Kokoschka der Grafiker
Die Nationalgalerie zeigt überwiegend unbekannte Lithographien des österreichischen Expressionisten
23. 10. 2013 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: NG
Für die Nationalsozialisten war Oskar Kokoschka der Entartetste unter den Entarteten, seine Kunst absurd und entfremdet. Deshalb flüchtete der in Wien lebende Niederösterreicher bereits 1934 vor den Braunhemden nach Prag. Denn auch in seiner demokratischen Heimat schlugen ihm zahlreiche Feindseligkeiten von rechts entgegen. In der Tschechoslowakei lebte es sich befreiter. Und in der Goldenen Stadt lernte Kokoschka seine spätere Frau Olda Palkovská kennen. Diesem Umstand verdankt die Nationalgalerie Prag eine umfangreiche Sammlung von Lithographien. Rund drei Dutzend solcher Drucke aus dem Nachlass Palkovskás sind nun im Kinsky-Palais am Altstädter Ring zu bestaunen. Viele davon dürften dem breiten Publikum unbekannt sein.
Oskar Kokoschkas Œuvre beinhaltet zahlreiche Buch-Illustrationen und Grafik-Zyklen. Sein ganzes Leben über widmete er sich immer wieder der malerischen Inszenierung lyrischer und epischer Texte, deren Urheber er teilweise selbst war. Manchmal stehen die meist mit schwarzen Kohlestiften produzierten Werke aber auch nur für sich, abgegrenzt vom Geschriebenen. In „Die chinesische Mauer“ von Karl Kraus aus dem Jahr 1913 erzählt Kokoschka mit seinen Bildern eine ganz eigene Geschichte um Liebe und Tod. Auf „Frau mit Kind und Tod“ zaubert er mithilfe seiner typisch minimalistischen und doch höchst pointierten Art einen merkwürdigen Schuss Anmut auf das Gesicht der Mutter, die umgeben von bedrückend morbiden Landschaften und apokalyptischen Vorgängen der Verzweiflung nahe sein müsste.
Geradezu heiter und verspielt erscheinen dagegen Porträts wie „Gitta“ oder „Die Katze“ aus den fünfziger Jahren. Und fast schon meditativ wirken Kokoschkas Bilder aus dem Griechenland-Zyklus von 1961. In „Manhattan“ begegnen wir seiner Interpretation von scheinbar endlosen Straßenschluchten, in deren perspektivischem Fluchtpunkt wir das hektische Treiben der Großstadt nur mehr erahnen können.
Von der Mehrheit der Exponate hebt sich Kokoschkas „Comenius-Zyklus“ ab. Hier treffen wir wieder auf das, wofür wir den vielleicht kompromisslosesten Expressionisten der Wiener Moderne kennen: schrille Buntheit, bizarre Verzerrung, simple Subtilität, unzweideutige und brutale Eleganz. Obwohl gerade Letzteres in der grafischen Erzählung über die Lebensgeschichte des mährischen Renaissance-Gelehrten wegfällt, ist es ein eher ungewohnt kühler Blick, den Kokoschka entwirft. Von dem umfangreichen Gesamtwerk „Comenius“, das auch (und vor allem) ein Drama enthält, sind sieben Farb-Lithographien ausgestellt.
Die Schau im Kinsky-Palais gewährt einen intimen und repräsentativen Einblick in Kokoschkas grafisches Schaffen. Auch wenn man sich wünschen würde, mehr von den insgesamt 160 Drucken, die sich im Besitz der Nationalgalerie befinden, zu Gesicht zu bekommen. Aber so hat man wenigstens Zeit, sich eingehend mit dem zu beschäftigen, was man vor sich hat: einen kleinen lithographischen Schatz aus dem Werk von Hitlers Kunstfeind Nummer eins.
Oskar Kokoschka – Grafiken. Kinsky-Palais (Staroměstské náměstí 12, Prag 1), geöffnet: täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 50 CZK (ermäßigt 30 CZK), bis 5. Januar 2014
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