Das Festbankett aus der Tonne
Eine junge Initiative macht in Prag auf das Problem Lebensmittelverschwendung aufmerksam – mit tausend Portionen Gemüsecurry
11. 9. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText und Foto: Martin Nejezchleba
In der Hotelschule in Klánovice haben sich rund 30 Freiwillige mit Messern in den Händen versammelt. Tränen kullern ihnen über die Wangen. Sie schneiden Zwiebeln im Akkord. 100 Kilogramm müssen geschält und gehackt werden. Die Luft ist beißend scharf. Und damit nicht genug: 250 Kilogramm Blumenkohl, Karotten, Kartoffeln, Auberginen und Zucchini stapeln sich in großen Säcken und Kisten in der Küche. Ohne die Rettungsaktion im Prager Vorort wäre all das im Müll gelandet.
„Das Essen kommt von Supermärkten und von Bauern, die das Gemüse sonst weggeworfen hätten“, erzählt Adam Podhola. Die Lebensmittel seien unverkäuflich, weil es im Moment zu viele davon auf dem Markt gäbe oder weil sie kleine Schönheitsfehler aufweisen. Unter anderem wegen dieser Praktiken enden laut Angaben der Vereinten Nationen weltweit rund 1,3 Milliarden Tonnen genießbaren Essens im Müll. Das siebenköpfige Team um Adam Podhola kämpft mit der Initiative „Zachraň jídlo“ („Rette das Essen“) gegen diese Verschwendung.
An diesem Montagabend bereiten sie ein Festmahl für tausend Menschen vor. Am Tag darauf wird es auf dem Wenzelsplatz serviert, begleitet von Klaviermusik und Diskussionen rund um das Thema Lebensmittelverschwendung.
Michal Broža, Leiter des Prager UN-Informationszentrums, ist begeistert. Es sei höchste Zeit, Lebensmittelverschwendung auch in Tschechien ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. „Die Verschwendung von Lebensmitteln ist völlig unsinnig, in ethischer, sozialer aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht“, sagt Broža und verweist auf erschütternde Zahlen. Unnötig vergeudet werden laut den UNO-Statistiken auf der Welt Lebensmittel im Wert von 774 Milliarden Tonnen. Warum? Vieles, was produziert wird, kommt erst gar nicht auf den Ladentisch. Es ist zu klein, zu krumm, zu krümelig. Zu strenge EU-Richtlinien für frisches Obst und Gemüse etwa sorgen dafür, dass vieles bereits bei der Ernte entsorgt wird.
Überfluss vor Bedarf
In industrialisierten Ländern liegt die Hauptverantwortung jedoch bei Händlern und Konsumenten. Supermarktregale müssen – so scheint es die Konsum-Logik zu verlangen – stets zum Bersten gefüllt sein. Das Baguette kommt am besten immer gerade frisch aus dem Ofen. Folgen sind Überproduktion und volle Müllcontainer. Fehlendes Bewusstsein von Abfallmengen und Weiterverwendungsmöglichkeiten führt auch in Kantinen und Restaurants zu Müllsäcken voller Essen.
Aber Konsumenten beteiligen sich auch direkt am Wegwerf-Wahnsinn: Essen ist immer und überall zur Hand, die Auswahl immens. Eingekauft wird oft nach Lust und Laune, nicht danach, was wirklich gebraucht wird. Der Käse, der uns im Supermarkt das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, verschwindet dann schnell in den Untiefen des Kühlschrankes. Erreicht ein Brotaufstrich das Mindesthaltbarkeitsdatum, landet er meist sofort auf dem Müll. Dabei sagt der Datumsstempel nur wenig über Genießbarkeit aus, Geruch und Geschmack sollten entscheidend sein.
Obwohl in Tschechien Schätzungen zufolge etwas weniger verschwendet wird, als etwa in Frankreich oder Deutschland, treffen Leute, die dieses Problem bekämpfen wollen, schnell auf ein Problem: Es gibt kaum Daten darüber, wo und weshalb Essen weggeworfen wird. Laut der Lebensmittel-Expertin Aurèle Destrée wurden in Tschechien bislang keine verlässlichen Studien in Auftrag gegeben.
Auf Regierungsebenen scheint der Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung, der von der EU als Jahresmotto 2014 ausgerufen wurde, kaum jemanden zu interessieren. Fragt man beim Handelsministerium an, das in Tschechien auch für Verbraucherpolitik zuständig ist, wird man auf das Gesundheitsministerium verwiesen, von dort ans Landwirtschaftsministerium. Dessen Sprecherin versicherte gegenüber der „Prager Zeitung“, dass Landwirte schon aus wirtschaftlichen Gründen das Wegwerfen vermeiden würden.
Spenden teuer gemacht
Während des Festmahls auf dem Wenzelsplatz erhebt Věra Doušová, Leiterin der Prager Lebensmittelbank, eine Forderung an die Politiker: „Jede Firma, die in Tschechien Lebensmittel an Bedürftige spenden möchte, muss 15 Prozent Mehrwertsteuer bezahlen.“ Laut Doušková sei das der wichtigste Grund dafür, warum der tschechischen Version der Tafeln nur sehr wenige Supermarkt-Betreiber Essen spenden. „Für sie ist es günstiger, das Essen einfach wegzuwerfen“, sagt Doušková und fordert eine Ausnahmeregelung für Essensspenden, wie sie in den meisten EU-Ländern gilt.
In der Fußgängerzone hat sich inzwischen eine Schlange von mehreren hundert Metern gebildet. Alena Radoboewa ist das Gemüsecurry, das am Vorabend unter der Aufsicht von Chefkoch Petr Pešek in der Hotelschule zubereitet wurde, ein wenig zu scharf. In ihren Händen hält sie ein kleines Heft mit Rezepten. Darin steht zum Beispiel, wie man aus trockenem Brot und matschigen Tomaten italienische Bruschetta zaubert. Die russische Studentin Alena will das zuhause versuchen. Das sei besser als wegwerfen.
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