. „Allerdings nur, um mir selbst eine Freude zu machen und als Geschenk für meine engsten Freunde und Familie.“ Nicht nur sie halten diese Aufnahmen für sehr gelungen.

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