Glanz und Gloria
Seit 35 Jahren wird im deutschen Fernsehen eine historische Serie wiederholt. Jitka Molavcová spielt darin eine wichtige Rolle
13. 1. 2021 - Text: Aleš Krupa, Klaus Hanisch, Titelbild: Jitka Molavcová mit Ezard Haußmann in „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ © MDR/Deutsches Rundfunkarchiv/Heinz Pufahl
So beständig der Jahreswechsel, so sicher das Monumentalwerk: Immer wieder erinnert „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ auf deutschen Bildschirmen an vergangene Jahrhunderte. Dabei sind die sechs Folgen dieser Reihe selbst schon historisch: Sie wurden 1985 zum ersten Mal ausgestrahlt. Bis 28. Januar sind alle Teile in der Mediathek des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) zu sehen.
Eine bemerkenswerte Serie dieser TV-Serie. Vor allem auch, weil der Stoff eher sperrig für heutige Generationen ist. In den Fernsehfilmen geht es um Leben, Machtkämpfe und Intrigen am sächsischen Hof zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Dass „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ solch einen Erfolg seit nun schon 35 Jahren hat, überrascht Jitka Molavcová. „Das hätte ich wirklich nicht erwartet“, sagt die Schauspielerin heute.
Die Welt der barocken Salons und Kabinette, der Kostüme, Perücken und historischen Tänze – sie selbst habe sich während der Dreharbeiten wie „in einem Traum“ gefühlt, fügt die Pragerin an. Doch sei ihr nie „in den Sinn gekommen, dass dieser Traum so interessant sein“ und von Millionen Zuschauern so lange verfolgt werden würde.
Molavcová verkörpert in den Filmen die Komtesse Franziska von Kolowrat. „Eine schwierige, sehr schwierige Aufgabe, aber ich habe es immer genossen, Deutsch zu lernen“, erklärt sie im Rückblick. Wegen ihres Akzentes wurde sie später synchronisiert. Sie liebt den Kämmerer Watzdorf, wird aber auf Geheiß der sächsischen Kurfürstin und gegen ihren Willen mit dem Grafen Heinrich von Brühl verheiratet, dem starken Mann am Dresdner Hof. Die Umstände dieser Dreharbeiten waren „sehr schwierig für mich“, blickt Jitka Molavcová zurück, „ich stieg nach einer anspruchsvollen Theateraufführung in Prag ins Auto und reiste nachts nach Deutschland“. Weit nach Mitternacht kam sie am Set an. „Und schon um 6 Uhr morgens musste ich im Schminkraum sein.“
Da Brühl Watzdorf ermorden lässt, sinnt seine Frau fortwährend auf Rache. „Alle Männer dieser Welt können mir diesen einen nicht ersetzen, aber sie werden als Ersatz herhalten und heute Abend werde ich mit dem jungen Adeligen in eurem Amt beginnen“, schleudert sie daraufhin Brühl entgegen. Eine fordernde Aufgabe für Jitka Molavcová, ausgerechnet diese rachsüchtige Frau zu spielen? „Bisher habe ich diese Eigenschaft geheim gehalten – und jetzt ist es raus“, schmunzelt sie. Gleichwohl sei sie „eine der wenigen Schauspielerinnen, die ausdrücklich als Comedian bezeichnen werden können“, wie das Theater Semafor auf seiner Website schreibt. 1990 erhielt Jitka Molavcová den Vlasta-Burian-Preis als „beste Komikerin des Jahres“. Sie studierte Schauspiel auf Deutsch und nutzte die nächtlichen Fahrten ins Nachbarland sinnvoll: „Ich wiederholte meine deutschen Texte im Auto.“
„Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ war das größte und teuerste Projekt in der Geschichte des DDR-Fernsehens. Die sechs Filme kosteten 21 Millionen Ost-Mark. Allein die Garderobe der Hauptdarsteller schlug im Schnitt mit 50.000 Mark zu Buche und wurde in aufwendiger Handarbeit gefertigt. Nicht zuletzt deshalb wird der Serie heute oft „Hollywood-Reife“ bescheinigt, für deren Senderechte die ARD später eine Million West-Mark zahlte.
Noch immer überraschen in dieser Verfilmung die vielen geschliffenen Dialoge. Haupt- und auch viele Nebenrollen wurden mit den besten Schauspielern der DDR besetzt. Jitka Molavcová bezirzt darin Rolf Hoppe, der den sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. spielt, und Ezard Haußmann, den Grafen von Brühl. Wie schwer war es für sie, sich schauspielerisch gegen diese Elite – und deren Eitelkeiten – durchzusetzen? „Ihre Freundlichkeit befreite mich von meinem Zittern und meiner Nervosität“, erwidert die Tschechin, „ich hatte eine großartige Zeit mit ihnen.“ Nach wie vor bewundert sie die „schauspielerische Meisterschaft“ der DDR-Stars. Gleichzeitig seien sie „so bescheiden“ gewesen und „hatten einen wunderbaren Sinn für Humor“.
In der Serie treten nur wenige tschechische Schauspieler auf. Molavcová wurde dafür verpflichtet, als sie gerade an einem Prager Theater unter der Regie von Jiří Menzel eine Doppelrolle (Mephisto und Margarete) in „Doktor Johannes Faust“ spielte. „Zu dieser erfolgreichen Aufführung kam eine Delegation deutscher Filmemacher.“ Bald darauf „wurde ich zu Kamera- und Schauspielproben nach Babelsberg eingeladen“. Die Rolle der Kolowrat „war und ist bis heute ein unvergessliches Erlebnis für mich“. Und es war für sie auch kein Problem, sich auf diese sehr spezielle Aufgabe mit Gesten und Gepflogenheiten in barocken Kulissen einzulassen. „Es liegt in meiner Natur, mich sehr sorgfältig und gewissenhaft auf alle Film- und Theaterrollen vorzubereiten“, sagt Jitka Molavcová. Dazu kam: „Geschichte ist mein Hobby und es interessierte mich sehr, wie die Geschichte Sachsens und Preußens mit all ihren Intrigen von Ende des 17. Jahrhunderts bis 1763 darin verarbeit wurde.“
Überraschte sie damals nicht, dass in der DDR gerade solch ein Film gemacht wurde? Denn Adel und Leben an einem barocken Hof – das widersprach ideologisch völlig dem Kommunismus. „Genau das hat mir gefallen“, antwortet Molavcová, „es hat mich fasziniert, weil sich alles jedes Mal wiederholt. Intrigen waren, sind und werden in jedem Jahrhundert sein und passieren.“
Die DEFA erstellte die Serie im Auftrag des DDR-Fernsehens und fuhr dafür mit großen Teams und Technik sowie Hunderten von Kostümen an fast 190 verschiedene Drehorte. So auch nach Prag, weil der eigentliche Handlungsort Dresden Mitte der 1980er Jahre noch zu viele Zerstörungen aufwies, um ein barockes Sachsen glanzvoll zu inszenieren. „Mein erster Drehtag war im Wallenstein-Garten und später in der barocken St.-Nikolaus-Kirche auf dem Kleinseitner Ring“, erinnert sich Jitka Molavcová. Nachdem sie Franziska von Kolowrat spielte, war sie „vom Wappen des Schutzpatrons des Kirchenbaus, Franz Karl Liebsteinsky Freiherr von Kolowrat, fasziniert“.
Eine Stärke der Filme sind lange Naheinstellungen von Gesichtern der Schauspieler, die mehr als Worte sagen und viele Szenen spannend machen. Regisseur Hans-Joachim Kasprzik kämpfte fast ein Jahrzehnt um dieses Projekt. Weil die Teile so unterhaltsam sind, wird leicht übersehen, dass darin ein Romanzyklus des polnischen Schriftstellers Józef Ignacy Kraszewski über den Aufstieg des sächsischen Hauses bis zu dessen Verfall im Siebenjährigen Krieg verfilmt wurde.
Und weil sie keine Dokumentarfilme sind, entsprechen die Abläufe nicht immer historischen Tatsachen, sondern auch Klischees, Mythen und Legenden. Ob also die echte Komtesse dem Grafen Brühl wirklich erklärte, dass man „Liebe und Husten“ nicht einfach verbergen könne – wie Jitka Molavcová in ihrer Rolle – bleibt daher Spekulation. Ebenso, dass sie sich von ihm keinesfalls „wie ein Reitpferd behandeln“ lasse und immerfort „Zucker und Peitsche gehorchen“ werde – unterlegt mit Molavcovás ironischem Lächeln. Wahrscheinlicher ist, dass die strenge Mutter tatsächlich gedroht hat, ihre Tochter „einzuschließen wie eine Sklavin“, sofern sie Brühl nicht akzeptiere. Was Jitka Molavcová in der Serie mit großen dunklen Kulleraugen und leidender Miene zur Kenntnis nimmt.
In Deutschland wird ihr Name vor allem mit ihrer Rolle in „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ verknüpft. Obwohl etwa auch „Ferien für den Hund“ (Prázdniny pro psa) und die Science-Fiction-Serie „Die Besucher“ (Návštěvníci) mit ihr im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurden. In ihrer Heimat ist Jitka Molavcová vor allem als Partnerin von Jiří Suchý am Semafor-Theater bekannt, zu dessen Ensemble im Stadtteil Dejvice sie bereits seit 50 Jahren gehört. „Ich war ein sehr schüchternes Mädchen, trotzdem wollte ich immer Schauspielerin werden, denn das Theater war von Kindheit an ein heiliger Ort für mich“, erläutert sie.
Als Höhepunkte ihrer Karriere nennt sie Rollen in „Der Ackermann und der Tod“ und im Melodram „Ariadne auf Naxos“ von Georg Anton Benda mit den Philharmonikern unter der Leitung von Jaroslav Krček. Vor allem jedoch ihre „Tante aus Liverpool“ in der Jazzoper „Ein gut bezahlter Spaziergang“ unter der Regie von Miloš Forman am Nationaltheater in Prag. Er besetzte sie auch in seinem 1985 mit acht Oscars ausgezeichneten Film „Amadeus“.
Nicht geringer ist jedoch ihr Renommee als Sängerin. Sie gewann den nationalen Gesangswettbewerb „Talent 70“ und arbeitete Mitte der 70er Jahre auch mit Karel Gott zusammen. In dem berühmten Film „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ erklingt ihre Stimme in einem Märchenlied. Jitka Molavcová hat zahlreiche Platten veröffentlicht und absolvierte Dutzende von Konzerten in den USA, Kanada, Australien und Europa. Zudem spielt sie Gitarre, Saxofon, Trompete und auch mittelalterliche Musikinstrumente, singt und rezitiert in Latein, Französisch, sogar Gälisch, und in Deutsch.
Schon früh lernte sie Deutsch. „Mit 12 Jahren wurde ich für einen Austauschaufenthalt in Leipzig ausgewählt, wo ich in einer deutschen Familie lebte und mich mit einem gleichaltrigen Mädchen anfreundete, das mich später auch in Prag besuchte.“ Als Sängerin trat Jitka Molavcová in mehreren deutschen Städten wie Bonn, Würzburg oder Augsburg auf. „Mit 16 habe ich bereits in einem Chor gesungen und wir sind durch ganz Europa und oft nach Deutschland gereist.“ Molavcová besuchte eine Grafikschule und schloss mit Auszeichnung ab. „Danach dachte ich darüber nach, Grafik an der Universität Leipzig zu studieren. Aber ich war bereits am Theater Semafor aufgenommen worden.“ Aufgewachsen ist sie in einer Brauerei in Vinohrady. Und wie so viele Tschechen hält sie Bier für „ein Geschenk Gottes“: „Ich habe gehört, dass das Trinken von Bier die Lebensdauer um bis zu fünf Jahre verlängert.“ Deshalb dürfe man nicht nachlassen. „Ich mag das in meinem Alter.“
Als vielseitige Künstlerin wurde Jitka Molavcová vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Thalia-Preis 1996 für die Hauptrolle in „Hello, Dolly!“, mit dem Preis der Akademie der Künste 1997 für ihr künstlerisches Schaffen sowie dem Preis „Meister der Unterhaltung der Künste“ 2018 als Sängerin. Sie schreibt zudem Märchen, ihre literarischen Beiträge wurden 2013 beim Internationalen Filmfestival Zlín und 2017 beim Internationalen Festival für Kinder und Jugendliche in Horšovský Týn honoriert. In Zusammenarbeit mit dem Janáček-Quartett erhielt sie Anerkennung für das Musik- und Literaturprojekt „Die vertraulichen Briefe von Leoš Janáček“.
In „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ überzeugt sie neben Ezard Haußmann. Der Darsteller des Grafen Brühl hatte 1968 aus Protest gegen das Ende des Prager Frühlings einen Kranz zur tschechoslowakischen Botschaft getragen und erhielt in der DDR deshalb eine 14-monatige Haftstrafe sowie zehn Jahre Berufsverbot. Seine Rolle und der Erfolg der Serie habe dem nach der Wende noch an vielen Theatern beschäftigten und geehrten Schauspieler „die glücklichste Zeit seines Lebens“ beschert, wie sein Sohn Leander in einer MDR-Dokumentation zur Serie erzählte.
Haußmann starb bereits 2010. Seine „Zwangsfrau“ Jitka Molavcová wurde im vergangenen März 70 Jahre alt. Als „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ abgedreht war, war sie 35. Welche Lebenshälfte war für sie spannender? „Jede Periode im menschlichen Leben hat ihre Magie, ihr Geheimnis“, repliziert die Pragerin heute. Daher blicke sie am liebsten voraus: „Die Zukunft reizt mich. Sie hat viele Fragen, aber auch viele Hoffnungen!“
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