„Kultur ist kein Luxus“
Vor fünf Jahren gründete Leoš Válka das Zentrum für zeitgenössische Kunst DOX. Im PZ-Gespräch erzählt er, wie aus seinem Traum von einem Loft eine der wichtigsten Kunstadressen Tschechiens wurde
2. 10. 2013 - Interview: Martin Nejezchleba
Hinter dem Bürofenster von Leoš Válka huscht unentwegt der Tod vorbei. Der Künstler David Černý hat für die Galerie DOX einen riesigen roten Totenkopf angefertigt. Er rotiert auf dem Dach und wirft seinen Schatten auf die Fassade. Nach fünf Jahren ist das Zentrum für moderne Kunst, Architektur und Design zu einer der wichtigsten Adressen der tschechischen Kulturszene geworden. Im Gespräch mit PZ-Redakteur Martin Nejezchleba erklärt Direktor Leoš Válka, dass das DOX das Leben ein Stück komplizierter machen soll. Den Totenkopf sehe er jeden Tag gerne, er erinnere ihn an die wesentlichen Dinge des Lebens.
Herr Válka, in zwei Wochen eröffnet im DOX eine Ausstellung, die nach dem Titel der tschechischen Nationalhymne benannt ist: „Kde domov můj?“, zu Deutsch „Wo ist meine Heimat?“. Wo fühlen Sie sich zuhause?
Leoš Válka: Rein geographisch ist mein Zuhause in Prag. Mein gefühltes Zuhause ist New York, Manhattan. Mir gefällt dort das Gefühl des Verlorenseins. In den Straßen unter den Wolkenkratzern ist man wie eine Ameise. Vielleicht ist das der Grund, warum dort ständig etwas los ist: Die Menschen versuchen die Disproportionalität zwischen sich und der Umgebung zu kompensieren. Alle sind einen Hauch lauter, dynamischer, schneller – die Menschen dort haben aus einem gewissen Grund ein stärkeres Charisma. Prag ist so ein liebliches, gemütliches Dorf – auch wenn es manchmal ziemlich frustrierend sein kann.
Was frustriert Sie an Prag?
Válka: Es scheint so, als gehören wir nicht in die Geschichte, die hier an jeder Ecke zu sehen ist. Die Stadt hat jemand anderes gebaut, die Schicksale, die sich hier abgespielt haben, waren die anderer. Wir haben die Straßenbahnen und die Metro und ein paar neue Gebäude in die Stadt gebaut. Ich weiß, dass das im Gegensatz dazu steht, was geschrieben wird über die Jahrhunderte, die uns mit der Stadt verbinden. Aber mir kommt es so vor, als seien wir hier nur zu Besuch.
Sie haben 15 Jahre in Australien gelebt. 1996 sind Sie nach Prag zurückgekehrt. Woher kam der Entschluss, ein privates Zentrum für Gegenwartskunst aufzubauen?
Válka: Ich war auf der Suche nach einer romantischen Industrieanlage, um dort Lofts nach angelsächsischem Vorbild zu bauen. Gefunden habe ich das hier. Ein Objekt, das so schön ist und wie vorbestimmt für eine Galerie. Ich habe vom Fleck weg das Konzept geändert.
Sie kamen also nicht mit der Vision hierher, etwas für die Prager Kunstszene zu tun?
Válka: Ich wusste schon, dass der Kunstlandschaft so etwas wie das DOX fehlt. Es war aber keine langjährige Vision, die ich hatte. Aber wer sonst als ein Idealist wie ich sollte die Dinge in Bewegung bringen?
Hat das DOX nach fünf Jahren seinen Platz in der tschechischen Kunstlandschaft gefunden?
Válka: Ich denke, wir haben eine Rolle eingenommen, die man eigentlich von staatlichen Institutionen erwarten sollte. Wir nennen uns zwar Zentrum für Gegenwartskunst, wir sind eine Galerie, aber eigentlich sind wir eine Plattform, um die sich eine bestimmte Community dreht. Der Großteil unserer Ausstellungen hat einen gesellschaftlichen Auftrag; sie verkomplizieren auf irgendeine Art und Weise das Verhältnis zwischen Besuchern, Künstlern und der Gesellschaft.
Warum erfüllen die öffentlichen Einrichtungen diesen Auftrag nicht?
Válka: Es gibt natürlich finanzielle Probleme, das trifft aber auch auf uns zu. Das fängt in den oberen Etagen der Politik an. Das Kulturministerium erkennt den Wert moderner Kunst überhaupt nicht. Die Kulturszene gibt den Städten eine Identität, Touristen einen Grund wiederzukommen, auch wenn sie schon alle Sehenswürdigkeiten gesehen haben. Kultur ist kein Luxus, Kultur ist Mehrwert. Kulturtourismus bringt nicht nur finanzielle Vorteile, also dass die Leute essen, Taxis und Unterkünfte bezahlen. Nein, die Kultur der Stadt sagt auch etwas über den Stand der Gesellschaft aus, sie gibt dem Land einen guten Namen.
Sie haben einmal gesagt, das DOX sei ein Ort, an dem die Tyrannei der Experten hinterfragt wird. Was meinen Sie damit?
Válka: Heute gibt es Experten für alles und die Gesellschaft nimmt das gerne so an. Es gibt Experten für Ernährung, Lebensstil-Experten, Imageexperten, Experten für Sex, Beziehungsexperten… die Expertise dieser Leute wird dabei immer banaler. In der Kunst ist die Absurdität dieser Entwicklung am auffälligsten. Sobald das subjektive Erlebnis des Besuchers qualifiziert und interpretiert werden muss, ist irgendetwas nicht in Ordnung. Kunst sollte nicht für Experten gemacht werden. Künstler saugen aber in ihrer Ausbildung schon ein genaues Wissen darüber auf, was von ihnen erwartet wird. Es gibt authentisch gute Künstler, die wissen, wie das Spiel läuft und erfolgreich sind. Aber das sind nicht viele. Und dann gibt es Millionen von Künstlern auf der ganzen Welt, die ihren großen Traum träumen und warten, bis sie ihr Glück finden.
Und im DOX können Sie ihr Glück finden?
Válka: Natürlich wird immer eine Auswahl getroffen. Wir bemühen uns aber darum, Sachen auszustellen, die nicht eindimensional sind. Kunst, die nicht schon tausendmal erprobt wurde, bei der die Besucher von vornherein wissen, was sie sehen. Wir machen das Leben für uns und alle anderen ein wenig komplizierter.
Wo soll das DOX nach den nächsten fünf Jahren stehen?
Válka: Das DOX soll als ein Bestandteil der weltweiten Kunstszene wahrgenommen werden. Hier sollen weiter bedeutende Ausstellungen stattfinden und Leute aufeinandertreffen, die einen kritischen Blick auf ihre Anwesenheit, auf die Gesellschaft und auf die Kultur haben. Wir möchten, dass allen klar ist, dass wir keine Institution sind, die sich mit den Dingen zufrieden gibt, so wie sie sind.
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