Ein Klavier, ein Klavier!
Wie Café-Besitzer Ondřej Kobza die Stadt mit Musik beseelt
18. 9. 2013 - Text: Franziska NeudertText und Foto: Franziska Neudert
Ein Streifzug im Spätsommer, die Straßen entlang durch Vinohrady. Auf dem Weg zur Straßenbahn eilt eine junge Frau über den Náměstí Míru. Die Bahn schließt ihre Türen, fährt an und quietscht um die Kurve. Die Fußgängerin blickt auf den Fahrplan. Kurze Zeit später wandern ihre Augen irritiert zurück, zur Mitte des Platzes. Beethovens „Für Elise“ schwebt kaum hörbar über den Geräuschen der Stadt. Mit den ersten Blättern tanzt die Melodie über den Bürgersteig bis zur nächsten Kreuzung, wo sie der Lärm der Motoren verschluckt.
Auf dem Platz, dort wo sich die Wege der Grünanlage treffen, sitzen zwei Jugendliche an einem Klavier und greifen in die Tasten. Vorbeilaufende bleiben stehen, kommen näher oder lassen sich auf den umliegenden Bänken nieder. Nach den beiden Jungpianisten setzt sich ein kleines Mädchen an das Klavier und klimpert unbekümmert drauf los. Wenig später versucht sich ein Spaziergänger im Jazz. Kaum eine Minute, in der das Instrument unberührt bleibt.
Seit Mitte August befindet sich das Klavier an seinem ungewöhnlichen Spielort. Es ist eines von insgesamt zwölf Klavieren, die an öffentlichen Orten in Prag aufgestellt wurden. Sie sollen mit ihrem Klang „den Raum spürbar machen und die Leute dazu bringen, nicht einfach durch den Tag zu trotten“, wie Ondřej Kobza erklärt. Der 34-jährige Café-Besitzer steckt hinter der Idee, den öffentlichen Raum mit einem Musikinstrument zu beleben. Schon immer habe er das zwanghafte Bedürfnis verspürt, Veranstaltungen für alle zu organisieren. Mit seiner Aktion „piána na ulici“ („Klaviere auf der Straße“) dürfte ihm das gelungen sein. „Wie Balsam in der Hektik des Alltags“ empfindet eine Zuhörerin das unerwartete Konzert. Ein paar Teenager halten es für „einfach cool, dass so ein Ding auf der Straße steht“. So verwandelt sich die Straße für einen Moment in mehr als einen Zwischenraum, den man auf seinem Weg passiert. Menschen laufen nicht aneinander vorbei, sie begegnen sich und hören einander zu. Sprechen durch Musik für eine Weile dieselbe Sprache.
Mehr als Lärm
Mit der inzwischen weltweit bekannten Kampagne „Play me I’m yours“, die seit 2008 weltweit etwa 900 Klaviere in 36 Städten unter freiem Himmel verteilte, hat Kobzas Initiative nichts zu tun. In Prag begann alles vor drei Jahren, als die Bürgerinitiative „Auto*Mat“ den Szene-Kneipenwirt fragte, ob er sich nicht an der Aktion „Zažít město jinak“ („Die Stadt anders erleben“) beteiligen wolle. Für einen Tag wurde der Verkehr in der Krymská-Straße im Stadtteil Vršovice gesperrt, Anwohner und Gastronomen räumten Möbel auf die Straße und tranken mitten auf der Fahrbahn gemeinsam Kaffee. Für Musik sorgte Kobza, indem er ein Klavier vor sein Café stellte. Die Idee kam so gut an, dass er das Instrument immer wieder bei schönem Wetter draußen platzierte. „Wir haben gemerkt, dass die Straße mehr als nur Autos und Lärm bedeutet. Und spürten, wie sie zu einem Ort des Lebens, der Spontanität und Kommunikation wurde“, erzählt Kobza mit funkelnden Augen.
Am Flussufer Naplávka, direkt neben der Palacký-Brücke, wo er ein Straßencafé für die Fahrradwerkstatt „Bajkazyl“ betreibt, tauchte später ein weiteres Klavier auf. Es blieb den ganzen Sommer. Schließlich schrieb Kobza an die Verwaltung des zweiten Stadtbezirks, um nach einer Genehmigung für weitere Klaviere zu fragen. Obwohl er eigentlich nicht mit einer Antwort rechnete, kam diese prompt. „Es war so erstaunlich einfach, dass ich ziemlich schnell immer mehr Klaviere aufstellen konnte“, erzählt Kobza. „Das einzige, was sich noch schwierig gestaltet, ist der Transport.“ Große Ansprüche an den Standort der Instrumente hegt der gebürtige Ostböhme nicht. „Das Klavier muss nur gut zur Atmosphäre des Ortes passen und niemand darf sich gestört fühlen.“ Über die Stadt verteilt findet man die Klaviere zum Beispiel im Foyer des Hauptbahnhofs, am Treppenaufgang zur Philosophischen Fakultät am Jan-Palach-Platz, am Neustädter Rathaus oder auf der Halbinsel Kampa.
Nur ein Anfang
Die Instrumente hat Kobza aus seiner eigenen Tasche gezahlt, gebraucht auf Basaren, in Privathaushalten und Antiquitätenhandlungen erstanden. Um auch künftig möglichst viele Klaviere zu beschaffen, wirbt er nun auf einer Homepage um Spenden. Zwischen 80 und 5.000 Kronen können Freunde der Aktion beisteuern. Im Gegenzug erhalten sie dafür zum Beispiel freien Eintritt für die Veranstaltungen in Kobzas „Café V lese“ oder eine Ehreninschrift auf einem der Klaviere.
Über die Frage, wie er die Stücke vor Vandalen schütze, schmunzelt Kobza. Er glaubt nicht daran, dass jemand die Klaviere willentlich zerstören würde. „Und wer die Klaviere nicht sonderlich schätzt, der respektiert zumindest die Kinder und Erwachsenen, die daran Freude haben.“ Die Freude ist unübersehbar. Bisher erntet das Projekt von fast allen Seiten lobende Worte. Lediglich einige Ladenverkäufer im Hauptbahnhof zeigten sich weniger euphorisch und reichten Beschwerde ein.
Egal, wo sich die Klaviere befinden, selten bleiben sie länger als zehn Minuten unbespielt. Beinahe liebevoll kümmern sich Anwohner und Fußgänger um sie, bedecken die Instrumente bei Regen mit einer Plane. Bis es kalt und nass wird, sollen sie die Straßen und Plätze der Stadt noch mit ihrem Klang beseelen; danach wohl nur dort, wo sie überdacht sind.
Für Kobza sind die Klaviere nur ein erster Schritt, um neues Leben in den öffentlichen Raum zu bringen. Nachdem man mittlerweile auch in Brünn und Písek draußen in die Tasten hauen kann, plant er, die Klaviere in ganz Tschechien aufzustellen. Für Prag hat er außerdem noch einen Plan ausgeheckt. Im nächsten Jahr will Kobza auch Schachtische im Freien aufbauen. „Damit die Straßen nicht mehr nur der Hektik und dem Stress gehören, sondern vom Spiel erobert werden.“
Weitere Informationen unter www.piananaulici.cz
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