Über die Sprache hinaus
Übersetzerwerkstatt verhilft deutschsprachigen Theaterautoren auf die Bühne
13. 11. 2013 - Text: Adem FerizajText: Adem Ferizaj; Foto: Jan Taimr
Ein Stuhl in der Mitte der Bühne. Dahinter vier Darsteller, mit dem Rücken zum Publikum gewandt. Sie schweigen. Plötzlich dreht sich eine der Schauspielerinnen um. In den Händen hält sie einen Stoß Blätter. Bevor sie das erste Blatt mit energischer Geste auf den Boden fallen lässt, blickt sie stumm und gedankenverloren ins Leere. Eine Szene, die dem Publikum im ausverkauften Švanda-Theater unter die Haut ging. Es sollte nicht der einzige Ausschnitt bleiben, der die Zuschauer am vergangenen Sonntag begeisterte. Im Rahmen des Prager Theaterfestivals deutscher Sprache wurden fünf deutsche Bühnenstücke ins Tschechische übertragen. In fünf szenischen Lesungen bewiesen angehende Übersetzer zeitgenössischer Theaterwerke ihr Feingefühl für die deutsche Sprache. Dank ihrer Arbeit sind die Dramen nun auch dem tschechischen Publikum zugänglich.
Besonders gespannt erwartete das Publikum die Inszenierung von Anne Habermehls „Luft aus Stein“. Das Stück, das im Januar dieses Jahres seine Premiere am Schauspielhaus in Wien erlebte, spiegelt eine durch den Zweiten Weltkrieg zerrüttete Familiengeschichte wider. Die Handlung springt dabei von den vierziger über die sechziger Jahre bis in die Gegenwart. Die Figuren bezeichnet Habermehl, die bei der Lesung persönlich anwesend war, als „Flüchtlinge, auch wenn nicht zwangsläufig im geographischen Sinne“. Mit ihren verstummten, versehrten und verwundeten Protagonisten geht sie auf eine Entdeckungsreise des „verschrobenen deutschen Identitätsbegriffs“, wie sie es selbst beschreibt. Eine klare Antwort auf die Frage, wo sich ihre Heimat befindet, gibt ihr Theaterstück nicht. Letztlich lässt die junge Autorin den Zuschauer mit offenen Fragen zurück.
Sprungbrett für junge Autoren
Seit 2005 widmet sich die tschechische Übersetzungswerkstatt jährlich den Theaterstücken eines anderen Landes. Bereits in ihrem Gründungsjahr stand die deutsche Sprache im Mittelpunkt. Nun steht sie erneut im Fokus der Prager Kunstagentur Dilia, die das Projekt organisiert. Wie auch acht Jahre zuvor, ist die Zusammenarbeit mit dem deutschsprachigen Theaterfestival erfolgreich über die Bühne gegangen.
Šárka Zvejšková, eine der jungen Übersetzerinnen, verwundert es kaum, dass die deutsche Sprache abermals als Schwerpunkt der Übersetzungswerkstatt gesetzt wurde. Ihr zufolge fungiert das moderne deutsche Theater als ein Vorbild. Umso glücklicher könnten sich die jungen Übersetzer über die einzigartige Möglichkeit schätzen, sich direkt an der deutsch-tschechischen Kooperation auf Theaterebene zu beteiligen. Durch ihr Engagement ermöglichen sie es deutschsprachigen Autoren, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, auch im Nachbarland gespielt zu werden.
Beim Übertragen in die andere Sprache werden die jungen Übersetzer jeweils von einem erfahrenen begleitet. Habermehls
„Luft aus Stein“ zum Beispiel hat die 28-jährige Zvejšková mit der Unterstützung Jitka Jílkovás, der Leiterin des deutschsprachigen Theaterfestivals, übersetzt. Nachdem man einen Text ausgewählt und mögliche Probleme besprochen hat, wird die Übersetzung in Angriff genommen, so Zvejšková. Diese bewerkstelligen die jungen Tschechen zunächst alleine. Die Rolle ihrer Mentoren beschränkt sich auf das Gegenlesen.
Drei Monate dauerte die Übersetzung des Stücks. Beiden Beteiligten hat sie viel Freude bereitet. Während Zvejšková auf eine herausfordernde und lehrreiche Zeit zurückblickt, lobt Jílková die „flotte und reibungslose Übersetzung“ ihrer jungen Kollegin. Der Übersetzungsprozess hätte keine größeren Probleme bereitet, da Habermehl in ihrem Stück die Geschlechter der Figuren klar definiert. Das Einzige, was dem Übersetzer moderner deutscher Theaterstücke Kopfschmerzen bereiten könne, so Jílková, wäre folgendes: Wenn man bei einer Figur nicht mehr zwischen Frau oder Mann unterscheiden kann. „Das ist besonders bei slawischen Sprachen schwierig zu übersetzen“, so Jílková.
Mehr als zufrieden mit der Übertragung ihres Stückes zeigte sich auch die Autorin. „Allein schon, dass ich nach Prag eingeladen werde, weil mein Theaterstück auf Tschechisch gespielt wird, ist einzigartig“, freute sich Habermehl. Ein besonderes Lob sprach sie für die aufwendige Inszenierung aus. Das sei mehr als eine szenische Lesung gewesen.
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?