Die Qual nach der Wahl

Die Qual nach der Wahl

Neustart vertagt: Wahlsieger ČSSD verliert sich im Machtkampf, Milliardär Babiš hat das Sagen

30. 10. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Michal Kamaryt/ČTK

Der Schweiß auf seiner Stirn war kaum zu bändigen. Das Scheinwerferlicht hätte Bohuslav Sobotka, der Vorsitzende der Sozialdemokraten, am liebsten gemieden. Es half alles nichts. Nachdem am frühen Samstagabend das Ergebnis der vorgezogenen Parlamentswahlen feststand und damit der – wie er später sagen sollte – „bittere Sieg“ der ČSSD besiegelt war, musste er vor die Kameras.

Sobotka lässt sich die glänzende Stirn tupfen. Er gibt sich standhaft. Ja, das Ergebnis entspreche nicht den Erwartungen. „Gleichzeitig ist es das beste Ergebnis aller politischen Parteien.“ 20,45 Prozent der Wähler gaben den Sozialdemokraten ihre Stimme. Man wolle umgehend mit den Koalitionsverhandlungen beginnen.

An einem führt dabei kein Weg vorbei. Der Milliardär und Medienmogul Andrej Babiš schaffte es mit seiner „Aktion unzufriedener Bürger“ (ANO) aus dem Stand, die zweitstärkste Kraft im Abgeordnetenhaus zu werden. 18,65 Prozent wählten ihn, den zweitreichsten Mann Tschechiens, den Besitzer eines Lebensmittelimperiums und eines der einflussreichsten Medienhäuser des Landes. Zum Erfolg führte ihn der Slogan „Wir sind keine Politiker, wir arbeiten“. Nun entscheidet Babiš über die politische Zukunft Tschechiens.

Ganze sieben Parteien und politische Bewegungen haben den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. Darunter sind zwei, mit denen niemand koalieren möchte: die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens KSČM – mit knapp 15 Prozent drittstärkste Kraft im Parlament – und die rechtspopulistische „Morgendämmerung der direkten Demokratie“ (Úsvit přímé demokracie), eine weitere Protestbewegung, die es mit dem Versprechen der direkten Bürgerbeteiligung und Slogans wie „Schluss mit dem Saustall und der Korruption“ auf Anhieb auf fast 7 Prozent brachte.

„Das geht nicht lange gut“

Die bisherigen Regierungsparteien wurden abgestraft. Die TOP 09, deren Parteichef Karel Schwarzenberg sich im Vorfeld zum Kämpfer gegen die Machtgelüste von Präsident Zeman stilisierte, musste ein Minus von fast fünf Prozentpunkten im Vergleich zu 2010 hinnehmen. Vernichtend traf der Zorn der Wähler die Bürgerdemokraten (ODS). Die Traditionspartei erreichte nur 7,7 Prozent – in den letzten Wahlen waren es noch über 20.

Die Christdemokraten (KDU-ČSL) feiern nach drei Jahren ihre Rückkehr ins Parlament. Auch sie werden ein entscheidendes Wort bei der Regierungsbildung mitreden. Als möglich gilt eine konservative Vier-Parteien-Koalition aus ANO, TOP 09, ODS und Christdemokraten. Allerdings hat ANO-Chef Babiš die Beteiligung an einer Regierung mit Parteien aus dem gestürzten Kabinett Nečas ausgeschlossen.

Wie schnell der Polit-Neuling seine Meinung ändern kann, stellte er bereits am Wahltag unter Beweis: Zunächst schloss er eine Regierungsbeteiligung kategorisch aus. Wenige Stunden später korrigierte er seinen Kurs in einer Fernsehdebatte: „Ich bin ein konstruktiver Mensch“, sagte Babiš. Eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten stünde zur Diskussion.

Am heißesten wird bislang eine Koalition der Christ- und Sozialdemokraten gehandelt – toleriert von ANO. Das könne nicht lange gut gehen, sagt der Politologe Jiří Pehe im Gespräch mit der „Prager Zeitung“: „ANO wird die Regierung vielleicht bei der Vertrauensabstimmung unterstützen, dann werden sie aber tun, was ihnen gerade passt“. Die Protestbewegung hält er für völlig unberechenbar. Die Newcomer im Parlament fühlen sich keiner Ideologie verbunden – nur dem schnellen politischen Erfolg und dem Versprechen Babišs, den tschechischen Staat wie seine Firma zu führen.

Es gibt noch weitere Unsicherheitsfaktoren in dieser „Großen Koalition“. Bereits am Sonntag wurde klar, dass es nicht nur der unerwartet knappe Wahlsieg war, der Bohuslav Sobotka den Schweiß ins Angesicht trieb – nach sieben Jahren in der Opposition und dem skandalösen Ableben beider vorangegangenen Mitte-Rechts-Koalitionen ging man in der ČSSD von einem Ergebnis jenseits der 30 Prozent aus. Die Parteikollegen heiztenihrem Vorsitzenden kräftig ein. Noch am Samstag kam es laut mehreren voneinander unabhängigen Medienberichten zu einem geheimen Treffen zwischen dem Präsidenten und dem zweiten Mann in der ČSSD Michal Hašek. Wenige Stunden später geschah das, was Sobotka heute als Putsch bezeichnet. Der 33-köpfige Vorstand der Sozialdemokraten schloss seinen Spitzenkandidaten aus dem Team aus, das die Koalitionsverhandlungen führen sollte. 20 Vorstandsmitglieder riefen Sobotka zum Rücktritt auf.

Bereits vor den Wahlen hatte Präsident Miloš Zeman immer wieder angedeutet, er würde nicht zwangsläufig den Vorsitzenden der Siegerpartei mit der Regierungsbildung beauftragen. Nachdem seine SPOZ in den Wahlen kläglich gescheitert und eine linke Regierung mit Unterstützung der Kommunisten nicht mehrheitsfähig ist, scheint Zeman nun seine engsten Verbündeten dazu angehalten zu haben, das Parteiruder der ČSSD an sich zu reißen.

Sobotka allerdings möchte sich nicht so einfach geschlagen geben. Seinen Rücktritt schloss er aus und kündigte an, notfalls auf eigene Faust Koalitionsverhandlungen zu führen. Am Montag, während auf der Prager Burg das festliche Zeremoniell zum Staatsfeiertag begangen wurde, versammelten sich auf dem Burgplatz Demonstranten mit Plakaten wie „Wir haben Sobotka gewählt, nicht Hašek“. Sobotka trat in der Abenddämmerung vor die knapp tausend Demonstranten, bedankte sich für die unerwartete Unterstützung.

Seit Dienstag ist das Chaos beim Wahlsieger perfekt. Auf der Fraktionssitzung verließen die Vize-Vorsitzenden Milan Chovanec und Lubomír Zaorálek das Verhandlungsteam – das löste sich daraufhin gänzlich auf.

Sowohl KDU-ČSL als auch Andrej Babiš gaben indes bekannt, sie seien erst zu Verhandlungen bereit, wenn sich die Situation bei den Sozialdemokraten geklärt habe. Zeman sagte am Sonntag im Tschechischen Fernsehen, er rechne damit, dass die Regierungsbildung zwei bis drei Monate dauern könnte. Der Präsident erinnerte daran, dass in Belgien zwei Jahre vergingen, ehe eine Regierung zustande kam. „Übrigens war das die glücklichste Zeit für die belgische Wirtschaft“, fügte der Präsident in der Live-Schaltung aus seiner Sommerresidenz auf Schloss Lány hinzu. Er äußerte zudem den Wunsch, dass die Partei SPOZ seinen Namen aus der Parteibezeichnung streiche. „Zemans Leute“ schafften es lediglich auf 1,5 Prozentpunkte – obwohl ganze fünf Minister und der Leiter der Präsidentenkanzlei auf den SPOZ-Wahllisten standen. Die von Zeman ernannte Übergangsregierung bleibt bis zur Vereidigung eines neuen Kabinetts im Amt.