„Eine militärische Lösung gibt es nicht“
Nahost-Experte Sanaáh warnt vor riskanten Schachzügen und wirft Zeman Islamophobie vor
4. 9. 2013 - Interview: Martin Nejezchleba
Šádí Sanaáh ist Sohn einer tschechischen Mutter und eines palästinensischen Vaters. Das Leben in Flüchtlingslagern kennt er aus den eigenen Kindheitserinnerungen. Heute widmet sich Sanaáh politischen Analysen und unterrichtet Neueste Geschichte des Nahen Ostens an der Anglo-American University in Prag. Einen US-amerikanischen Angriff gegen das Assad-Regime sieht er mit Skepsis.
Herr Shanaáh, Obama hat den Einsatz von chemischen Waffen bereits vor Monaten als „rote Linie“ im Syrien-Konflikt bezeichnet. Nun behaupten die USA, Assad habe diese Linie überschritten und möchte das syrische Regime dafür bestrafen. Welche Auswirkungen hätte ein amerikanischer Eingriff auf die Situation in der Region?
Šádí Shanaáh: Die Ironie liegt gerade darin, dass sich die amerikanische Regierung krampfhaft bemüht, die Situation in der Region mit dem Angriff nicht zu beeinflussen. Das Weiße Haus macht eine große Menge an Informationen zum potentiellen Angriff öffentlich. Es wirkt so, als ob Präsident Obama den Russen, Iranern und auch Assad sagen möchte: Keine Angst, wir möchten dem syrischen Regime nur ein wenig auf die Finger klopfen, aber nicht so sehr, dass ihr allzu großen Trubel um die Sache machen müsst. Ein Angriff auf Syrien kann aber eine gewisse psychologische Barriere durchbrechen und die Tore zu einer mächtigeren Intervention öffnen. Das syrische Regime und seine Verbündeten könnten daraufhin auf eine drastischere Form der Konfrontation setzen. Dann ist auch ein weitaus massiverer Einsatz chemischer Waffen nicht auszuschließen.
Die Zahl der Todesopfer im Syrien-Krieg wird mittlerweile auf 110.000 geschätzt. Wir sind Zeugen einer humanitären Katastrophe entsetzlicher Ausmaße und die Situation wird mit dem Zustrom von Dschihadisten immer unübersichtlicher. Was kann der Westen überhaupt tun, um die Lage zu beruhigen?
Shanaáh: Der Westen sollte gemeinsam mit der Arabischen Liga viel stärker daran arbeiten, Russland und den Iran zu einer Beteiligung an einer politischen Lösung dieser Tragödie zu motivieren. Eine militärische Lösung gibt es ganz offensichtlich nicht. Der Syrien-Konflikt ist Teil eines ausgedehnten Kampffeldes, das sich über den gesamten Nahen Osten und Nordafrika erstreckt. In diesem Kampf geht es unter anderem um die ideale Form der politischen-gesellschaftlichen Ordnung, um die künftige Ausprägung des arabischen Islam, um Macht. Syrien stellt ein Feld in dieser Schachpartie dar. Der Konflikt wird so lange weitergehen, wie eine ausreichende Zahl von Spielern denkt, dass gerade sie gewinnen können – oder dass sie nicht aufhören dürfen zu spielen.
Die tschechische Regierung ebenso wie der Präsident lehnen jedwede Intervention in Syrien ab. Zeman hat ich in der vergangenen Woche dafür ausgesprochen, tschechische Soldaten im Rahmen der UN-Friedenstruppe auf den Golanhöhen zu stationieren. Wie bewerten Sie den tschechischen Standpunkt?
Shanaáh: Zeman ist bekannt für seine Ablehnung gegenüber dem Islam und gegenüber Muslimen. Diese Einstellung beeinflusst auch seine Ansichten zum Syrienkonflikt. Den hat er als den Kampf zwischen zwei Übeln bezeichnet. Wenn wir Zemans Gedanken zu Ende spinnen, dann sagt er eigentlich, dass es am besten wäre, wenn sich diese zwei Übel – also die syrische Bevölkerung – gegenseitig abschlachten würden. Das führt ihn dann zum Schluss, dass sich Tschechien beziehungsweise der Westen nicht einmischen sollte. Eine kritische Haltung zur Militärintervention ist angebracht, aber aufgrund von unklarer Legitimität, unklarer Ziele, unklarer Folgen und unklarem Rechtsrahmen. Ich weiß aber nichts davon, dass die Zurückhaltung Zemans auf diese Gründe zurückzuführen ist. Was die Beteiligung tschechischer Einheiten an UN-Missionen betrifft: Das ist eine andere Sache. Es ist absolut in Ordnung, wenn Tschechien auf Grundlage eines UN-Mandats aktiv wird.
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