Einmalige Schule
Seit 15 Jahren besuchen tschechische Schüler das Friedrich-Schiller-Gymnasium im sächsischen Pirna
18. 9. 2013 - Text: Jakob MatheText: Claudia Trache und Jakob Mathe; Foto: Claudia Trache
Im Landkreis Sächsische Schweiz, unweit der tschechischen Grenze, befindet sich das deutschlandweit einzige deutsch-tschechische Gymnasium. Hier wurde in Pirna vor 15 Jahren das Projekt „deutsch-tschechisches Bildungsprofil“ gestartet.
Das Gebäude des Friedrich-Schiller-Gymnasiums öffnete bereits 1874 als Königlich-Sächsisches Lehrerseminar seine Pforten. Heute lernen in dem weitläufigen, hellen Gebäude insgesamt 850 Schüler, darunter 90 tschechische. „Anfangs wohnten die tschechischen Schüler bei Gastfamilien“, erinnert sich Schulleiter Bernd Wenzel. Seit gut 13 Jahren verfügt die Schule über ein eigenes Internat.
Jedes Schuljahr werden 15 tschechische Schüler in die 7. Klasse aufgenommen. Dazu kommen 15 deutsche, die den bilingualen Zweig bereits ab der fünften Klasse besuchen und seitdem die tschechische Sprache lernen. Voraussetzung für die Aufnahme in den binationalen Bildungsgang ist die Bildungsempfehlung für das Gymnasium und ein bestandener Aufnahmetest.
Erfolgreich gemeistert haben den binationalen Bildungsgang in diesem Jahr unter anderem Anne Schneider aus Dresden, Kateřina Hadrabová aus Teplice und Jan Tomáš aus Žatec. Alle drei ziehen nach sechs Jahren gemeinsamen Lernens ein positives Fazit. „Am Anfang waren die Sprachprobleme zwischen den deutschen und tschechischen Schülern groß“, erinnert sich Anne Schneider. „Wir haben zunächst viel improvisiert, sind dann aber schnell zusammengewachsen.“ Die 19-Jährige plant nun ein Studium an der Technischen Universität in Dresden. Ihr Wunsch ist es, über ein Erasmus-Programm auch ein Semester in Prag studieren zu können.
Aufs Leben vorbereitet
Jan Tomáš kam durch seine ältere Schwester ans Pirnaer Gymnasium. Auch er bestätigt die anfänglichen Sprachprobleme. „Erst in der letzten Jahrgangsstufe bin ich so richtig mit den Deutschen in Kontakt gekommen.“ Der 19-Jährige wohnte während der Schulausbildung im Internat und empfand diese Zeit rückblickend als nützlich, um selbständig zu werden. Nun möchte er Mechatronik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden studieren.
Kateřina Hadrabová findet es wichtig, dass Menschen, die im Grenzgebiet leben, beide Sprachen lernen. Sie selbst hat auch deutsche Wurzeln – ein Antrieb, die Sprache ihrer Vorfahren zu lernen. „In einem anderen Land auch dessen Sprache zu sprechen, das öffnet Türen und kommt sympathisch rüber“, ist ihre Erfahrung. Die 18-Jährige hat sich für das Studium „Europäisches Verwaltungsmanagement“ an der Hochschule Harz in Wernigerode entschieden. Später möchte sie am liebsten in Brüssel tätig sein, vielleicht aber auch in der tschechischen Politik.
Tereza Šumichrastová, Abiturientin des Jahrgangs 2010, studiert heute an der TU Dresden. Für sie war die Zeit am Schiller-Gymnasium eine schöne und anstrengende zugleich: „Der Unterricht ist anspruchsvoll. Natürlich wird dort mehr verlangt als an einem normalen Gymnasium in Tschechien. Heute bin ich dennoch froh, dass ich mein Abitur in Deutschland gemacht habe. Die Schulzeit dort hat mich aufs Leben vorbereitet.“
Wenig Interesse am Nachbarn
Nachdem in der Sekundarstufe II die Klassenverbände aufgelöst sind, erhalten die tschechischen Gymnasiasten ausschließlich Unterricht auf Deutsch. Die Schüler, die das Abitur absolvieren, nutzen oft den Vorteil ihrer erworbenen Fremdsprachenkenntnisse und studieren anschließend in Deutschland. „Beliebt sind vor allem Gesellschaftswissenschaften und Informatik. Um Naturwissenschaften zu studieren, kehren die Abiturienten meist nach Tschechien zurück“, so Šumichrastová.
Bei deutschen Absolventen sei das Interesse am Nachbarland hingegen so gut wie nicht vorhanden. Kaum ein Deutscher entscheide sich, nach dem Abitur in Tschechien zu studieren. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Oft überwiegt die Skepsis gegenüber dem östlichen Nachbarn. Die Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt scheinen besser und viele Abiturienten schreckt ein Studium auf Tschechisch ab. Außerdem sind deutsche Universitäten und Studentenwohnheime wesentlich moderner ausgestattet. Die deutschen Abiturienten entscheiden sich deshalb meist für ein Studium in ihrem Heimatland, die Sprachkenntnisse werden eher als nützliche Zusatzqualifikation angesehen.
„Unsere Schüler erwerben Kompetenzen, die sie befähigen, in der internationalen Wirtschaft zu bestehen“, erläutert Michaela Scharf, seit 2003 Lehrerin und Fachleiterin für Sprachen am Schiller-Gymnasium. „Aufgrund der hohen Anforderungen, die das deutsch-tschechische Profil mit sich bringt, müssen unsere Schüler leistungsbereit, aber auch flexibel und motiviert sein. Hier werden sie interkulturell geschult und lernen auch effizientes Zeitmanagement.“ Absolventen des binationalen Bildungsgangs haben zudem die Möglichkeit, das Zertifikat „Certi-Lingua“ zu erwerben, das ihnen mehrsprachige, interkulturelle Kompetenzen bescheinigt.
Gemeinsame Projekte
„Das deutsch-tschechische Projekt ist in der Schule allgemein präsent. Die tschechischen Kollegen sind in alle schulischen Aufgaben eingebunden und zum Teil auch als Klassenleiter tätig“, erzählt Scharf. Die Verständigung unter den Kollegen erfolgt auf Deutsch. „Einige deutsche Kollegen besuchen auch Tschechisch-Kurse“, so die Pädagogin. „Und unsere tschechischen Kollegen haben angeboten, uns ihre Muttersprache zu vermitteln.“ So bemüht sich Schulleiter Wenzel, seine tschechischen Mitarbeiter hin und wieder in ihrer Muttersprache anzusprechen: „Es ist immer wieder schön zu erleben, mit welcher Warmherzigkeit die Kollegen meine Fehler korrigieren. Damit macht das Verbessern der Sprachkenntnisse gleich noch mehr Spaß.“
Zu den derzeit 20 Lehrkräften aus dem Nachbarland gehört auch Josef Urbánek, seit 2010 als tschechischer Studienkoordinator am Gymnasium tätig. Der Lehrer für Geschichte und Gemeinschaftskunde lebt in Pirna, ist aber auch noch in Děčín zuhause. „Es ist erfreulich zu sehen, dass es auf beiden Seiten der sächsisch-tschechischen Grenze verhältnismäßig viel Interesse an der Sprache des Nachbarn gibt“, so der Pädagoge. Er unterrichtet gleichfalls das eigens für den binationalen Bildungsgang konzipierte Fach „Deutsch-tschechische Beziehungen“. „Im Rahmen meines Studiums habe ich mich mit unterschiedlichen Formen des bilingualen Unterrichts beschäftigt. Nur in Pirna bestand die Binationalität auch auf Schülerebene. Das fand ich einmalig und war sehr gespannt, wie dieses Modell in der Praxis aussieht“, so Urbánek.
Die deutschen und tschechischen Schüler werden in ausgewählten Fächern in der jeweiligen Fremdsprache unterrichtet, arbeiten in sogenannten Kontaktstunden, aber auch an gemeinsamen Projekten. So haben Schüler eigene Märchen auf Tschechisch und Deutsch gedichtet. Als „Märchen für unterwegs“ begleiten diese nun die Passagiere des Dresdner Flughafens auf ihren Reisen. Das Projekt „Farben des Jahres“ findet an Grundschulen Verwendung, wo den Kindern anschaulich erste tschechische Worte vermittelt werden.
Wenzel ist überzeugt: „Unser Projekt trägt dazu bei, die gegenseitigen Verletzungen aus der deutsch-tschechischen Geschichte zu überwinden und offen aufeinander zuzugehen.“
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