Zugpferd der Wirtschaft
In keinem anderen Land Europas genießt der Industriesektor einen so hohen Stellenwert wie in Tschechien, Innovationen aber fehlen
11. 12. 2013 - Text: Franziska NeudertText: fn/čtk; Foto: Wassermann Unternehmensberatung AG
Die tschechische Industrie verfügt über ein hohes Potential, der Faktor Innovation allerdings bleibt in der Regel auf der Strecke. Zu diesem Fazit gelangt eine Studie des Beratungsunternehmens Roland Berger, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde.
Auf dem Prüfstand standen die Reindustrialisierung und die Konkurrenzfähigkeit in Europa. Auch wenn das produzierende Gewerbe derzeit stagniert, gilt es auf dem Kontinent nach wie vor als Hauptmotor des wirtschaftlichen Wachstums. Vor allem in Tschechien spielt die Industrie eine tragende Rolle: In keinem anderen Land Europas ist ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt höher – in Tschechien liegt er bei 25 Prozent.
Weiterhin ergab die Studie, dass Tschechien im Vergleich zu anderen Ländern mit niedrigen Produktionskosten – wie beispielsweise Rumänien oder Litauen – schrittweise seinen Wettbewerbsvorteil verliert. Zugleich hinkt es den westeuropäischen Staaten in puncto Innovation hinterher. Deutlich unter dem EU-Durchschnitt bleibt auch die Arbeitsproduktivität, die in den vergangenen fünf Jahren in Tschechien nicht signifikant erhöht werden konnte.
Ein maßgeblicher Wettbewerbsvorteil der einheimischen Industrie besteht in ihrer Nähe zu den westeuropäischen Kunden. Das bestätigen auch die jüngsten Daten des Tschechischen Statistikamtes, das das Industriewachstum des vergangenen Jahres untersuchte. So stieg die Anzahl der Auslandsaufträge seit Oktober 2012 um 13,5 Prozent an, während Bestellungen aus dem Inland um lediglich 2,9 Prozent zunahmen. Traditionell wird die tschechische Industrie von der Herstellung von Kraftfahrzeugen dominiert, die sich im vergangenen Jahr um 9,5 Prozent steigerte. Die Produktion von elektronischen Geräten sank dagegen um rund sieben Prozent.
Maßnahmen erforderlich
Positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit Tschechiens wirken sich laut der Studie von Roland Berger zudem die Qualität der einheimischen Industrie, ihr Potential, auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnittene Waren zu produzieren, sowie eine qualifizierte Arbeiterschaft und im Vergleich zu Westeuropa relativ wettbewerbsfähige Betriebskosten aus.
Sofern auf Regierungsebene entsprechende Maßnahmen eingeführt würden, so Roland Berger, könnte Tschechien seine westeuropäischen Nachbarn mittelfristig sogar einholen. Diese müssten vor allem in den Bereichen Innovation, Personalentwicklung und Unternehmensumfeld vorgenommen werden.
Um die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft zu erhöhen und die Arbeitslosigkeit auf ein minimales Niveau einzufrieren, bemüht sich die EU um eine Steigerung der industriellen Produktion. Ziel ist es, bis zum Jahr 2020 innerhalb der Mitgliedstaaten einen Anteil von 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukt zu erreichen. Im Gegensatz zu den USA war der Anteil der Industrie an der gesamten europäischen Wirtschaft im vergangenen Jahr gesunken. Der durchschnittliche Anteil des produzierenden Gewerbes am Bruttoinlandsprodukt betrug in Europa 15 Prozent. In Mittel- und Osteuropa spielen Dienstleistungen eine geringere Rolle für die Wirtschaft dieser Länder als die Industrie, deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt generell höher ist. In Hinblick auf die industrielle Produktion führt Deutschland die Liste der westeuropäischen Staaten mit einem 22-prozentigen Anteil an.
Chance für Mitteleuropa
Die Studie von Roland Berger sieht eine einmalige Chance für die Länder Mitteleuropas, die industriellen Fertigungsstätten westeuropäischer Unternehmen von Standorten sogenannter Billigproduktion wie China und die Ukraine abzuziehen. Dank der geographischen Nähe, hochwertiger Produkte und kompetenter Arbeitskräfte sowie angemessener Herstellungskosten verfüge Mitteleuropa über einen Standortvorteil, zumal speziell auf Kunden zugeschnittene Waren und kurze Lieferzeiten zunehmend zu ausschlaggebenden Faktoren für westeuropäische Konzerne werden. Der Vorteil billiger Arbeitskräfte an Standorten mit niedrigen Produktionskosten würde dagegen zunehmend zweitrangig, so Berger. Auch für Unternehmen aus Übersee wie zum Beispiel aus Südkorea stelle Mitteleuropa eine attraktive Region dar. Laut Studie könne sie sogar das Sprungbrett für den Einstieg Chinas in den europäischen Markt darstellen.
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