„Juristischer Dilletantismus“
Seit 2007 entsteht in Prag der größte Stadttunnel Europas – wohl ohne Vertrag
27. 11. 2013 - Text: Marcus HundtText: mh/id; Foto: Honza Groh
Selten hat ein Bauwerk in Tschechien so viel Aufsehen erregt wie der Tunnelkomplex Blanka – und dies, obwohl er noch nicht einmal fertiggestellt ist. Missachtete Umweltauflagen, fehlende Baugenehmigungen, Schmiergelder, Veruntreuung, explodierende Baukosten. Die Liste der Punkte, mit denen es Blanka in die Negativschlagzeilen schaffte, ist beinahe so lang wie der Stadttunnel selbst. Doch seit Mitte vergangener Woche ist sogar der Verdacht auf Wettbewerbsverzerrung und Unterschlagung öffentlicher Gelder vom September dieses Jahres (die „Prager Zeitung“ berichtete in Ausgabe 39) in den Hintergrund getreten.
Am Mittwoch hatte das Bauunternehmen Metrostav zunächst angekündigt, seine kurz vor dem Abschluss befindlichen Arbeiten am 5,5 Kilometer langen Tunnelsystem zum 7. Dezember einzustellen. Angeblich weil die Stadt Prag in Zahlungsrückstand geraten sei. Der Schuldenberg belaufe sich inzwischen auf mehr als 2,15 Milliarden Kronen (etwa 77 Millionen Euro). Der „Tag der offenen Tür“, der am letzten November-Wochenende stattfinden sollte, und bisher jedes Jahr hunderte Menschen in den Untergrund lockte, fällt aus. Und vielleicht noch viel mehr. Denn wenige Stunden nach der Ankündigung von Metrostav, die Arbeit niederlegen zu wollen, reagierte die Prager Stadtverwaltung mit einer Aussage, mit der wohl niemand gerechnet hätte. Der Vertrag zwischen der Stadt Prag und dem Unternehmen Metrostav sei von Anfang an ungültig gewesen. Weder der Stadtrat noch die Stadtverordneten hätten über den Tunnelbau verhandelt.
„Ohne legitime Basis hat die Stadt bereits zig Milliarden Kronen bezahlt. Diese gesetzeswidrige Praxis kann nicht weitergeführt werden“, sagte Prags Oberbürgermeister Tomáš Hudeček (TOP 09). Seiner Ansicht nach trage sein Vorgänger Pavel Bém (ODS, 2002–2010) die Verantwortung für diesen „juristischen Dilletantismus“ und „die Arroganz und Rücksichtslosigkeit gegenüber öffentlichen Interessen“. Der stellvertretende Bürgermeister Jiří Vávra sagte, das im Jahr 2007 begonnene Tunnelprojekt sei „mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ein Schwarzbau“.
Metrostav-Sprecher František Polák wies die Behauptungen zurück. Es gebe sehr wohl einen Beschluss des Stadtrates, in dem der Vertrag behandelt wurde. „Das kommt mir alles wie ein großer Irrtum vor“, so Polák. „Es liegt uns ein unterschriebener Vertrag vor, an den wir uns seit sieben Jahren halten. Wir erachten ihn daher als gültig.“
Verhandlungen laufen
Vor allem drängt sich die Frage auf, warum die Stadtverwaltung erst nach der Ankündigung des Baustopps eine solche Botschaft verkündet. Gewusst habe sie es bereits seit mehreren Monaten. Das behauptet zumindest Ex-Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda (ODS, 2010–2013). Er persönlich habe die Untersuchung beantragt, die besage, dass die Verträge nicht im Einklang mit dem Gesetz stünden.
Fest steht: Sollte es zu keiner Einigung mit dem Bauunternehmen kommen und die Arbeiten auf Eis gelegt werden, käme das die Stadt Prag teuer zu stehen. Umgerechnet 62 Millionen Euro pro Jahr würde die verlassene Baustelle kosten. Bisher hat die Stadt rund eine Milliarde Euro für das Prestigeprojekt aufgebracht, und damit bereits 75 Prozent der voraussichtlichen Gesamtkosten. Nach einem ersten Gespräch mit Metrostav-Vertretern sagte Prags OB Hudeček, „für die bereits durchgeführten Arbeiten wird die Hauptstadt bezahlen; wir müssen nun allerdings einen legalen Weg finden, wie wir das machen“. An diesem Freitag soll das Ergebnis der gemeinsamen Gespräche bekanntgegeben werden.
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