„Ich muss weg aus Tschechien“
Martin Hašek trägt einen großen Namen im tschechischen Sport – er ist für ihn Würde und Bürde zugleich
9. 6. 2021 - Interview: Klaus Hanisch, Titelbild: Andrada Ghira (Stadion von Sparta Prag, 2008)
PZ: Die Tschechen fehlen seit der Teilung des Landes 1993 bei keiner Europameisterschaft. Sie standen 1996 im Finale, waren 2004 nach Meinung vieler Experten auch ohne Titel die beste Mannschaft – und schon 1976 hieß der Sieger ČSSR. Was ist für die Elf diesmal drin?
Martin Hašek: Puh. Alles ist möglich: Aus in der Gruppe, aber ebenso Halbfinale. Schwierig, schwierig, weil man im Voraus nicht wirklich weiß, wie sich die Spieler während des Turniers finden, wie ihre Form am Spieltag ist, ob Verletzungen auftreten. Ich glaube aber, dass wir stark genug sind, um uns in der Gruppe durchzusetzen [Tschechien spielt in Gruppe D mit England, Kroatien und Schottland – Anm. PZ]. Anschließend kann alles passieren. Wir haben gute Spieler, auch in englischen Klubs, etwa Souček und Coufal bei West Ham United. Wir gehören bestimmt nicht zu den größten Favoriten, aber dennoch sind wir gut.
The Czech national team squad for the UEFA #EURO2020 has been announced. pic.twitter.com/9JZuuJwru1
— Czech Football Team (@ceskarepre_eng) May 25, 2021
Sie spielten für mehrere tschechische Nachwuchsteams, 2017 bei der U21-EM auch gegen Deutschland. Bedauern Sie zuweilen, dass Sie nicht auch diesmal in der tschechischen Mannschaft stehen?
Natürlich wäre es toll, jetzt dabei zu sein. Aber ich habe zuletzt Zweite Bundesliga in Deutschland gespielt und bin daher ein Stück weit weg von der Nationalelf. Deshalb bin ich nicht enttäuscht, ich gehörte ja nicht zum Kreis, auch nicht zum erweiterten.
Hašek ist ein großer Name im tschechischen Sport. Ihr Onkel Dominik ist spätestens seit dem Olympiasieg 1998 ein Eishockey-Idol, Ihr Vater Martin war Fußball-Nationalspieler. Empfinden Sie es als Belastung, diesen Namen zu tragen und dadurch zwangsläufig mit ihnen verglichen zu werden?
Stimmt, das war tatsächlich nicht immer leicht für mich, in der Vergangenheit. Manchmal hieß es, dass ich nur spielen dürfe, weil ich Hašek heiße. Oder dass mich ein Klub nur wegen meines Namens will. Verglichen werde ich mit meinen Verwandten dagegen eher selten. Dominik war ja Eishockey-Spieler und Tormann, also ein ganz anderer Sport. Und die Karriere meines Vaters als Fußballer ist schon etliche Jahre vorbei. Zudem bin ich als Spieler ein anderer Typ als er.
Ist der Name daher eher Ballast für Sie?
Er ist ein wesentlicher Grund dafür, dass ich nicht mehr in Tschechien bleiben wollte und will. Im Ausland ist der Name lange nicht so bekannt, dort bin ich einfach nur ein Spieler. Niemand verweist auf diesen sportlichen Hintergrund. Dort habe ich meine Ruhe damit. Als ich 18 war, musste ich gegen den Namen quasi „ankämpfen“. Später kam Erfahrung hinzu und es wurde leichter für mich, damit umzugehen. Ich bin nicht traurig, dass ich diesen Namen trage, aber er kostet auch viel Energie.
Wurden und werden von Ihnen deshalb auch große Erfolge und außergewöhnliche Leistungen erwartet – von Fans und der eigenen Familie?
Von den Fans eher nicht. Mein Vater war ein guter Spieler, hatte Erfolge, aber er war kein Star, kein Poborský oder Nedvěd. Und meine Familie (pustet durch), nein, sie gaben mir nicht das Gefühl, dass ich unbedingt erfolgreich sein muss, um dem Namen – sozusagen – Ehre zu machen.
Sind Vater und Onkel dennoch Vorbilder für Sie, haben Sie sich von beiden etwas abgeschaut?
Von Dominik eher nicht. Wir hatten nicht viel Kontakt, vielleicht einmal im Jahr zu Weihnachten, denn er spielte ja lange in den USA. Von meinem Vater schon. Aber nicht speziell für den Sport, denn ich habe kaum Spiele von ihm gesehen und außerdem ist der Fußball heute ganz anders als zu seiner Zeit. Sondern in dem Sinn, dass jeder Sohn etwas von seinem Vater annimmt. Von meinen Eltern habe ich am meisten gelernt, also wie man leben soll, welche Werte wirklich wichtig sind, charakterliche Fragen. Allerdings habe ich nicht alles übernommen, denn jeder ist ein Individuum und nicht immer ist 100 Prozent von dem einen auch für den anderen gut und richtig.
Sie werden zuweilen als etwas chaotisch beschrieben, jedoch auf sympathische Weise, kommen angeblich oft zu spät. Wie sehen Sie sich selbst?
Dass ich häufig zu spät komme, stimmt wirklich. Schon als ich ein Kind war. Immer ein paar Minuten zu spät …
… das ist bei Tschechen jedoch üblich. Irgendwann sogar bei Deutschen, wenn sie länger in Tschechien leben.
Ich habe schon so oft auf andere gewartet, deshalb lasse ich nun warten (lacht). Ich bin mir trotzdem nicht sicher, ob es eine spezifisch tschechische Eigenart ist … Aber ich habe verstanden, dass die Deutschen sehr pünktlich sind, mehr auf Regeln achten, 100 Prozent Disziplin, immer genau eine Minute zu früh (lacht). Wenn ich zu spät komme, ist es jedoch nicht fehlender Respekt gegenüber anderen, sondern einfach eine Frage der persönlichen Einstellung, wie man denkt und lebt.
Ist Ihre Lebensart also der Grund für die Einschätzung: leicht chaotisch bzw. unorganisiert?
Ja, ich bin niemand, der alles vorbereitet und sich 24 Stunden vorher schon Gedanken darüber macht, wie alles verlaufen und was er quasi in jeder Minute machen wird. Ich lebe im Augenblick. Wenn ich fühle, dass ich etwas machen muss, dann mache ich es einfach. Manche nennen das chaotisch, andere verschieden, andere individuell. 20 Leute und 20 Meinungen darüber. Es ist einfach meine Art zu denken, zu leben und zu handeln. Ich kann Stunden dafür verwenden, mit Leuten zusammenzusitzen und ruhig miteinander zu reden. Aber nicht dafür, jede Minute aufs Handy zu gucken oder viel Zeit bei Instagram zu verbringen. Chaoten sind für mich Menschen, die niemals in der Gegenwart leben – und so bin ich definitiv nicht.
Im Januar schlossen Sie sich den Würzburger Kickers in der Zweiten Bundesliga an. Die Mannschaft stieg am Saisonende ab, Sie haben nicht allzu häufig gespielt. Was lief schief, war die Mannschaft zu schlecht, hatten Sie keine große Lust?
Ich musste mich zunächst eingewöhnen, weil ich neun Monate ohne Spielpraxis war. Trotzdem kam ich früher in die Mannschaft als ich dachte. Unter dem ersten Trainer lief es gut, ich habe oft gespielt. Dann gab es einen Trainerwechsel und der neue Coach mochte meine Art zu spielen nicht. Das ist normal im Fußball, jeder Trainer hat seine eigenen Vorstellungen. Es war klar, dass es eine schwierige Aufgabe wird. Leider haben wir die Klasse nicht gehalten.
Warum gingen Sie überhaupt nach Würzburg, wenn Ihnen bewusst war, dass es schwierig würde, mit den Kickers als Aufsteiger in der Zweiten Liga zu bleiben?
Nach meiner Zeit bei Sparta war es schwierig für mich, einen neuen Klub zu finden. Dann gab es ein gutes Angebot von den Kickers. Und die Zweite Bundesliga ist eine starke Liga. Ich war glücklich, dorthin zu kommen. Im Rückblick würde ich es wieder so machen.
Spielte Felix Magath bei Ihrem Wechsel eine Rolle? Er war eineinhalb Jahre lang Berater der Würzburger Kickers und hatte in der Bundesliga einst als Trainer und Manager sehr viele tschechische Spieler unter seiner Obhut.
Das weiß ich nicht. Ich kenne ihn nicht und weiß nur von Bildern, wie er aussieht. Auch bei den Kickers habe ich ihn nicht getroffen.
Vor Ihrem Engagement in Würzburg spielten Sie für den tschechischen Rekordmeister Sparta Prag. Auf transfermarkt.de ist noch immer zu lesen, dass Ihr Ende dort von gegenseitigen Vorwürfen geprägt war. Spartas Sportdirektor Tomáš Rosický nannte Ihren Abgang angeblich „unverständlich und unprofessionell“. Haben Sie jetzt in Tschechien einen Ruf als „Skandal-Profi“ weg, können Sie überhaupt noch einmal zu einem tschechischen Klub zurück?
Ich werde mir in Tschechien keinen neuen Klub suchen. Ich will lieber im Ausland bleiben. Dabei geht es nicht um die Probleme mit Sparta, sondern um die Gründe, die ich vorher genannt habe.
Spricht auch noch anderes fürs Ausland?
Ich habe so lange in Tschechien gelebt, da möchte ich jetzt auch neue Erfahrungen sammeln, neue Leute, neue Energie. Als Kind war ich in Österreich, als mein Vater Anfang der 2000er Jahre für Austria Wien und Sturm Graz spielte. Nun hat der Aufenthalt in Deutschland meinem Deutsch gutgetan, ich konnte meine Sprachkenntnisse verbessern, das war schön.
Was planen Sie für die kommende Saison, gibt es schon Kontakte zu anderen Vereinen?
Das ist eher eine Frage für meinen Berater. Ich habe meinen Job erledigt, jetzt ist er wieder dran.
Wo werden Sie die EM-Spiele verfolgen?
Wahrscheinlich in Tschechien, mit meiner Familie. Mein Vertrag mit den Kickers ist zu Ende, ich habe noch keinen neuen unterschrieben. Mal sehen, was in der näheren Zukunft passiert.
Wer wird Europameister?
(überlegt sehr lange) Das ist schwierig. Entweder Deutschland, die Franzosen oder England. Die Deutschen haben eine neue Generation mit guten Spielern. Zudem haben sie Müller von Bayern zurückgeholt. Er kann ein sehr wichtiger Spieler für die Mannschaft werden, wegen seiner Erfahrung und seiner hohen Qualität. Das ist ein gutes Signal an die Mannschaft. Und er war lange nicht dabei im Nationalteam, sicher will er unbedingt erfolgreich sein.
Sie sind erst 25 Jahre alt. In Tschechien gibt es kein Über-Angebot an talentierten Spielern. Sieht man Sie bei der EM 2024 in Deutschland möglicherweise wieder im tschechischen Trikot?
(lacht) Das wäre toll. Und wie ich schon sagte: Im Fußball kann alles passieren. Vieles kann sich schnell verändern, niemals ist man sicher. Und deshalb mögen die Menschen den Fußball so gerne. Man wird sehen.
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