Politischer Freitod
Abgeordnetenhaus löst sich auf – Neuwahlen wahrscheinlich Ende Oktober
21. 8. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: APZ
Um 17.17 Uhr war es soweit: Zum ersten Mal in der Geschichte der Tschechischen Republik stimmte das Abgeordnetenhaus am Dienstag für die eigene Auflösung – oder, wie es der einstige Prager Oberbürgermeister und Psychiater Pavel Bém (ODS) am Rednerpult des Parlaments nannte, sie begingen „einen schönen rituellen Selbstmord“. Der Entschluss für den Freitod fiel schnell und mit unerwarteter Bestimmtheit: 140 Parlamentarier stimmten für die Selbstauflösung, sieben sprachen sich dagegen aus. Den Sargnagel aber setzt Miloš Zeman. Der Präsident hatte bereits angekündigt, dass er der offiziellen Auflösung des Parlaments, die laut Verfassung dem Staatsoberhaupt obliegt, nicht im Wege steht.
Tschechien steht also vor vorgezogenen Neuwahlen. Wie Zeman der kommunistischen Parteizeitung „Haló noviny“ verriet, sollen diese am 25. und 26. Oktober stattfinden – am Wochenende vor dem Staatsfeiertag. Hinter dem Termin für den Urnengang vermuten einige Beobachter die neueste List eines machtgierigen Präsidenten. Wegen des verlängerten Wochenendes könnten viele Bürger den Wahllokalen fernbleiben, was wiederum den Parteien mit disziplinierter Wählerschaft – etwa der KSČM oder der ČSSD – in die Karten spielen könnte. Zeman, da sind sich die Kommentatoren einig, geht als großer Gewinner aus der politischen Krise hervor. Einer Krise, die lange vor Zemans Amtsantritt begann und in der auch der direkt gewählte Präsident einstecken musste.
Zemans Stunde schlug früher als gedacht. Der vor zwei Monaten aufgedeckte Geheimdienst- und Korruptionsskandal veranlasste Premier Petr Nečas (ODS) zum Rücktritt. Der Präsident setzte sich fortan souverän über die verfassungsrechtlichen Gepflogenheiten und den Willen der Parlamentsmehrheit hinweg. Er installierte seine – wie Zeman sie nennt – Expertenregierung. Auf den Ministerposten nahmen alte Weggefährten und Parteigenossen Zemans Platz. Dass die Übergangsregierung vor knapp zwei Wochen vom Abgeordnetenhaus abgelehnt wurde, wertet die Politologin Vladimíra Dvořáková gegenüber der „Prager Zeitung“ als „große Niederlage Zemans“. Dessen Ansicht nach war die Ernennung der Rusnok-Regierung jedoch nur ein Schritt, mit dem er die Auflösung des Parlaments voranzutreiben vermochte.
Nun werden die Karten neu gemischt. Für Zemans SPOZ wären Wahlen zum regulären Termin im Frühjahr 2014 von Vorteil gewesen. Laut einer Umfrage der Meinungsforschungsagentur „ppm factum“ könnte die neue Linkspartei in den vorgezogenen Wahlen sogar erneut den Einzug ins Parlament verpassen. Den Meinungsforschern zufolge stehen 21 Prozent der Wähler fest hinter der ČSSD, TOP 09 dürfte mindestens mit 10 Prozent, die Kommunisten mit 9 Prozent rechnen. Jeder vierte Wahlberechtigte sei sich nicht sicher, hinter welche Partei er sein Kreuzchen setzt.
Die Parlamentsvorsitzende Miroslava Němcová (ODS) appellierte am Dienstag als letzte Rednerin vor der Abstimmung an die Abgeordneten, sie dürften sich nicht ihrer Verantwortung entziehen. Während sie gegen die Auflösung stimmte, verließen die anderen Mitglieder der ODS-Fraktion demonstrativ den Saal. Den politischen Freitod – wie ihn Bém erörtert hatte – wollten sie nicht begehen. Glaubt man den Umfragewerten, steht den Bürgerdemokraten nun ein qualvoller Niedergang bevor. Die Meinungsforscher sehen die einstige Großmacht rechts der politischen Mitte bei sechs Prozent.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“