Westböhmische Ideenschmiede

Westböhmische Ideenschmiede

Pilsen bereitet sich auf das Kulturhauptstadt-Jahr 2015 vor – und bekommt dabei auch Unterstützung aus Bayern

18. 9. 2013 - Text: Sabina PoláčekText: Sabine Poláček; Foto: imfsa

 

Abgesehen von Prag steht in Tschechien derzeit kein anderer Ort mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit als Pilsen. Im September 2010 jubelten die Bewohner, als der Ministerrat ihre Stadt zur Kulturhauptstadt Europas 2015 ernannte und ihr im Mai 2011 offiziell den Titel verlieh. Der Mitbewerber Ostrava scheiterte nur knapp. Mit dem Slogan „Open Up“ will sich die Universitäts- und Bistumsstadt nun der Welt öffnen. Seitdem ist Pilsen zu einer großen Ideen­schmiede geworden. Bis zur Eröffnungsfeier am 17. Januar 2015 muss nicht nur ein gigantisches Kulturprogramm auf die Beine gestellt werden.

Auch ein neues Theater und die Brauerei Světovar, die nach der Renovierung zum modernen Kulturzentrum avancieren soll, müssen bis dahin stehen. Für die rund 170.000 Einwohner zählende Stadt eine Mammutaufgabe.

Pilsen, das für sein Bier, die Škoda-Werke und die Industrie bekannt ist, arbeitet an seinem neuen Image als moderne Kulturstadt. Dieses Ziel verfolgen Oberbürgermeister Martin Baxa (ODS) und die Koordinationsgesellschaft „Plzeň 2015“, die mit ihren 40 Mitarbeitern und derzeit über 50 Freiwilligen gigantische Projekte stemmt. Ein neues, „besseres Pilsen“ will die Stadtverwaltung schaffen. „Es liegt nur an uns, wie gut wir diese Gelegenheit für Pilsen und seiner Einwohner nutzen“, betonte Baxa bereits 2011.

Und so sind in Erwartung von zwei Millionen Touristen alle Augen auf seine Stadt gerichtet. Bis es jedoch soweit ist, bemüht sich das Koordinationsteam um finanzielle Mittel aus verschiedensten Töpfen, seien es Gelder der Stadt und Region Pilsen, des tschechischen Kulturministeriums, des EU-Ziel3-Programms oder der Sponsoren. Die Brauerei Pilsener Urquell steht bereits in den Startlöchern. „Zur Zeit verhandeln wir mit den Organisatoren über ein passendes Projekt“, heißt es aus der Firmenzentrale.

Für jede Kulturhauptstadt Europas sind zudem 1,5 Millionen Euro von der Europäischen Union vorgesehen. „Bisher haben wir von der EU noch keine Mittel erhalten“, erläutert Marketingspezialistin Mirka Reifová von der Koordinationsgesellschaft „Plzeň 2015“. Nach Angaben der Europäischen Kommission werden die Fördermittel stets kurzfristig in Form des Melina-Mercouri-Preises vergeben, den die Stadt „für die ordnungsgemäße Vorbereitung der Veranstaltung“ erhält.

Hohe Anforderungen
Die westböhmische Stadt strengt sich an, hat aber auch mit Problemen zu kämpfen: die noch offene Finanzierung einiger Projekte, die gestiegenen Kosten für den Bau des neuen Theaters und Uneinigkeit über die Namensgebung der Spielstätte sowie das stetig wechselnde Personal an der Spitze von „Plzeň 2015“. Ob ein Projekt solchen Ausmaßes gelingt, entscheiden nicht nur das Budget, sondern auch die Fähigkeiten des Managements.

Bereits seit zwei Jahren schwächt ein Personalkarussell die Pilsener Koordinationsgesellschaft. Nach Martin Svoboda, Tomáš Froyda, der die Leitung des Theaters Alfa bevorzugte, ging im Juli auch noch Erich Beneš. Ein Bewerbungs- und Auswahlverfahren wurde von Oberbürgermeister Baxa im Juli dieses Jahres gestoppt, obwohl nach Angaben der Stadt acht von zehn Bewerbern das Anforderungsprofil erfüllt hätten. Im August übernahm der künstlerische Programmleiter Jiří Sulženko den leitenden Posten – vorübergehend. Neben einer handfesten Führung fordern die EU-Experten ein klares Programmkonzept, ein Finanzaudit und eine verbesserte Kommunikation mit der Öffentlichkeit.

Brüssel stellt an die Gastgeberstädte hohe Anforderungen. So sollen alle Bevölkerungsgruppen in die Umgestaltung der Stadt und in die Programmplanung einbezogen werden – sowohl Senioren und Kinder als auch ethnische Minderheiten. Aus diesem Grund realisierte das Koordinationsteam unterschiedliche Projekte und schickte zum Beispiel in Pilsen lebende vietnamesische Kinder nach Polen zum Tanzfestival „Brave Kids“, will obdachlose Senioren unterstützen und führt bereits Gespräche mit der Roma-Organisation „Slovo 21“. Ein wichtiges Signal angesichts der roma-feindlichen Ausschreitungen, die in den vergangenen Monaten auch im Ausland für unrühmliche Schlagzeilen sorgten. „Dass die Stadtverwaltung auf uns zugekommen ist, freut mich außerordentlich“, erklärt Jelena Silajdži, Direktorin von „Slovo 21“. „Wir haben bereits im vergangenen Jahr über eine Kooperation gesprochen.“

Alte Anlage, neues Antlitz
Ein weiteres wichtiges EU-Kriterium sind Kooperationen mit Nachbarstädten und -ländern. Pilsen hat die bayerische Seite eingeladen, sich am internationalen Kulturprogramm zu beteiligen. Das Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) in Schönsee sammelte seit 2011 Projektvorschläge von über hundert Kulturakteuren. „Mehr als 215 Ideen wurden eingereicht“, erläutert Programm-Managerin MaikaVictor-Ustohal, „aber nur ein Bruchteil – nämlich 16 – können innerhalb des Hauptprogramms realisiert werden.“

Ein Problem sind die unzureichenden Finanzmittel, die bereits CeBB-Leiter Hans Eibauer im vorigen Jahr gegenüber dem Tschechischen Rundfunk beklagt hatte. Projekte wie „Highway of Arts“ auf der A6, wo Kunstwerke entlang der Autobahn und an Raststätten präsentiert werden sollten, wurden nun zurückgestellt. „Das war ein zu ehrgeiziges Projekt“, so Victor-Ustohal. Verwirklicht wird jedoch „Regio2015“, ein Gemeinschaftsprojekt von „Plzeň 2015“, dem CeBB und der Stadt Regensburg, mit der Pilsen eine 20-jährige Städtepartnerschaft verbindet. Von Januar 2014 bis September 2015 wird „Regio2015“ mit rund 780.000 Euro aus dem Ziel3-Programm finanziert.

In dieser Woche findet eine internationale Konferenz statt, bei der die Umgestaltungsmöglichkeiten der im Jahr 1910 erbauten Fabrikanlage Světovar diskutiert wird. Bis in die dreißiger Jahre hinein wurde dort die Marke „Weltbräu“ gebraut. Rat zum Umbau holt sich „Plzeň 2015“ hierzu von erfahrenen Experten aus dem Ausland. Dazu zählt zum Beispiel die „Spinnerei“ in Leipzig, die im 19. Jahrhundert als die größte Baumwollspinnerei Europas galt und heute als Produktions- und Ausstellungsstätte für zeitgenössische Kunst und Kultur fungiert, oder das spanische Kulturzentrum „Matadero“, ein ehemaliger Schlachthof. Světovar wird sein eigenes „Open Up“ im Laufe des Jahres 2014 erleben und öffnet seine Tore unter dem neuen Namen „4×4 Cultural factory Světovar“. Pilsen – eine Stadt verändert sich.

Mit dem Titel, den Pilsen in etwas mehr als einem Jahr tragen wird, durfte sich die slowakische Stadt Košice bereits in diesem Jahr schmücken. Welche Veränderungen die Stadtschreiberin des Deutschen Kulturforums Europa dort bemerkte, darüber berichtet sie in dem Artikel „Košice/Kaschau – Rückkehr in eine Stadt im Wandel“ auf Seite 15 dieser Ausgabe.

Fahrplan für Pilsen 2014–2015

•    im September 2014: Eröffnung der Spielsaison 2014/2015 im neu erbauten Theater
•    bis spätestens Winter 2014: Eröffnung der renovierten Brauerei „4×4 Cultural factory Světovar“
•    September bis November 2014: Manege im Stil des französischen Cirque Nouveau (Vorschau für 2015)
•    November und Dezember 2014: Böhmische Weihnacht in Pilsen
•    17. Januar 2015: offizieller Start mit 20 Ausstellungen, 15 Projekten im öffentlichen Raum, zehn Konferenzen und 50 musikalischen Darbietungen sowie Theateraufführungen. Geplant sind Auftritte internationaler Stars (Filmkomponist Ennio Morricone, Ballett-Tänzer „Brüder Bubeníček“, Sängerin ZAZ)

Mehr Informationen zu den Veranstaltungen unter www.plzen2015.cz und www.bbkult.net