Im Dickicht der Prager Bürokratie
EU-Bürger, die in Tschechien leben wollen, können eine Aufenthaltsbescheinigung beantragen. Wer das Dokument erhalten will, braucht Hartnäckigkeit und einen langen Atem. Ein Erfahrungsbericht
31. 10. 2013 - Text: Maria SilenyText: Maria Sileny; Foto: APZ
Die Beamtin am Telefon klingt freundlich und kompetent. Endlich bin ich am richtigen Ort gelandet, nach mehreren Versuchen. Ich will erfahren, was zu tun ist, wenn ich mich als deutsche Staatsangehörige zum längeren Aufenthalt in Prag anmelden will. Mein Vorteil: Ich spreche Tschechisch. Sorgfältig notiere ich, was die Stimme am Telefon sagt: Zuständig ist die Abteilung für Asyl- und Migrationspolitik des Innenministeriums. Ich erfahre die Adresse, die Öffnungszeiten, die Farbe des Antragsformulars für EU-Bürger (lila). „Bitte mit Großbuchstaben ausfüllen“, sagt die Stimme. Sie sagt auch, was ich vorlegen soll: einen Beleg über meine Unterkunft, die Krankenversicherung, zwei Fotos, ein Reisedokument und die Heiratsurkunde – weil ich aus Familiengründen in Prag leben will.
Am nächsten Tag sitze ich im Warteraum der genannten Behörde, habe alles dabei. Den Antrag fülle ich aus, mit Großbuchstaben. Zeit dafür habe ich wohl genug. Am Automaten habe ich die Wartenummer 718 gezogen, zwölf Fälle sind noch vor mir. Alles im zu erwartenden Rahmen, denke ich und hole mir eine Zeitung. Ich warte, warte, warte. Die Zeitung ist längst durchgelesen. Ich warte. Gehe Kaffeetrinken, warte. Ist die Nummernanzeige kaputt? Etwa alle 40 Minuten erklingt ein Ton und die nächsthöhere Nummer erscheint. Die leeren Gesichter der Wartenden blicken hoch, um sich dann wieder zu senken. Ein Glücklicher steht auf. Nach mehr als sechs Stunden bin ich die Glückliche. Ich eile zum Schalter, sehe mich schon mit der Aufenthaltsbescheinigung den Raum verlassen.
Die Beamtin blättert durch die vorgelegten Unterlagen und sagt dann: „Haben Sie sich schon bei der Fremdenpolizei gemeldet?“ Oh, das hat die kompetente Stimme am Telefon nicht erwähnt. „Ohne die Registrierung bei der Fremdenpolizei können wir nichts tun“, schiebt die Beamtin nach und reicht mir zwei neue Formulare. Bevor ich das nächste Mal komme, solle ich mich telefonisch anmelden, so ließe sich das Warten vermeiden. Aha. Ich verlasse den Raum mit diesem freundlichen Hinweis.
Jetzt ziehe ich die Sache durch, denke ich mir, und fahre sofort zur Fremdenpolizei. Es ist Mittwoch, ein Tag mit langen Öffnungszeiten bei den Prager Behörden, wie mein Ehemann, ein Tscheche, zu berichten weiß. Es müsste also noch zu schaffen sein. An der Eingangstür werde ich jedoch abgewiesen: „Aus technischen Gründen schließen wir heute früher“, heißt es. Ich solle morgen wiederkommen. Ich gebe mich nicht geschlagen. Damit alles zügig geht, zücke ich das Handy, um mich beim Innenministerium anzumelden, für morgen am besten, gleich nach der Registrierung bei der Fremdenpolizei.
Beschwingt und ohne Termin
„In diesem Monat gibt es keine Termine mehr“, sagt eine Beamtenstimme. Okay, denke ich, dann eben ohne Termin. Denn ich will die Sache so schnell wie möglich durchziehen.
Am nächsten Tag sitze ich um acht Uhr im Warteraum der Fremdenpolizei. Die Wartenummer in der Manteltasche, sehe ich auf die elektronische Anzeige, die unglaublich flott, etwa im Viertelstundentakt, läuft. Und so bin ich nach lediglich zwei Stunden im Besitz eines Registrierungsscheins mit einem roten Stempel der tschechischen Polizei. Beschwingt begebe ich mich zum Innenministerium und ziehe eine Nummer – nur sieben Fälle vor mir, das ist zu schaffen, denke ich. Und gehe Mittagessen. Eine Stunde Zeit kann ich mir mindestens lassen, das weiß ich von gestern. Vielleicht geht es heute schneller?
Nach anderthalb Stunden spaziere ich in den Warteraum. Sicher bin ich bald an der Reihe. Doch: Es hat sich nichts bewegt. Nichts! Nach weiteren, quälend langweiligen 180 Minuten fasse ich mir ein Herz und trete an den Schalter, um mich zu informieren, ob ich mit der gezogenen Nummer in den nächsten zwei Stunden drankomme. Denn dann muss ich weg. Der Beamte scheint sich zu wundern über meine verwegenen Geschwindigkeitsphantasien. „In zwei Stunden? Das können Sie vergessen.“ Ich werfe die Wartenummer weg und gehe. Reserviere telefonisch, um das Warten zu vermeiden, und bekomme einen Termin in drei Wochen. Drei Wochen sind schnell um, tröste ich mich.
Wo und wer ist Schalter 56?
21 Tage später erwarten mich erneut der karge Warteraum im Innenministerium, Antragsteller mit leeren Gesichtern und eine unbewegte Nummernanzeige. Doch diesmal werde ich zehn Minuten nach meiner Ankunft aufgerufen, lege mein Paket mit Unterlagen auf den Schalter und erkläre in fließendem akzentfreien Tschechisch, dass ich die Aufenthaltsbescheinigung wünsche. Der Beamte blickt mich an, sieht in die Unterlagen und sagt: „Sie sind in Prag geboren.“ Das ist richtig. In den siebziger Jahren bin ich gemeinsam mit meinen Eltern nach Deutschland ausgereist. Damit hat die Familie damals die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit eingebüßt.
Seit 35 Jahren bin ich deutsche Staatsbürgerin. „Aber wo ist der Beweis, dass Sie keine Tschechin sind?“, fragt der Beamte. Er holt seine Vorgesetzte. Eine Beratung über meinen speziellen Fall findet statt. Das Ergebnis: Da ich in Prag 6 wohne, soll ich mir beim dortigen Standesamt eine Bestätigung über den Verlust der tschechischen Staatsbürgerschaft ausstellen lassen.
Ich fasse es nicht. Fahre aber hin. Was soll ich denn sonst tun? Dort angelangt ziehe ich wieder mal eine Wartenummer, auf dem Display geschieht nichts. Unruhig laufe ich durch die Gänge des Amtes, bin auf der Suche nach Schalter 56, der auf dem gezogenen Zettel steht. Ich finde viele Schalter, nur diesen nicht. Eine Beamtin, die mir über den Weg läuft, kennt den Schalter auch nicht und holt eine Kollegin zu Hilfe. Schalter 56, sagt diese, ja, das bin ich! Kommen Sie herein. Ich schildere ihr mein Anliegen. Sie könne nichts für mich tun, sagt sie schließlich. Denn damals, in den siebziger Jahren, habe ich in Prag 2 gewohnt, das dortige Standesamt sei zuständig. Ich fahre hin. Was soll ich sonst tun?
Ich suche das richtige Stockwerk der Behörde, ziehe eine Nummer, warte. Nach einer Dreiviertelstunde sitze ich einer Beamtin gegenüber, die einen Eintrag über mich in ihrem Computer findet. Ja, sie könne mir eine Bestätigung ausstellen, dass ich in den siebziger Jahren die tschechische Staatsbürgerschaft eingebüßt habe. Das dauere zwei Stunden. Ich setze mich in ein Restaurant, trinke Kaffee, lese Zeitung. Nach der versprochenen Zeitspanne halte ich das erkämpfte Papier in der Hand. Das Ergebnis von sechs Behördengängen. Doch, was wollte ich eigentlich? Ach ja, eine Aufenthaltsbescheinigung für EU-Bürger.
Ich wähle die Anmeldenummer des Innenministeriums. „Nein, in diesem Monat gibt es keine Termine mehr“, heißt es. Der nächste wäre in drei Wochen.
Erste Schritte in Tschechien: Ein Leitfaden für EU-Bürger
Meldepflicht bei der Polizei
EU-Bürger, die sich länger als 30 Tage in der Tschechischen Republik aufhalten wollen, sind verpflichtet, sich binnen 30 Tagen bei der Fremdenpolizei am Wohnort zu registrieren. Das Nichtbefolgen der Meldepflicht kann eine Geldstrafe von bis zu 3.000 Kronen nach sich ziehen.
Das zuständige Polizeiamt für Prag:
Služba cizinecké policie, Olšanská 2, 130 51 Prag 3, Öffnungszeiten: Mo. und Mi. 8–17 Uhr, Di. und Do. 8–15 Uhr, Fr. 8–12 Uhr, +420 974 820 317, E-Mail: ocppraha@mvrcr.cz, Internetseite: www.policie.cz/clanek/oddeleni-pobytovych-agend-hlavni-mesto-praha.aspx
Für die Anmeldung sind zwei Formulare auszufüllen:
» Anmeldezettel (přihlašovací lístek), kann heruntergeladen werden unter: www.policie.cz/clanek/vyrizeni-pozvani-pro-cizince-a-hlaseni-pobytu.aspx
» Registrierungsformular für den Grenzübergang (hraniční průvodka), kann heruntergeladen werden unter: www.mvcr.cz/clanek/hranicni-pruvodka.aspx
Beide Formulare sind auch im Warteraum des Polizeiamtes erhältlich. Mitzubringen sind: ein Identitätsnachweis und ein Nachweis über die Unterkunft.
Nicht verpflichtend, aber hilfreich: die Aufenthaltsgenehmigung
EU-Bürger können nach ihrer polizeilichen Registrierung eine „Genehmigung über den vorübergehenden Aufenthalt“ beantragen. Dazu sind sie jedoch nicht verpflichtet.
Die Bescheinigung dient als Aufenthaltsnachweis für einen eventuellen späteren Antrag auf einen Daueraufenthalt in der Tschechischen Republik. Dieser kann nach fünf Jahren Aufenthalt gestellt werden.
Hilfreich beziehungsweise notwendig ist die Bescheinigung unter anderem bei der Eröffnung eines Bankkontos, beim Autoleasing, bei der Beantragung der Geburtsnummer (rodné číslo) und eines Gewerbescheins (Živnostenský list) oder bei der Ausstellung eines Leserausweises öffentlicher Büchereien.
Ausgestellt wird die Aufenthaltsgenehmigung vom Innenministerium, Abteilung für Asyl- und Migrationspolitik.
Das Verzeichnis der zuständigen Bearbeitungsstellen, je nach Wohnort, findet man unter:
www.mvcr.cz/docDetail.aspx?docid=21573542&doctype=ART
Öffnungszeiten in Prag: Mo. und Mi. 8–17 Uhr, Di. und Do. 8–15 Uhr, Fr. 8–11 Uhr (am Freitag nur mit telefonischer Voranmeldung), Telefon: +420 974 832 421 oder +420 974 832 418, E-Mail: pobyty@mvcr.cz, Internetseite: www.mvcr.cz/clanek/obcane-eu-
a-jejich-rodinni-prislusnici.aspx
Wegen langer Wartezeiten empfiehlt sich eine telefonische Voranmeldung!
Für den Antrag auf die „Genehmigung über den vorübergehenden Aufenthalt“ sind vorzulegen:
» das ausgefüllte Antragsformular, ein Reisedokument, ein Dokument über den Grund des Aufenthalts, ein Foto, Nachweis der Krankenversicherung (wird nicht verlangt, wenn der Aufenthaltsgrund eine Erwerbstätigkeit ist), Nachweis der Unterkunft in der Tschechischen Republik. Antragsformulare zum Herunterladen: www.mvcr.cz/clanek/formulare-zadosti.aspx
» Anfragen können in Tschechisch und Englisch bearbeitet werden; durchschnittliche Frist für Antworten auf E-Mails: 30 Tage. Siehe auch: www.mvcr.cz/clanek/infolinka-mv.aspx
Kostenlose Rechtsberatung
Eine kostenlose, praktisch orientierte, unabhängige Rechtsberatung für EU-Bürger bietet seit diesem Jahr das Europäische Haus in Prag:
Evropský dům, Jungmannova 24, Praha 1, www.evropsky-dum.cz; Bestellmöglichkeit zu persönlichen Beratungsterminen per E-Mail: knihovna@evropskydum.cz
Die Beratung findet in tschechischer, englischer oder französischer Sprache statt und kann auch per Skype erfolgen.
» In deutscher Sprache können Fragen zum EU-Recht per E-Mail gestellt werden: europa.eu/youreurope/advice/enquiry_de.htm
» Ein hilfreicher Ratgeber ist die Broschüre „Europarecht im Alltag. 50 Fragen – 50 Antworten“, herausgegeben von der Europakommission: ec.europa.eu/deutschland/pdf/information/50-fragen_2010_online.pdf
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