Mit Multiple-Choice zur Integration
Bürgerorganisationen kritisieren den Einbürgerungstest. Der gilt ab kommendem Jahr und fragt nach dem Christkind
4. 12. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: APZ
Wer ab dem kommenden Jahr die tschechische Staatsbürgerschaft erhalten möchte, muss büffeln. Von 30 Fragen aus Themenfeldern wie Wahlrecht, Geographie oder mittelalterliche Geschichte gilt es mindestens 18 richtig zu beantworten. Damit hat ein Ausländer eine jener Hürden genommen, die laut dem neuen Gesetz zur Staatsbürgerschaft, das zum 1. Januar 2014 in Kraft tritt, auf dem Weg zum tschechischen Pass stehen. Weitere Voraussetzungen: eine Prüfung über Tschechisch-Kenntnisse auf dem Niveau B1, ein dauerhafter Wohnsitz in Tschechien seit mindestens fünf Jahren – im Falle von EU-Bürgern reichen drei Jahre – sowie Nachweise über die Abführung sämtlicher Steuern und Beiträge. Sollten alle Voraussetzungen erfüllt sein, steht den Beamten jedoch trotzdem frei, den Antragsteller als „ungenügend in die tschechische Gesellschaft integriert“ zu beurteilen – und ihm den tschechischen Pass zu verwehren.
Seit kurzem sind die Einbürgerungstests öffentlich einsehbar. Im Internet ist die komplette Datenbank der insgesamt 300 Prüfungsfragen zugänglich. Seither wird nicht nur auf sozialen Netzwerken lebhaft über die neue Regelung diskutiert. „Das sind wirklich entscheidende Fragen“, glossiert Klára Grammpová Janečková auf Facebook. „Wer bringt in Tschechien die Weihnachtsgeschenke? Wer nicht an das Christkind glaubt, hat Pech gehabt.“ Alex Tru, der sich auf Facebook selbst als „Zugewanderter“ bezeichnet, beschwert sich hingegen über die Ignoranz mancher „Mitbürger und Ex-Mitbürger“. „Aber es stimmt wohl, ein Multiple-Choice-Test kann nicht allzu viel darüber aussagen, wie sehr jemand informiert ist“, schreibt Alex.
Auch von Seiten der Bürgerorganisationen regt sich Protest. Marie Heřmanová von der NGO „Člověk v tísni“ bezweifelt, dass der Einbürgerungstest den Grad der Integration in die Gesellschaft messen kann. Zudem seien die Fragen zu schwer. „Jemand der hier studiert, hat vielleicht die Zeit, eine Unzahl von Antworten auswendig zu lernen, jemand der hier arbeitet wohl kaum“, meint Heřmanová. „Ob die St.-Nikolaus-Kirche nun barock oder gotisch ist, weiß wohl auch so manch tschechischer Bauarbeiter nicht, warum soll das dann ein ausländischer Bauarbeiter auswendig lernen müssen?“
„Unabdingbare Kenntnisse“
Der Fragenkatalog entstand unter der Regie von Schulministerium und Nationalem Bildungsamt. Ziel sei es, Ausländer dazu zu motivieren, sich gewissenhaft mit dem Leben in der Tschechischen Republik bekannt zu machen und geläufige Themen aus den Bereichen Arbeit, Bildung und Soziales zu verstehen. So heißt es in einer Pressemitteilung des Bildungsministeriums.
Manche der Aufgaben aus dem Fragenkatalog sind dabei nicht nur schwierig, sondern schlichtweg irreführend. So findet sich im Themenfeld Geschichte die Frage: „Was war die Stadt Theresienstadt während des Zweiten Weltkriegs?“ Der Geprüfte soll dann aus den Antworten „A) ein Arbeitslager, B) ein jüdisches Ghetto, C) ein Soldatengefängnis, D) ein Konzentrationslager“ eine richtige Antwort wählen. Auf die Frage der „Prager Zeitung“, warum Aufgaben gestellt werden, auf die es keine eindeutige Lösung gibt, bekommt man am Bildungsministerium keine Antwort. Die Fragen seien von Experten erstellt worden und entsprächen den „Rahmenvorgaben des Bildungsprogramms für Grundkenntnisse mit zusätzlichen unabdingbaren Kenntnissen über das alltägliche Leben eines erwachsenen Bürgers“. Mündliche Aussagen zum Thema verweigert die Pressebeauftragte, ebenso die Nachfrage bei verantwortlichen Angestellten. Sie verweist auf das Bildungsamt. Auch dort war bis Redaktionsschluss keine Reaktion auf die Frage der „Prager Zeitung“ zu bekommen.
Einbürgerungstests gibt es in einer Reihe europäischer Länder. In Österreich seit 2006, in Deutschland seit 2007. Seither reißt die Kritik nicht ab. Laut Kenan Araz vom Aktionsbüro Einbürgerung in Bochum leiste ein Test keinerlei Beitrag zur Integration von Migranten. Das Aktionsbüro hilft Migranten in Nordrhein-Westfalen bei ihren Bemühungen um die deutsche Staatsbürgerschaft. „Ein positiver Effekt ist, dass die Leute merken, dass sie sich in Deutschland befinden“, sagt Araz. Bei manchen Einwanderern brauche es eine gewisse Hürde, damit sie sich das klar machen.
Allerdings seien auch in Deutschland die Fragen zu schwer und gingen oftmals an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei. „Ich würde mir wünschen, dass der Test den Leuten klar macht, dass sie sich in einer modernen Gesellschaft befinden“, fügt Araz hinzu. Fragen zur emanzipierten Rolle der Frau, zu sozialen Medien oder demokratischen Werten seien laut Araz dem Auswendiglernen von Geschichtsdaten vorzuziehen. Fragt man nach der Erfolgsrate beim deutschen Einbürgerungstest, verweist Araz auf mangelnden Informationswillen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. 60 Prozent würden den Test absolvieren, ist vom Bundesamt zu erfahren. Das allerdings bedeutet lediglich, dass mehr als die Hälfte alle Fragen beantworten. Araz schätzt die Erfolgsquote auf etwa 30 Prozent.
Auch in Tschechien könnte der Einbürgerungstest laut Marie Heřmanová von „Člověk v tísni“ die Einbürgerungszahlen herunterdrücken. Die sind allerdings sowieso schon die niedrigsten in ganz Europa. Liegt der EU-Durchschnitt laut Eurostat bei 23 Einbürgerungen je 1.000 ansässige Ausländer, werden in Tschechien lediglich 3 von 1.000 eingebürgert.
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