„Die Gesellschaft ist toleranter geworden“
Rollstuhlfahrer Tomáš Lanc über das Leben körperlich behinderter Menschen in Tschechien
21. 8. 2013 - Text: Julia MiesenböckText/Foto: jm
Tomáš Lanc ist Angestellter der Prager Organisation der Rollstuhlfahrer und sitzt selbst im Rollstuhl. Er berät Menschen, die sein Schicksal teilen und setzt sich aktiv für deren Chancengleichheit und Eingliederung in die Gesellschaft ein. Im Gespräch mit PZ-Mitarbeiter Jakob Mathe erzählt er über die Probleme, die eine solche Behinderung mit sich bringt und versucht auf den Punkt zu bringen, was viele Nicht-Rollstuhlfahrer nicht nachempfinden können.
Wie bewerten Sie die heutige Situation körperlich behinderter Menschen in Tschechien?
Sie ist sicherlich noch immer schwer. Der Staat bietet zwar teilweise Unterstützung, es könnte aber besser sein. Die Lage der Menschen hängt jedoch auch stark davon ab, in welcher Region des Landes sie leben. In Prag bemüht man sich sehr, behinderten Menschen ein Leben ohne Barrieren zu ermöglichen. Die Infrastruktur ist vergleichsweise gut ausgebaut. In kleineren Städten oder ländlichen Regionen ist dies noch nicht der Fall.
Wie kommen Sie als Rollstuhlfahrer in Prag zurecht?
Der Alltag ist natürlich mit vielen Komplikationen verbunden, lässt sich jedoch recht gut bewältigen. Mittlerweile sind Busse und Straßenbahnen oft behindertengerecht eingerichtet. An manchen U-Bahn-Stationen gibt es Fahrstühle für Rollstuhlfahrer, aber längst noch nicht überall. Wenn ich in die Stadt fahre, muss ich meinen Weg vorher genau planen um zu sehen, an welchen Haltestellen ich ohne Probleme aussteigen kann. Auch können Rollstuhlfahrer den Einstieg in die U-Bahn häufig nicht selbst bewältigen, da die Vorderräder des Rollstuhls recht klein sind und der Spalt zwischen U-Bahn und Bahnsteig zu groß ist. Sehr hilfreich ist, dass in Prag an den Wochentagen bis zu zwölf Mal täglich speziell eingerichtete, behindertengerechte Buslinien verkehren. Auf dem Land existieren solche Linien nicht, dort muss man sich als Rollstuhlfahrer einen teuren Fahrdienst bestellen.
Welche Unterschiede sehen sie zur Zeit des Kommunismus? War ihr Leben damals wesentlich eingeschränkter als heute?
Seit dem Ende des Kommunismus hat sich vieles zum Positiven verändert. Damals waren behinderte Menschen eine eigene, von der Gesellschaft ausgeschlossene Gruppe. In der Öffentlichkeit waren sie nicht erwünscht. Deshalb konnten sie nur unter sich leben. Gemeinsam mit anderen Kindern auf eine normale Schule zu gehen, war für behinderte Kinder undenkbar. Alle Einrichtungen für Behinderte existierten separat, sodass eine Integration in die Gesellschaft nicht möglich war. Außerdem gab es damals keine sozialen Dienste. Wenn man ein Anliegen hatte, war es schwer jemanden zu finden, der sich um einen kümmerte. Damals mussten vor allem die Familienangehörigen die Pflege übernehmen. Behindertengerechte Einrichtungen, nicht nur in öffentlichen Gebäuden sondern auch in öffentlichen Verkehrsmitteln, waren damals praktisch nicht vorhanden.
Sind Sie der Meinung, dass körperlich behinderte Menschen heute von der Gesellschaft akzeptiert sind?
Die Gesellschaft ist toleranter geworden. Heute sind behinderte Menschen in das öffentliche Leben integriert und können sich in der Öffentlichkeit zeigen. Die Leute wissen aber oft nicht, wie sie sich uns gegenüber verhalten sollen und sind zurückhaltend, oft muss man nach Hilfe fragen. Aber vor allem junge Leute sind kommunikativer und hilfsbereiter geworden. Von Menschen, die den Kommunismus selbst miterlebt haben, wird man häufig noch schief angeschaut. Sie halten Rollstuhlfahrer und Menschen mit anderen Behinderungen für geistig eingeschränkt. Sie können sich nicht vorstellen, dass ein Behinderter einen Hochschulabschluss und einen hohen IQ haben kann.
Finden viele Menschen also nur deshalb schwer Arbeit, weil sie im Rollstuhl sitzen? Obwohl sie alle anderen Arbeitsanforderungen erfüllen?
Das ist oft der Fall. Es ist nicht so, dass Arbeitgebern der Wille fehlt, behinderte Menschen bei sich zu beschäftigen. Aber es fehlt an speziell eingerichteten Arbeitsplätzen. Firmen bekommen zwar finanzielle Unterstützung vom Staat, wenn sie behindertengerechte Arbeitsplätze installieren. Es fehlt jedoch nicht nur an Geld. Aufzüge, Rollstuhlrampen oder behindertengerecht eingerichtete Toiletten nehmen sehr viel Platz ein. Gebäude im Nachhinein umzubauen ist also sehr schwer. Außerdem wird für behinderte Menschen in kleineren Städten schon der Weg zum Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Problem.
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