„Es geht an die Substanz“
Testpflicht, Kontrollen, Kündigungen: Der Corona-Lockdown trifft den Wirtschaftsraum Ostbayern / Westböhmen besonders hart
6. 2. 2021 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Alexander Schimmeck
Die Polizei macht mobil. Entlang der bayerisch-böhmischen Grenze werden Beamte ab sofort noch stärker kontrollieren, ob sich Grenzgänger auf Covid-19 testen lassen. Besonders betroffen sind davon „Grenzpendler bei ihrem regelmäßigen Weg von und zur Arbeit“, wie aus dem Polizeipräsidium Oberfranken verlautet. Auch das Polizeipräsidium der Oberpfalz verkündet, dass sich diese Kontrollen vor allem auf Berufspendler beziehen, die aus der Tschechischen Republik nach Deutschland kommen.
Bei ihnen wird künftig noch genauer überprüft, ob ein negativer Corona-Test vorliegt, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Zwar sei den Berufspendlern diese Verpflichtung bekannt und sie werde auch „in großen Teilen eingehalten“. Trotzdem sollen verstärkte Kontrollen bewirken, dass „der Anteil der Personen, die der Testpflicht nicht nachkommen, weiter reduziert wird“, so die Behörden.
„Wir wollen damit keine neuen Grenzkontrollen schaffen“, erklärt eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Regensburg auf Anfrage der „Prager Zeitung“, „doch ist derzeit nicht klar, ob die vorgeschriebenen Tests tatsächlich in vollem Umfang eingehalten werden. „Ihr Amt wird vor allem im Landkreis Tirschenreuth mehr Personal einsetzen, wegen der aktuellen Corona-Situation sollen die Vorschriften über Einreise und Quarantäne „überwacht und durchgesetzt“ werden.
Bis zu 25.000 Euro Strafe
Zeitgleich teilt die Polizei in Bayreuth mit, dass Fahndungsbeamte aus Selb bei mobilen Kontrollen von Ein- und Ausreisenden „insbesondere die Grüne Grenze sowie die Fuß- und Radwege im Visier“ hätten. Zudem bestehe eine enge Zusammenarbeit mit der Bundespolizei, die sich „unter anderem auch regelmäßig in konzertierten, stationären Kontrollaktionen widerspiegelt“. Beide Polizeipräsidien machen klar, dass ihre Einsatzkräfte „bei Verstößen konsequent die für die Ahndung zuständigen Kreisverwaltungsbehörden informieren“ werden. Bis zu 25.000 Euro Bußgeld seien möglich, schreibt das Präsidium in Regensburg – im schlimmsten Fall. „Das legen nicht wir fest“, so die Polizeisprecherin gegenüber der PZ, „wir zeigen den Verstoß nur an, über die Höhe der Strafe entscheiden dann Landratsämter.“ Dabei spielten jedoch viele Faktoren eine Rolle, etwa Unwissenheit oder regelmäßige Verstöße.
Die Polizei in Regensburg weist außerdem darauf hin, dass Berufspendlern aus der Tschechischen Republik zwar Einkäufe in Deutschland gestattet seien, aber nur auf dem Weg zur Arbeit oder zurück. Künftig werde ebenfalls noch stärker kontrolliert, ob „ein Einkauf im Zusammenhang mit einer Berufstätigkeit in Deutschland steht.“ Dies gelte jedoch umgekehrt auch für Bewohner im Grenzgebiet. Wer aus Deutschland nach Tschechien fahre, um dort zu tanken oder einzukaufen, müsse anschließend eine mindestens zehntägige Quarantänepflicht in Kauf nehmen, so die Polizei. Nicht selten würden auch Strafen ausgesprochen, weil Reisende aus mehr als zwei Hausständen die Fahrzeuge nutzen.
„Hatten ganz andere Zahlen erwartet“
Bei einer Bilanz Anfang Februar am Grenzübergang Schirnding in Oberfranken wurde erläutert, dass in den ersten neun Tagen insgesamt 12.500 Grenzgänger und Bewohner des Landkreises getestet worden seien. Dabei fielen 250 Tests positiv aus. Deutlich geringer war die Quote vergangene Woche an den beiden Übergängen Furth im Wald und Waldmünchen in der Oberpfalz. Dort gab es bei 4.000 Tests lediglich 19 positive Fälle. „Keine signifikante Quote“, sagt Richard Brunner von der IHK in Cham, „die Verantwortlichen hatten ganz andere Zahlen erwartet.“
Gleichwohl stellten diese vielen Tests laut Brunner „Pendler wie Arbeitgeber vor ganz erhebliche Herausforderungen“. Allein in die Oberpfalz fahren bis zu 13.000 Pendler aus Tschechien. Weit mehr als 20.000 Tschechen arbeiten insgesamt in Bayern. „Diese hohe Zahl wurde uns auch erst in den letzten Monaten so richtig bewusst“, so Richard Brunner.
Die vielen Berufspendler seien für die bayerische Wirtschaft von enormer Bedeutung. „Auch wegen ihrer Qualifikation, denn bei ihnen handelt es sich eben nicht nur um die tschechische Bedienungskraft, sondern in der großen Masse um Beschäftigte in der Industrie.“ Konkret sind das etwa 5.000 Menschen. Dazu sind fast 2.000 Tschechen im Bereich Verkehr und Lagerwirtschaft tätig, unter ihnen sehr viele Berufskraftfahrer und Beschäftigte in Logistikzentren. Sowie etwa 1.500 Handwerker und über 900 Mitarbeiter im Gesundheits- und Sozialwesen. Weitere 1.500 Tschechen sind derzeit nicht in der Oberpfalz, weil Handel und Gastronomie geschlossen sind.
Doch noch immer müssen etwa 11.000 tschechische Arbeitskräfte getestet werden. Deshalb begrüßt Brunner, dass Testzentren wie Öffnungszeiten an der Grenze mittlerweile deutlich ausgeweitet wurden. „Auch an den Wochenenden, damit sich etwa Schichtarbeiter aus Tschechien vor ihrer ersten Schicht zu Wochenbeginn noch einmal testen lassen können.“ Die zahlreichen Tests seien „für Firmen anfangs sehr problematisch gewesen“, erklärt Brunner, „viele Pendler kamen zu spät, Schichten fielen aus“. Durch deutlich mehr Kapazitäten seien diese Probleme in der zweiten Testwoche in der Oberpfalz weitgehend bereinigt worden.
Gleichwohl bleibe die Testpflicht alle 48 Stunden bzw. die Vorlage eines stets negativen Tests bei der Einreise eine Belastung. Viele tschechische Pendler klagten in den ersten Tagen über lange Wartezeiten an den Teststationen. Und ebenso darüber, dass sie die Ergebnisse ihrer Tests sehr spät erhalten hätten. Die Polizei in Oberfranken begründet ihren „hohen personellen und organisatorischen Aufwand“ nun auch damit, dass „Wartezeiten im Grenzbereich so gering wie möglich“ gehalten werden sollen. Und das Präsidium der Oberpfalz fügt an, dass durch die Kontrollen „möglichst keine Verzögerungen bei der Arbeitsaufnahme entstehen“ sollen und „die kontrollierenden Beamten auch die Interessen der Arbeitgeber im Blick“ hätten.
Furcht vor tschechischen Kollegen
Auch für Richard Brunner tragen engmaschige Kontrollen und Tests „in hohem Maße zur Sicherheit in den Unternehmen bei“. Wenn Mitarbeiter schon mehrfach extern getestet wurden, sei dies „der erste Baustein eines Hygienekonzeptes“ in den Betrieben und gebe auch bayerischen Kollegen am Arbeitsplatz mehr Sicherheit. Brunner verschweigt nicht, dass in Unternehmen „eine gewisse Angst“ gegenüber tschechischen Arbeitskräften vorhanden sei. Entscheidend ist für ihn, dass drei bis vier Tests pro Woche an der Grenze nicht nur in der Industrie, sondern bei der Bevölkerung in den Grenzregionen insgesamt als Krisenmanagement verstanden würden. Und als Signal, dass eine offene Grenze sowie gute Beziehungen unter Nachbarn im Interesse aller liegen. Brunner hofft, „dass dies auch in Tschechien so wahrgenommen und nicht als Schikane empfunden wird, sondern dass die Tests auch der Sicherheit der tschechischen Pendler dienen.“
Gleichwohl haben ihn Unternehmen informiert, dass tschechische Mitarbeiter bereits gekündigt hätten. Ebenso, dass häufiger Krankmeldungen eingereicht werden. „Zwar kein Trend“, so Brunner, „doch die Firmenchefs nehmen diese Kündigungen sehr ernst.“ Schließlich bestehe eine Symbiose. Die Unternehmen brauchen ihre Mitarbeiter aus dem Nachbarland, umgekehrt seien die Tschechen an guten Arbeitsplätzen in Bayern interessiert. Trotzdem versteht der IHK-Mann diese Reaktionen der Pendler. „Testzyklen, Wartezeiten an den Zentren, Umwege – all das verlängert für sie Arbeits- und Wegezeiten extrem, zumal wenn sie sich um Familien kümmern und Kinder versorgen müssen.“
Doch es sei schwierig, unter diesen Rahmenbedingungen einen europäischen Arbeitsmarkt am Laufen zu halten. Noch Ende Februar 2020 wies die IHK darauf hin, dass Ostbayern und Westböhmen eine Industrieregion von europäischem Format bilden. „Der gemeinsame Wirtschaftsraum ist eine europäische Benchmark mit beeindruckenden Kooperationen in Wirtschaft und Wissenschaft“, erklärte Tschechiens Generalkonsulin in München Kristina Larischová bei einer Veranstaltung in Pilsen. Von der gemeinsamen Wirtschaftsleistung in Höhe von mehr als 51 Milliarden Euro jährlich werden etwa zwei Drittel auf bayerischer Seite erwirtschaftet.
Der Lockdown nur wenige Tage später führte zu hohen Verlusten. „Wir haben eine sehr vernetzte Wirtschaft und sind eine Industrieregion mit vielen Produkten, die aus Europa rausgehen“, erläutert Brunner, „viele bayerische Unternehmen haben zudem Zweigwerke in Tschechien und die tschechische Wirtschaft ist wiederum sehr stark exportorientiert in Richtung Mittel- und Westeuropa.“ Wobei Deutschland der größte Wirtschaftspartner für Tschechien ist.
Deshalb traf die Grenzschließung im Frühjahr diesen Wirtschaftsraum erheblich. „Das war ein Schock“, sagt Richard Brunner, der neben dem IHK-Büro in Cham auch die IHK-Vertretung in Pilsen leitet. Hohe Umsatzrückgänge, unterbrochene Lieferketten, nicht mehr erreichbare Filialen in Tschechien. „In der Wirtschaft brach kurzzeitig eine gewisse Panik aus.“ Fachkräfte aus Tschechien waren nicht mehr verfügbar. Auf einen Schlag fehlten etwa 1.000 Berufskraftfahrer, die in Oberpfälzer Entsorgungsbetrieben, der Lebensmittellogistik oder im öffentlichen Personennahverkehr im Einsatz sind. „Da stellte sich für manchen Betrieb die Existenzfrage“, blickt er mit Schaudern zurück, „da gings an die Substanz.“
Keine Dauerlösung
Unterbrochen war auch das grenzüberschreitende intensive Kulturleben, das sich in den zurückliegenden Jahrzehnten nachhaltig entwickelt hat. Tourismus und Freizeitveranstaltungen waren ausgesetzt, ebenso Gastronomie, Freundschaften, Schulpartnerschaften. „Es war ein Ereignis, das in Wirtschaft wie Bevölkerung nachhaltig gewirkt hat“, fasst Brunner zusammen, „denn niemand konnte sich vorstellen, dass die gemeinsame Grenze noch einmal dicht sein würde.“
Grenzlösungen wie derzeit hält die Wirtschaft nach seiner Einschätzung zwar einige Wochen durch. Doch dürften sie keine Dauerlösung werden, auch wenn sie nötig seien, solange die Infektionszahlen so hoch sind. Erst jüngst hatte Tschechiens Gesundheitsminister Jan Blatný (für ANO) erklärt, dass die Corona-Maßnahmen in seinem Land aufgrund der Mutationen „nicht mehr funktionieren“.
Laut Robert-Koch-Institut lagen zuletzt vier bayerische Kreise unter den zehn mit den höchsten Inzidenzwerten in Deutschland, allesamt an der Grenze zu Tschechien. Wie lange die Polizei dort genauer kontrollieren wird, ist derzeit offen. Dies werde „in Absprache mit anderen Behörden festgelegt“, erklärte die Regensburger Polizeisprecherin gegenüber der „Prager Zeitung“.
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