„Wir haben uns in 20 Jahren befreit“
Aktivist Jiří Hromada über seinen Kampf für die Rechte von Homosexuellen und eine kritische junge Generation
14. 8. 2013 - Interview: Nancy Waldmann
Wenn am Samstag die „Prague Pride“ durch die Straßen der Hauptstadt zieht, ist Jiří Hromada (55) wieder der Ehrengast. Der Umzug ist für ihn längst eine Party und keine Demonstration mehr. Keiner hat in Tschechien so viel für Schwule und Lesben getan und erreicht wie er. PZ-Redakteurin Nancy Waldmann sprach mit dem Alt-Aktivisten über Schwulsein im Kommunismus, gay-politische Strategien der zurückliegenden zwei Jahrzehnte und die kritische junge Generation.
Herr Hromada, Thema der „Prague Pride“ ist in diesem Jahr das Coming-out. Wann und gegenüber wem haben Sie sich zum ersten Mal geoutet?
Jiří Hromada: Mit 13 wusste ich, dass ich schwul bin. Ich wuchs allein bei meiner Mutter auf. Sie war Krankenschwester und hatte damit überhaupt kein Problem. Ich sagte es ihr, da war ich, glaube ich, 15. Wir haben geweint, aber es war alles in Ordnung. Sie hatte das schon gefühlt.
Sie kommen aus einer kleinen Stadt. Haben Sie sich nicht fremd gefühlt, als sie merkten, dass Sie anders begehren als die meisten?
Hromada: Außer meiner Mutter wusste es niemand. Ich hatte einen Freund, ein Mitschüler. Uns verband eine intime und freundschaftliche Beziehung und so brauchte ich niemanden suchen. Ich spielte Theater und das reichte mir, ich ging zu keiner Disco. Nach dem Militärdienst starb mein Freund an Leukämie. Das war schwer für mich. Als ich mit 19 nach Prag kam, um Schauspiel zu studieren, kam ich in eine ganz andere Welt. Unter Künstlern war es völlig egal, wen man liebt. Wichtig war, ob du ein guter Schauspieler bist oder nicht.
Bekamen Sie als schwuler Schauspieler andere Rollen angeboten?
Hromada: Nun, ich habe nicht den normalen Buben gespielt. Eher die empfindsamen oder verrückten Charaktere, zum Beispiel den „Poprieschtin“ aus Gogols „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen“, auch Rollen aus Stücken von Oscar Wilde und Shakespeare.
War es außerhalb der Künstlerkreise möglich, in der Tschechoslowakei offen schwul zu leben?
Hromada: Immerhin wurde schon 1961 die Strafe auf Homosexualität abgeschafft – früher als in vielen demokratischen Staaten. Aber niemand sprach darüber. Das Bild war: Wir sind obszön, treiben uns in öffentlichen Toiletten herum und dergleichen. Nur wenige Paare lebten zusammen. Viele hatten Angst. Etwa die Hälfte aller Homosexuellen hat geheiratet, zum Schein. Sie haben Kinder gezeugt, Geld nach Hause gebracht und hatten noch ihren Freund oder ihre Freundin im anderen Leben. Die Zeit war geprägt von Alibismus und Unfreiheit.
Wo traf man sich?
Hromada: Wer eine größere Wohnung oder ein Atelier hatte, lud am Wochenende zu sich ein. Da wurde gelesen, diskutiert, es gab Travestie-Shows. Die Gemeinschaft war sehr familiär. Der Chef des Schwimmbads in Podolí war schwul. Samstags schloss er für die Öffentlichkeit und veranstaltete Gay-Partys. Als es in den achtziger Jahren freier wurde, entstand in Prag der erste Gay-Club. Den überwachte die Staatssicherheit und erstellte das sogenannte rosa Register.
Wann haben Sie sich zum ersten Mal in der Öffentlichkeit geoutet?
Hromada: 1990 als ich zusammen mit einer Kollegin eine Fernsehsendung moderierte. Die Sendung hieß „Wir sind unter euch, aber…“. Es waren fünf Teile, wir klärten über Homosexualität auf. Im letzten Teil fragte mich die Kollegin: Jirka, jetzt sag, wie es bei dir ist! Wir waren noch sehr vorsichtig, es waren die ersten Informationen überhaupt darüber. Die Medien begannen sich dafür zu interessieren und sahen, dass Homosexuelle nicht nur geschminkte Jungs mit Handtaschen sind.
Damit war die Bewegung also bereits in vollem Gang?
Hromada: Ja, es war ein Weg von minus Eins auf Null, sehr anspruchsvoll. Und wir hatten überhaupt keine Erfahrung.
Wen meinen Sie mit „wir“?
Hromada: Der Kern gehörte zum Verein „Lambda“, der schon 1988 entstand, im Umkreis des Sexologischen Instituts. Da waren Leute, eher Patienten, die mit ihrem Anderssein große Probleme hatten. Aber auch viele ohne Probleme, die einfach frei leben wollten. So taten sich die Therapie-Gruppen und die Lambda-Leute zusammen. Daneben gab es noch einen weiteren Kreis, dazu gehörte ich. Lambda gefiel uns, aber wir wollten nach außen wirken. Wir wollten das Denken der Menschen verändern und gründeten die Bewegung für die Gleichberechtigung homosexueller Bürger (HRHO, später SOHO – Anm. d. Red.). Das Wort „Gay“ kannten wir noch nicht. Aber um etwas zu erreichen, mussten wir erstmal nach innen wirken, damit die Schwulen und Lesben keine Angst mehr hatten, sich zu zeigen. Damit würden wir viele und könnten auch oben aktiv und auf legislativer Ebene etwas versuchen zu verändern.
Um welche legislativen Veränderungen ging es?
Hromada: Gleich nach der Revolution setzten wir drei Dinge durch: Das rosa Register des Geheimdienstes wurde geschreddert, die Altersgrenze für sexuelle Kontakte angeglichen: 15 Jahre für alle. Bis dahin lag sie für Homosexuelle bei 18 Jahren. Das dritte war, dass Homosexualität aus der Liste der Krankheiten gestrichen wurde. Na, und viel später: die Einführung der registrierten Partnerschaft. Aber das war nur das Sahnehäubchen.
Was sehen Sie als größten Erfolg?
Hromada: Den Weg dahin. 1990 akzeptierten nur zehn Prozent der Tschechen Homosexualität. 2006 waren es 75 Prozent.
Aber das ist vermutlich eine sehr bedingte Akzeptanz?
Hromada: Damals sagten die Leute noch: Was wollen diese Tunten? Und jetzt denken sie: Sollen sie machen, was sie wollen. Das ist schon viel! Wir können nicht erwarten, dass uns alle lieben. Die verbleibenden 20 Prozent Gegner sind dogmatische Gläubige, Faschisten und – die interessanteste Gruppe: Menschen, die ihre eigene Homosexualität nicht annehmen können und daher umso stärker gegen uns agieren. Václav Klaus ist genau dieser Fall.
Sind das nicht Spekulationen?
Hromada: Nein, und alle wissen das. Vor der Revolution hielt er sich in unseren Kreisen auf. Das war der Typ, der verheiratet war, Kinder hatte, Karriere machte. In Frau Klausová fand er eine intellektuelle Freundin. Damit man ihm nichts nachsagte, hat er gegen die registrierte Partnerschaft und gegen die „Prague Pride“ agitiert.
Das Gesetz zur registrierten Partnerschaft bezeichnen Sie als Sahnehäubchen. Aber an seine Einführung 2006 war die Bedingung geknüpft, die Adoption für verpartnerte Menschen explizit zu verbieten. Hat das nicht zu mehr Diskriminierung geführt?
Hromada: Wir hatten damals zwei Möglichkeiten. Entweder die registrierte Partnerschaft als Grundlage, um daran weiter zu arbeiten. Oder nichts haben und weitere Jahre kämpfen, kämpfen, kämpfen. Viele Länder hatten erst Partnerschaft und dann die Adoption, zum Beispiel Dänemark.
Wenn 75 Prozent der Bevölkerung für die registrierte Partnerschaft sind, für Adoption aber nur 20, dann müssen wir eben weiter aufklären, bevor wir die Adoption durchbringen. 2006 war schon der fünfte Anlauf für das Gesetz. Wir brauchten damals 101 Stimmen und wir haben genau 101 Stimmen bekommen. Wir brauchten die Stimmen der Abgeordneten, die nur unter der Bedingung mitmachten, dass Adoption verboten wird. Als wir Juristen konsultierten, sagten sie: Nehmt das Adoptionsverbot rein, das ist ohnehin verfassungswidrig. Sobald jemand sein Recht auf Adoption vor Gericht einklagt, muss der Paragraph gekippt werden.
Und niemand hat bislang dagegen geklagt?
Hromada: Ja eben! Warum nicht? Die Jungen heute schreien alle, dass sie Adoption wollen. Aber wir als Organisation können das nicht tun. Wir brachten 2010 eine Novelle zur Stiefkindadoption ein. In Umfragen waren 40 Prozent dafür. Aber dann fiel leider die Regierung Topolánek.
Warum haben Sie sich als Aktivist zurückgezogen?
Hromada: Ich habe 20 Jahre lang jeden Tag nichts anderes gemacht. Es hat gereicht. Ich habe damals 180 Kilo gewogen! Ich brauchte eine Pause. Und es gab schon eine neue Generation, die fragte: Warum habt ihr das Adoptionsverbot zugelassen? Die sind eine ganz andere Normalität gewohnt.
Leute dieser jüngeren Generation werfen ihnen manchmal vor, dass Sie veraltete Argumente benutzen, um für die Akzeptanz von Homosexualität zu werben. Dass es angeboren sei, dass Homosexuelle nichts für ihre Neigung könnten. Können Sie das nachvollziehen?
Hromada: Veraltet? Das sind Argumente von Gay-Aktivisten auf der ganzen Welt. Homosexualität ist ein Geschenk Gottes oder der Natur, das man annehmen muss. Und keine Strafe.
Aber warum kann man nicht auch sagen, dass Homosexualität eine Wahl sein kann?
Hromada: Kann es. Das bestreite ich nicht. Ich persönlich glaube aber, dass es eine genetische Basis für die eigene Entscheidung gibt. Sexologen sagen, dass es keine Bisexualität gibt, dass immer eine Art des Begehrens überwiegt. Aber das ist nicht so wichtig.
Ist es nicht ein Unterschied, ob man der Gesellschaft Homosexualität als Schicksal einer Minderheit verkauft oder als Entscheidung, die jeder trifft?
Hromada: Unsere Argumente waren Argumente jener Zeit. Von freier Wahl war keine Rede. Heute ist die Gesellschaft anders und auch die Argumente. Die sexuelle Revolution schreitet unheimlich schnell voran. Im Westen hat das 60 Jahre gedauert. Wir hier haben uns in 20 Jahren befreit. Umgekehrt kann ich die Jungen fragen: Was ist denn passiert nach 2006? Nichts! Sie reden nur, trinken und kritisieren. Gegen das Adoptionsverbot müsste man diplomatisch vorgehen.
Manche kritisieren auch, dass die registrierte Partnerschaft keine Ehe ist. Sehen Sie beides als ebenbürtig?
Hromada: Warum wollen Schwule und Lesben eine Institution übernehmen, die unser größter Gegner, die katholische Kirche, erfunden hat? Also bitte! Ich würde meinen Partner nicht meinen Mann nennen wollen. Für mich ist Partnerschaft mehr als Ehe. Es ist ein Zeichen von Stolz, das wir anders sind.
Wie kann man die Adoption jetzt voranbringen?
Hromada: Auf diplomatischem Weg. Demonstrieren müssen wir nicht mehr.
„Online-Medien sind Pioniere“
Kinderwunsch nicht nur zu Weihnachten