Ein Kaffeehaus als Gesundheitstempel

Ein Kaffeehaus als Gesundheitstempel

Wie sich die außergewöhnliche Lebensgeschichte von František Tuik auf eine Speisekarte auswirkt

27. 11. 2013 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: René Pfaff

 

Wenn er mit schnellen Schritten von einer Ecke des langgezogenen Gastraumes zur anderen eilt, schätzt man ihn leicht auf 50. Tatsächlich ist František Tuik 64 Jahre alt.
Dass er überhaupt einmal ins Rentenalter kommt, hat der schlanke und sportliche Tscheche vielleicht selbst in manch schwieriger Stunde angezweifelt. Und davon gab es für ihn einige in den vergangenen Jahrzehnten.

Heute könnte man ihn als jenen Geschäftsmann beschreiben, dem es gelungen ist, endlich ein Café rund um Anděl zu etablieren. Doch das wäre zu einfach.
Man muss ihn vielmehr einen Unternehmer nennen, der aus seiner persönlichen Lebensgeschichte die Vision entwickelt hat, Gästen mit seinem Kaffeehaus zu mehr Gesundheit und möglicherweise zu einem längeren Leben zu verhelfen.

Seit Jahren gibt es rund um den Anděl-Platz so ziemlich alles, was die internationale Gastronomie hergibt. Nur nach einem ansprechenden Café, das diesen Namen auch verdiente, suchte man lange vergebens.
Diese Lücke hätte schon seit einiger Zeit eine Einrichtung im Souterrain des Bürohauses von Pfizer schließen können. Leider war sie nur einer geschlossenen Gesellschaft vorbehalten, nämlich den Mitarbeitern des amerikanischen Pharmariesen selbst.

Erst vor zwei Jahren entstand dort eine Einkehrmöglichkeit für jedermann. Das amerikanische Unternehmen vermietete das Café in der Stroupežnického 17. František Tuik machte daraus das „Refresh-Café“.
Der tschechische Geschäftsmann kalkulierte mit begrenztem Risiko. „Etwa 22.000 Arbeitsplätze gibt es in den Büros rundum“, konstatiert er. Aus den vielen Glaspalästen von Anděl sollte eine ausreichende Gästezahl für sein Café zu gewinnen sein.

Um es möglichst einladend zu gestalten, hat Tuik das Interieur mit edlem italienischem Design aufgemöbelt. Knallige Farben leuchten die Theke und den Gastraum aus, ohne dabei kitschig zu wirken.
Was das „Refresh“ jedoch zu einem wirklich außergewöhnlichen Lokal unter den zahlreichen Kaffeehäusern in Prag macht, erschließt sich erst bei einem Blick in die Karte.

Man stößt dort auf Cappuccino und leckere Croissants, ebenso auf Cocktails und Säfte. Und auf einen sehr cremigen Mascarpone. Doch damit allein würden Besucher das wesentliche Potenzial der Küche verschenken.

Exotische Wundermittel
Beispielsweise Açai, eine Frucht aus Südamerika, der wahre Wunderdinge nachgesagt werden. „Die Açai sind reich an Vitaminen und Mineralstoffen. Sie enthalten große Mengen der Vitamine A, C, B1 und B2 und außerdem viel Calcium, Magnesium, Kalium und Eisen“, erkannte unlängst die deutsche Zeitschrift „essen & trinken“.

In einer kleinen Warenkunde führte sie aus, dass „Açai hohe Gehalte an hochwertigen ungesättigten Fetten aufweist, die Herz und Kreislauf schützen und Arteriosklerose vorbeugen sollen. Außerdem soll der Verzehr von Açai einen positiven Effekt auf den Cholesterinspiegel haben.“

Auch Tuik ist von der Wirkung der leicht säuerlichen Powerfrucht überzeugt, die zudem als Lebensmittelzusatz bei Schlankheitskuren sowie in der Anti-Aging-Kosmetik eingesetzt wird. Ein Açai-Saft beziehungsweise ein Müsli mit Açai und Banane sind daher Spezialitäten im „Refresh“.

Fleisch sucht man auf der Speisekarte vergebens, dafür gibt es Nudelgerichte und verschiedene Salate. „Wir bieten leichte und vor allem gesunde Speisen“, bekräftigt Tuik.
Ebenso Suppen. Und auch diese kommen nicht nur wohlschmeckend auf den Teller, sondern mit dem Zusatz von Kurkuma. „Das hilft besonders gegen Dickdarmkrebs“, führt der 64-Jährige aus.
Darin wird er von verschiedenen Quellen bestätigt. Wie gesund die Heilpflanze, auch Gelbwurz oder indischer Safran genannt, tatsächlich ist, untersuchte kürzlich etwa die „Apotheken-Rundschau“.
Das Fachblatt deutscher Apotheker befand, dass Wissenschaftler „immer wieder erstaunliche Ergebnisse veröffentlichen. Kurkuma soll vor der Alzheimer-Krankheit schützen, gegen Entzündungen helfen, Magen-Darm-Beschwerden lindern und sogar Krebs vorbeugen.“

Flucht nach Deutschland
Sein Wissen hat František Tuik durch seine eigene Lebens- und Krankheitsgeschichte erworben. Sie haben ihn letztlich dazu bewogen, aus dem „Refresh“ das etwas andere Café zu machen.
Der gebürtige Prager studierte zunächst Wirtschaft in seiner Heimatstadt. Schon während seiner Studienjahre spielte Tuik mit Leidenschaft Beat-Musik. Deshalb strebte er nach dem Ingenieur-Abschluss keine Karriere als Manager an, sondern wurde Musiker. Er spielte Bass und Gitarre in seiner Band namens „Mini-Kyklop“.

1983 ging ihm zu vieles in seiner Heimat gegen den Strich. „Das Leben dort, die Grenzprobleme“ wollte Tuik nicht länger ertragen. Er wagte mit seiner Familie die Flucht nach Deutschland.
Dafür wählte Tuik eine raffinierte Methode. Mit einer Einladung seines Bruders stellte er in der Verwaltung von Prag 8 für sich und eine Tochter den Antrag für einen Besuch in Hamburg. Für die gleiche Reisezeit legte seine Frau mit der zweiten Tochter in Prag 4 eine Einladung ihrer Schwester in Wien vor.

Gemeinsam ausreisen durften alle Mitglieder einer Familie während der kommunistischen Herrschaft normalerweise nicht. Vielmehr verlangte das System, dass Angehörige zur Sicherheit zu Hause bleiben mussten, damit ihre Verwandten auch wieder zurückkehrten. „Doch die Verwaltungen von Prag 8 und Prag 4 waren nicht gut genug vernetzt“, erläutert Tuik, „deshalb fiel nicht auf, dass wir alle zur gleichen Zeit wegfuhren.“
Die Familie flog zunächst nach Ost-Berlin und reiste anschließend mit dem Zug nach Westen. Dabei musste sie die DDR durchqueren. „Wir haben die ganze Fahrt über mächtig geschwitzt und gezittert“, blickt er heute noch mit einem gewissen Entsetzen zurück.

In Hamburg erwartete sie sein Bruder. „Wir wussten, dass der Neuanfang schwierig wird“, sagt František Tuik. Als Fachkundiger übernahm er im Stadtteil Alsterdorf einen kleinen Laden für Musikinstrumente.
Tuik machte gute Preise, das sprach sich herum. Bulgaren oder Polen kamen zu ihm, bevor sie eine Tournee durch Skandinavien machten. Auch Künstler aus seiner Heimat belieferte er. Eines seiner ersten Geschäfte machte Tuik mit Karel Gott.

Und vor 30 Jahren stand plötzlich Dieter Bohlen in seiner Tür und verlangte nach einem Synthesizer. „Dabei verwechselte er meine Frau, die ebenfalls im Laden mitarbeitete, mit der Putzfrau“, lacht Tuik noch immer über diese Begegnung, „aber er war durchaus nicht arrogant.“

Begegnung mit Bohlen
Nach der Wende verlegte er sich endgültig auf den Handel mit Elektronik und gründete dafür eine Firma in Prag. Tuik vertrat namhafte Konzerne aus Asien, ebenso amerikanische und dänische Unternehmen.
Seine Geschäfte mit Lautsprechern und Receivern florierten. In unzähligen Lasterfahrten ließ er die Waren nach Osten bringen. Aus den Einzelläden wurde ein Großhandel mit beachtlichen Lagerkapazitäten.
Trotzdem verlief seine Rückkehr in die demokratische Tschechische Republik nicht unproblematisch. „Wer weggewesen war und wieder zurückkehrte, wird als Landsmann nicht mehr akzeptiert“, hat er erfahren, „das sagt jeder, der zurückkommt.“ Zu spüren bekomme man das gleichsam „hinter dem Rücken“.

Noch schmerzlicher war freilich eine andere Diagnose: Prostatakrebs. František Tuik ist heute überzeugt davon, dass ihn vor allem gesunde Ernährung davon heilte. Er schwört besonders auf Granatapfel. „Nicht als Saft, sondern als Konzentrat“, erklärt er, „2 cl jeden Tag, das greift die Zellen an.“

Nach seiner Genesung kaufte Tuik ein Hotel im Montafon. Dort ermunterte er Angestellte, ein Café in Prag zu eröffnen. Mittlerweile abwechselnd in Prag und Österreich lebend, dient Tuik dem „Refresh“ nun als Spiritus Rector hinter den Kulissen.

„Viele Leute kommen schon zum Frühstück um 8 Uhr“, berichtet der stolze Teilhaber, „wir haben Amerikaner als Gäste, ebenso Italiener, Deutsche und Österreicher.“ In der Mehrzahl besuchen jedoch Tschechen das Café, das außer am Wochenende von 8 bis 20 Uhr geöffnet hat.

Für den Mittagstisch warb er eine Köchin aus einem anderem Lokal ab, die die Karte durch Neues wie Röllchen mit Lachs oder Tortilla mit Senfsauce erweiterte.
Obwohl man es in einer kleinen Seitenstraße nicht auf den ersten Blick wahrnimmt – das „Refresh-Café“ hat seine Bewährungszeit bestanden. Erst kürzlich hielt eine diabetische Vereinigung in den Räumen eine Konferenz gegen Fettleibigkeit ab, einschließlich eines Besuchs des Gesundheitsministers.

Gleichwohl weiß František Tuik, dass er mit seinen Angeboten wie der Açai-Frucht noch Überzeugungsarbeit leisten muss. „60 Prozent der Gäste ist es egal, sie schauen nur auf den Preis“, hat er beobachtet. „Für gesundes Essen muss man die Menschen erst sensibilisieren.“

Das ist genauso wie beim Öl. Während viele Leute viel Geld für ein gutes Motorenöl ausgeben, zucken sie zusammen, wenn ein Speiseöl auch nur ein Zehntel davon kostet.
„Dabei haben doch beide den gleichen Slogan: für ein längeres Leben!“, lacht František Tuik.