Die Wärter der Lufthoheit
Tiere auf dem Rollfeld und Vögel in der Einflugschneise können Airbussen gefährlich werden. Auf dem Prager Flughafen jagt man sie mit Raubvögeln. Ein Vor-Ort-Einsatz mit dem Adler Bonni
9. 10. 2013 - Text: Nancy WaldmannText und Foto: Nancy Waldmann
Wer hätte gedacht, dass die zarten fliegenden Geschöpfe unserer Breitengrade, die riesigen lärmenden Maschinenflieger, mit denen sich die Menschen mühsam in die Luft schwingen, aufhalten können?
Sie können. In Fernsehberichten sieht man Flugzeuge mit Rissen am Rumpf, übersät mit schwarzen Flecken an der Nase, mit Löchern und Beulen, das Ende eines Wildentenschwarms; Maschinen, die nach der Landung plötzlich mit brennendem Triebwerk zurückkehren müssen, weil eine Möwe hineingeflogen ist. 25 Zusammenstöße zwischen Flugzeugen und Vögeln hat es im vergangenen Jahr am Prager Václav-Havel-Flughafen gegeben, meldete das Tschechische Fernsehen. Auch am Boden lebende Tiere können den Betrieb empfindlich stören, wenn sie beim Start oder der Landung einem Flieger vor die Räder laufen.
Das Gewicht muss stimmen
Um das Problem zu vermeiden, bedient man sich der Mechanismen der Natur. Man bringt die natürlichen Feinde gegen die Störenfriede auf dem Rollfeld in Stellung: Raubvögel. Die Lösung für das Flughafenmanagement ist die Falknerei. Auf dem Václav-Havel-Flughafen vergrämen zehn Falken, zwei Adler und einige Hunde die Vögel. Vier Falkner sind ihre Herren. Rund um die Uhr ist mindestens einer im Einsatz.
Die Frühschicht hat heute Jan Marek, ein gestandener Falkner mit Vollbart, Bäuchlein, schätzungsweise Anfang 50, und Bonni, ein brauner schlanker Steinadler mit scharfen Krallen und gebogenem Schnabel. Seit 15 Jahren arbeiten die beiden zusammen. „Das ist mein Partner“, sagt Marek. Er ist vielleicht noch etwas mehr. Bonni wohnt auch nach der Arbeit bei Marek zuhause. Jetzt sitzt er angebunden auf der höchsten Stange des Falknerei-Geländes im Schatten eines Baumes und betrachtet ausgeruht und mit strengem Blick die übrige Belegschaft: die Sperber, Habichte und Kornweihen.
Marek lässt ihn auf seinen Lederhandschuh steigen und setzt ihn auf die Waage. So beginnt jeder Einsatz, denn Bonnis Gewicht gibt Auskunft über seinen Hunger und damit über seine Jagdfähigkeit. 3,15 Kilogramm – genau richtig. Die Spanne, bei der Bonni in der richtigen Laune ist, ist nicht groß. „Bei 3,2 Kilogramm ruht er sich aus. Bei 3,1 geht er schon auf die Hunde los“, sagt Marek. Hunde und Falken sollen aber zusammenarbeiten und sie tun das normalerweise gut. Die Hunde laufen die weite Wiese ab, machen die Beute aus und scheuchen die Tiere auf. Die Hunde sind in der Regel zu langsam, um die Hasen – geschweige denn die Vögel – zu erlegen, und sie wissen das und überlassen dem Raubvogel den Rest.
Ausnahmsweise kommt heute kein Hund mit, sondern Mareks Kollege mit Sperberin Adelka. In einer Box im Kofferraum des gelben Falkner-Autos wartet sie auf ihren Einsatz, sonst würde sie Bonni vielleicht angreifen. Der darf vorne mitfahren, auf Mareks linkem Arm, den er aus dem heruntergelassenen Fenster hält, die rechte Hand hat er am Steuer. Vorher hat er Bonnis Augen mit einer ledernen Schutzkappe bedeckt, damit den Jäger unterwegs nichts aufscheucht, bevor er die Beute erlegen soll. Marek hat außerdem eine Maschine dabei, mit der er Bonni notfalls per Sender orten kann sowie ein Gewehr, falls der Greifvogel einmal nicht das Tier vergrämen oder erlegen kann, zum Beispiel, weil er gerade satt ist.
Die Falknerei liegt direkt im Sicherheitsbereich des Flughafens. So ist das Falkner-Auto nach zwei Minuten auf dem Flugfeld. „Startbahn-Zubringer, Abschnitt 006, können wir auf die Runway?“, gibt Marek per Funk an den Fluglotsen im Tower durch. „Abschnitt 006. Runway o. k.“, antwortet der Lotse. Die Falkner geben dem Tower ständig ihre Routen durch, fahren nirgendwo hin ohne Genehmigung des Fluglotsen. Marek passiert die Gateways in einigen hundert Metern Abstand. Rauschen, gerade rollt eine „Easyjet“-Maschine ein, andere warten. Dann biegt er ab, in Richtung Zaun. Mindestens zehn Minuten fährt er an der Absperrung entlang. Die Sonne scheint, das stoppelige Gras des Flugfeldes schimmert grün, der Luftraum ist leer, keine Vögel und keine Flugzeuge im Anflug.
Warum auch sollten sich in der flimmernden Atmosphäre eines Rollfeldes, im Kerosin-Gestank und unter dem raketenhaften Turbinenrauschen auf der Startbahn überhaupt noch Wesen aus freier Wildbahn aufhalten? Ein lebensfeindlicher Ort, sollte man meinen.
Ein Paradies, entgegnet Marek. 6.000 Hektar Fläche, nirgendwo haben Tiere eine solche Übersicht. Keine Feinde drohten aus dem Hinterhalt und die große Wiese bietet viel zu essen. Bei Regen liegen die Regenwürmer und Schnecken auf der Runway. Für Hasen, Spatzen, Tauben und andere Singvögel. Dann ist es besonders gefährlich für den Flugverkehr. Lärm und Gestank störten sie wenig, denn das stelle keine unmittelbare Gefahr dar, so Marek.
Um elf Uhr vormittags ist es hier ruhig, fast gemütlich. Einen Flughafen mit einer Kapazität von 46 Starts und Landungen pro Stunde stellt man sich lauter und unwirtlicher vor. Entfernt sonnt sich ein Feldhase, Marek und sein Kollege machen ihn aus.
Einziger Feind: der Zaun
Ohne Eile nähert sich das Falkner-Auto dem Hasen auf vielleicht fünfzig Meter. Marek zieht Bonni die Kappe ab, der Hase riecht Lunte und rennt Richtung Zaun. Bonni stürzt vom Auto aus. Dem Falkner gefällt das gar nicht. Ein Adler hat nur einen Feind: den Zaun. Beim Anflug auf die Beute sieht er ihn nicht und kann sich darin verfangen. Durchschnittlich einen Raubvogel im Jahr verlieren Marek und seine Kollegen durch solch ein Unglück.
Jetzt hilft der Zaun Bonni. Dort erlegt er den Hasen, der in eine tödliche Sackgasse flüchtete. Auf die kurze Distanz von einigen Dutzend Metern war er viel schneller als der König der Greifvögel. Als sich Marek ihm zu Fuß nähert, steht er mit ausgestreckten Flügeln da, die Krallen in den blutenden Hals des niedergestreckten Tieres gebohrt. Der Hase röchelt schwer, Bonni besingt seine Trophäe. Als der Hase tot ist, nähert sich der Falkner mit einer Dose, in der die Belohnung wartet: tote neugeborene Hühnerküken.
Bonni, der in der freien Natur von niemandem etwas zu befürchten hat, könnte in diesem Moment auch abhauen mit seiner Beute. Einmal ist genau das passiert. Jan Marek jagte mit einem Falken, nicht mit einem Adler, in der Nähe des Abfertigungsgebäudes. Der nahm die Beute mit aufs Dach und kam nicht mehr wieder. Ein herber Verlust. Mindestens 100.000 Kronen kostet ein Tier.
Bonni ist treu. Er hüpft auf Mareks ledernen Arm, verschlingt die Küken und gibt den Hasen frei. Schließlich bekommt er noch ein drahtiges Hasenbein, als Dessert quasi. Mit dem Schnabel holt er die weißen Sprunggelenkbänder aus dem Bein und streift sie sorgsam nach Fleisch ab. „Es ist wichtig, ihm auch etwas von der Beute zu lassen“, sagt Marek. Um den Appetit zu erhalten. Und, weil mehr Vitamine drin sind als in den gefrorenen Küken. Würde er den ganzen Hasen verschlingen, dann säße Bonni erst mal drei Tage lang satt und faul auf einem Baum, so wie ein wilder Adler. Aber Bonni ist ein dressierter Sportler, das Essen ist rationiert, damit er in Form bleibt. Es war die dritte Beute an diesem Tag. Warum ein so unabhängiges Wesen wie er, sich die Freiheit nehmen lässt und lieber bei seinem Trainer Jan Marek in Gefangenschaft bleibt, erscheint irgendwie doch rätselhaft. Vermutlich haben auch Adler ein Bedürfnis nach Sicherheit.
Im Bordcomputer des Falkner-Autos wird Tatort und Ergebnis der Jagd vermerkt. Bonni hat sein Pensum erfüllt und tauscht den Platz im Kofferraum mit der kleinen und wendigen Sperberin, die gleich zwei Gruppen Singvögel vertreiben wird, bevor die Maschine nach Kiew zur Startbahn rollt. Bis zu 400 Stundenkilometer schnell fliegt sie. Das menschliche Auge kann ihr nur schwer folgen. Der Falkner verortet im Bordcomputer: Fünf Spatzen, abgeflogen Richtung Nordost.
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