Pilsner Höhenflüge
Viktoria Pilsen spielt zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte in der UEFA Champions League. Nun stehen die Höhepunkte der Saison an: die Duelle gegen Bayern München
16. 10. 2013 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: Viktoria Pilsen
Es ist schon beeindruckend, was dieser 49-Jährige aus der mährischen Kleinstadt Přerov im westböhmischen Pilsen bewirkte. Bevor Pavel Vrba im Jahr 2008 als Trainer des Fußballvereins FC Viktoria seinen ersten Chefposten in der Gambrinus-Liga antrat, galt der Klub als graue Maus der höchsten tschechischen Spielklasse. Aufgestiegen war er erst drei Jahre zuvor. Zwischen 1999 und 2005 dümpelte man die meiste Zeit in der zweiten Liga herum, unterbrochen von zwei Aufstiegen, denen jeweils der direkte Wiederabstieg folgte – ein „Fahrstuhlverein“ eben. Fußball war eher ein Randthema in der Bierstadt.
Heute sieht das ganz anders aus. Die Gegner in diesen Wochen kommen nicht mehr aus Frýdek-Místek, Jihlava oder Zlín, sondern aus Moskau, Manchester und München. Viktoria spielt fünf Jahre nach Vrbas Amtsantritt bereits zum zweiten Mal in der Champions League. Höher hinauf geht es nicht im Vereinsfußball. Und das hat sehr viel, entscheidend sogar mit der Person des Trainers zu tun.
In der Saison 2007/08 scheiterte der slowakische Meister MŠK Žilina unter dem damals unbekannten Übungsleiter Pavel Vrba in der zweiten Qualifikationsrunde der Champions League an Slavia Prag. Es war ein Duell auf Augenhöhe. Die starke Leistung der Slowaken hinterließ Spuren in der Szene. Ein Jahr später unterschrieb Vrba einen Vertrag bei Viktoria Pilsen. Es sollte für beide Seiten eine äußerst erfolgreiche Zusammenarbeit werden.
2011 wurde der Klub zum ersten Mal Meister. Die Stadt stand kopf. Innerhalb dreier Spielzeiten formte Vrba aus einer mittelmäßigen Equipe ein Topteam. Ein wichtiger Baustein und Begleiter der ersten Stunde war der heute 38-jährige Routinier und Mittelfeldspieler Pavel Horváth, der im gleichen Jahr zu den Westböhmen gekommen war. Um ihn herum formte das Trainergespann ein junges hungriges Team, das bald zahlreiche neue Nationalspieler wie Petr Jiráček, Václav Pilař oder František Rajtoral hervorbringen sollte.
Vergangenen Sommer beendete der Verein zum zweiten Mal die Saison auf Platz eins. Das Ziel danach war wie schon zwei Jahre davor schnell anvisiert: Man wollte in die Champions League. Dorthin, wo die ganz großen Gegner und auch Millionen von Euro warten. In der Qualifikation schaltete man nacheinander den bosnischen, estnischen und slowenischen Meister aus.
Zwischen den beiden Titeln 2011 und 2013 baute Viktoria nicht nur am Team weiter, sondern auch an der Infrastruktur. Seit vergangenem Jahr steht die renovierte „Doosan-Arena“ auch für internationale Begegnungen zur Verfügung. Beim ersten Champions-League-Auftritt mussten die Pilsener für ihre Heimspiele noch in das Prager Eden-Stadion ausweichen.
Viel verdientes Geld floss in das neue Heim oder auch in die Fußball-Akademie des Klubs. Man investiert nachhaltig. Ziemlich bestimmt verweist darauf auch Pilsens Sportdirektor und einstiger Bundesliga-Legionär Pavel Kuka. „Wir müssen etwas tun, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir wollen auch wieder Meister werden“, bestätigt er gegenüber dieser Zeitung die langfristigen Ziele seines Arbeitgebers.
Es sind klare Vorgaben eines Klubs, der den Schattenseiten des Geldsegens aus dem europäischen Wettbewerb (in der vergangenen Saison spielte man auch erfolgreich in der Europa League) nicht verfallen ist. Manch verhältnismäßig kleiner Klub wie der FC Thun aus der Schweiz oder Molde FK aus Norwegen, die sich plötzlich in der Meisterklasse wiederfanden, kamen mit dem Neureichen-Status nicht zurecht und verschwanden später wieder in der Versenkung – international wie national. Pilsen war schlauer. Pilsen hat auch immer noch Pavel Vrba.
Dieser wirkte nach der Gruppenauslosung im August wie ein kleines Kind im Süßigkeitenladen. Allerdings gab er sich auch in den Stunden des Erfolges etwas distanziert und kühl in der Analyse. „Das ist die absolute Elite. Wir freuen uns, gegen solche Teams spielen zu dürfen“, war Vrbas lapidarer Kommentar. Euphorischer zeigte sich da schon sein Schützling Jan Kovařík: „Ich freue mich riesig, mich mit den Topspielern von Manchester City und Bayern München zu messen.“ Es seien insgesamt sechs Partien ausstehend und 18 Punkte zu vergeben. „Würden wir davon die Hälfte gewinnen, wäre das schon toll.“ Derart optimistisch gab sich der 25-jährige Offensivspieler im Rausch der eben geschafften Qualifikation.
Spätestens nach den ersten beiden Spielen sollte diese forsche Hoffnung verflogen sein. Die Luft ist dünn in den Höhen der Champions League. Pilsen verlor sowohl gegen Manchester City als auch den ZSKA Moskau und befindet sich mit null Punkten am Tabellenende. Und nun wartet auch noch Titelverteidiger Bayern München als nächster Gegner. Zunächst muss Viktoria am 23. Oktober in der Allianz-Arena antreten. Zwei Wochen später folgt das Rückspiel in Böhmen.
Zwar geben sich die Münchner alle Mühe, vor diesen Partien nicht überheblich zu wirken. So gab Deutschlands Nationaltorwart Manuel Neuer artig zu Protokoll, dass „die Gruppe leichter scheint, als sie in Wahrheit ist. Pilsen ist ein gefährliches Team.“ Aber: Alles andere als zwei hohe Niederlagen Pilsens wären bereits als Erfolg zu vermelden. Trotzdem gibt man den Kampf um Rang drei und den damit verbundenen Aufstieg in die K.o.-Phase der Europa League nicht so schnell auf. „Wir werden bis zuletzt um den dritten Platz kämpfen“, sagt Sportdirektor Kuka. Und wer weiß, vielleicht überrascht Taktikfuchs Vrba den übermächtigen Gegner. Zuzutrauen wäre es dem Trainer. Und Viktoria wäre bestimmt nicht nur in Pilsen in aller Munde.
Tschechische Vereine in der Champions League
Die UEFA Champions League existiert seit der Saison 1992/93. Davor nannte man den Wettbewerb, in dem bis Mitte der neunziger Jahre ausschließlich die Meister der verschiedenen kontinentalen Ligen vertreten waren, Europapokal der Landesmeister. Bei der ersten Austragung der Champions League nahmen lediglich acht Mannschaften teil. Inzwischen spielen 32 Teams im prestigeträchtigsten Klubwettbewerb des Fußball-Geschäfts. Für Vereine aus kleineren Ländern wurde es mit dem Wandel des Wettbewerbs immer schwieriger, die Champions League zu erreichen, ehe der 2007 neu gewählte UEFA-Präsident Michel Platini den Qualifikationsmodus ab der Saison 2009/10 ändern ließ.
Bislang gelang es tschechischen Klubs insgesamt zehn Mal, an der Champions League teilzunehmen. Der erste war Sparta Prag in der Saison 1997/98 . Der tschechische Rekordmeister entwickelte sich in den Folgejahren zum Stammgast und stand sieben Mal in der Gruppenphase. In den Spielzeiten 1999/2000 sowie 2001/02 erreichte man sensationell die inzwischen wieder abgeschaffte Zwischenrunde, die heute einer Achtelfinal-Qualifikation gleichkommt. Genau diesen Sprung unter die besten 16 schaffte Sparta dann 2003/04, wo man in der ersten Runde der K.o.-Phase nach Hin- und Rückspiel mit 1:4 am AC Mailand scheiterte. In der Spielzeit 2007/08 nahm mit Slavia Prag erstmals ein anderer tschechischer Verein an der Champions League teil. 2011/12 folgte Viktoria Pilsen. Vor zwei Monaten konnten die Westböhmen diesen Erfolg wiederholen, nachdem man in den Play-offs den NK Maribor ausschaltete. Champions-League-Höhepunkte aus tschechischer Sicht waren unter anderem:
1999/2000: Sparta wird Erster in der Gruppe mit Bordeaux, Spartak Moskau und Willem II Tilburg. In der Zwischenrunde scheidet man als Drittplatzierter aus.
2001/2002: Sparta wird hinter Bayern München Zweiter in seiner Gruppe. Heimsiege gegen Feyenoord Rotterdam und Spartak Moskau. In der Zwischenrunde scheidet man als Drittplatzierter aus.
2001/2002: Sparta wird Gruppenzweiter hinter Chelsea und vor Besiktas Istanbul und Lazio Rom. (Achtelfinale gegen AC Mailand)
2007/2008: Slavia Prag holt gegen den favorisierten FC Arsenal London zuhause ein 0:0. Als Gruppendritter qualifiziert man sich immerhin für die K.o.-Phase der Europa League.
2011/2012: Viktoria Pilsen tut es Slavia Prag gleich und holt gegen einen Spitzenklub zuhause ein überraschendes Unentschieden (2:2 gegen AC Mailand). Als Gruppendritter startet der Verein im Frühling in der Europa League.
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